„Ecuador ist ein Hotspot der Biodiversität“

05.03.2021 von Ronja Münch in Forschung, Wissenstransfer
Ecuador hat trotz seiner geringen Größe eine große Vielfalt unterschiedlicher Ökosysteme. Dennoch taucht das Land im jüngsten Bericht des Weltbiodiversitätsrats nur am Rande auf. Das liegt vor allem daran, dass einheitliche Erhebungen und Bewertungen auf Landesebene fehlen. Ein Projekt an der Uni Halle will das zusammen mit ecuadorianischen Akteuren ändern und zudem ein Modell entwickeln, um die Auswirkungen sich ändernder Ökosysteme zu erfassen.
Lamas sind in den ecuadorianischen Anden heimisch.
Lamas sind in den ecuadorianischen Anden heimisch. (Foto: Christoph Kurze)

Vor einigen Jahren war der damalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa mit einer aufsehenerregenden Forderung weltweit in den Medien: Gegen eine Ausgleichszahlung von 3,6 Milliarden Dollar (2,7 Milliarden Euro) werde das Land darauf verzichten, den Yasuní Nationalpark im Amazonasgebiet für die Erdölgewinnung freizugeben. Am Ende kamen jedoch nur knapp zehn Millionen Euro zusammen. Inzwischen wird in dem Nationalpark, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört, nach Öl gebohrt, was die einzigartige Biodiversität und die indigene Bevölkerung bedroht.

Doch nicht nur dort, auch in anderen Gegenden Ecuadors sind Ökosysteme gefährdet, weil zum Beispiel artenreiche Wälder zu monotonen Plantagen oder Mangrovenwälder zu Shrimpsfarmen werden. Die Auswirkungen auf die Biodiversität werden jedoch bisher nicht zentral erfasst oder analysiert. Hier setzt das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderte Projekt der Uni Halle und der Universidad Regional Amazónica IKIAM an. „Ecuador ist ein Hotspot der Biodiversität“ sagt Dr. Janina Kleemann vom Institut für Geowissenschaften und Geographie. Das Land ist kleiner als Deutschland, hat aber mit dem Amazonasgebiet, der Küstenregion mit ihren Mangrovenwäldern und den vulkanisch geprägten Gebirgsketten der Anden gleich drei völlig unterschiedliche Ökoregionen – sogenannte Biome.

Janina Kleemann (3. v.r.) mit ecuadorianischen und deutschen Projektpartnern im Amazonastiefland
Janina Kleemann (3. v.r.) mit ecuadorianischen und deutschen Projektpartnern im Amazonastiefland (Foto: Pablo Cuenca)

Trotz dieser reichen Ökosysteme und der bedrohten Natur spielte Ecuador im 2019 vom Weltbiodiversitätsrat IPBES veröffentlichten Bericht zum Zustand der globalen Artenvielfalt kaum eine Rolle. „Ecuador hatte anfangs Angst vor Regularien, die aus den Erhebungen folgen könnten, außerdem fehlten die Experten“, sagt Prof. Dr. Christine Fürst, Inhaberin des Lehrstuhls für Nachhaltige Landschaftsentwicklung, an dem Kleemann forscht, und Mitautorin des IPBES-Berichts. Nachdem andere südamerikanische Länder wie Brasilien oder Chile die Erfassung der eigenen Artenvielfalt stark vorantrieben, sei das Interesse auch in Ecuador gestiegen, so Fürst. Mittlerweile gebe es auch Fachleute im Land – mit denen die Forschenden der Uni Halle nun kooperieren.

