Familiengerechtigkeit: Uni punktet auch in der Pandemie

21.06.2022 von Katrin Löwe in Campus, Hochschulpolitik
Auf einer virtuellen Zertifikatsfeier wird heute das Engagement der Uni Halle als familiengerechte Hochschule gewürdigt. Womit die MLU in Sachen Familienfreundlichkeit beeindruckt hat, welche Änderungen die Corona-Pandemie mit sich brachte und was in den kommenden Jahren geplant ist, erklärt die Leiterin des Familienbüros Dr. Andrea Ritschel im Interview.
Rektor Christian Tietje und Andrea Ritschel freuen sich über die Bestätigung des Zertifikats, die heute offiziell gefeiert wird.
Rektor Christian Tietje und Andrea Ritschel freuen sich über die Bestätigung des Zertifikats, die heute offiziell gefeiert wird. (Foto: Markus Scholz)

Im Jahr 2018 hat die MLU das audit zum vierten Mal seit 2009 durchgeführt – und darf das Zertifikat damit dauerhaft tragen. War das nicht der Zeitpunkt für Sie, sich entspannt zurückzulehnen?
Andrea Ritschel: (lacht) Die berufundfamilie Service gGmbH, die das Zertifikat vergibt, hat schon den Qualitätsanspruch, dass es nur von Institutionen getragen wird, die bestimmten Ansprüchen genügen. Das bedeutet, dass man mit ihr auch nach der Zertifizierung in Dialog treten muss – und konkret zum Beispiel darauf geschaut wird, wie wir mit unseren Selbstverpflichtungen umgehen und Maßnahmen umsetzen. Auch ein Dauerzertifikat kann übrigens entzogen werden.

Wobei das Ziel der Uni ja ohnehin nicht ausschließlich darauf gerichtet ist, das Papier zu haben…
Natürlich nicht. Das Papier ist Ausdruck dessen, was meiner Ansicht nach Selbstverständnis der Universität ist, ein gemeinsamer verbindender Faktor über Fakultäten und Zentrale Einrichtungen hinweg bis hin zur Verwaltung. In der Studierendenbefragung, deren