Das Projekt geht dabei weit darüber hinaus, die Biodiversität des Landes zu erfassen. „Wir schauen uns an, welche Kapazitäten die Landschaften jeweils haben“, erklärt Kleemann. Die Forschenden wollen nicht nur Karten verschiedener Ökosysteme erstellen, sondern auch den Nutzen der jeweiligen Landschaftstypen erfassen: die sogenannten Ökosystemleistungen. „Im Wald kann beispielsweise Holz gewonnen werden, die Hochebene, die sogenannte Paramo, ist der zentrale Wasserversorger für die Hauptstadt Quito, und Insekten bestäuben wichtige Nutzpflanzen wie Kaffee. Darüber hinaus gibt es aber auch noch kulturelle Leistungen, zum Beispiel als Erholungsgebiete oder für Naturtourismus“, so die Landschaftsökologin. Diese Leistungen seien zunächst vermeintlich kostenlos, aber sie nehmen immer weiter ab, wenn Landschaften durch den Menschen oder den Klimawandel verändert werden. Die Folgen sind teils direkt spürbar, beispielsweise durch Erdrutsche an abgeholzten Hängen, die in den Anden wichtige Verkehrswege zwischen Quito und dem Amazonastiefland unterbrechen.

Um die verschiedenen Ökosysteme, ihre Biodiversität und ihre Leistungen zu kartieren, arbeiten die beiden Universitäten mit vielen weiteren ecuadorianischen Akteuren zusammen. Es gebe in Ecuador sehr viele lokale Naturschutzprojekte, aber auch staatlich geförderte Programme. Über Onlineumfragen und Online-Workshops wurden so möglichst viele Daten gesammelt und analysiert. „Das Gute ist, dass das Umweltministerium in Ecuador an einer Mitarbeit sehr interessiert ist“, sagt Kleemann. Durch diese Kooperationen habe das Projekt ein hohes Potenzial, das sogenannte National Assessment umzusetzen, also die Erfassung von Biodiversität und Ökosystemleistungen im gesamten Land. Lediglich die berühmten Galápagos-Inseln, die ebenfalls zu Ecuador gehören, sind in dem aktuellen Forschungsprojekt ausgeklammert worden. „Die dortige Flora und Fauna ist gänzlich verschieden zum Festland“, erklärt Kleemann. Zudem sind sie bereits wesentlich besser erfasst und geschützt als die Ökosysteme des Festlands.

Mit den Daten wird anschließend eine Software gefüttert, die erfasst, wie sich die Biodiversität, aber auch wichtige Leistungen der Natur für den Menschen verändern. „Darin sollen zum Beispiel die Auswirkungen von Abholzung auf Landes- oder Biomebene und der Einfluss von veränderten Temperaturen modelliert werden“, sagt Kleemann. Wenn beispielsweise Regenwald für den Ackerbau gerodet werde, habe das verschiedene Folgen auf die Ökosystemleistungen: Das Nahrungsangebot nehme dadurch zu, Holz könne allerdings keines mehr gewonnen werden, die Regulierungsfähigkeit des Ökosystems für Klima und Wasserhaushalt nehme ab, die Biodiversität ebenso. Das Modell sei allerdings zunächst sehr grob, so Kleemann. Die Folgen der Abholzung würden auf der Ebene des gesamten Bioms – also der Küstenregion, der Andenregion oder des Amazonasbeckens – modelliert. Die Temperaturauswirkungen werden hingegen nur auf Landesebene analysiert. „Das Modell ist ein erster Ansatz, wie man es machen könnte“, erklärt Kleemann. Für manches fehlen schlicht die Daten. So lassen sich beispielsweise die Auswirkungen der Ölbohrungen nur schwer nachvollziehen. Abholzungen sind hier nur ein Teil des Problems. Die Qualität des Ökosystems nehme ab, wenn der Boden verunreinigt werde – doch um das modellieren zu können, bräuchte es Bodenproben.

Dennoch hofft Kleemann, mit dem Projekt ein größeres Bewusstsein für den Wert der Ökosysteme zu wecken. Die Karten und Modelle sollen ecuadorianischen Politikerinnen und Politikern zur Verfügung gestellt werden. Und sie dürften auch im nächsten Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES eine Rolle spielen. „Ich glaube, Ecuador hat auch erkannt, dass eine hohe Biodiversität für ein positives Image des Landes sorgt“, sagt Christine Fürst. Das könnte dann unter anderem helfen, die zum Teil noch wenig erforschten, aber artenreichen und gefährdeten Ökosysteme Ecuadors zu bewahren.

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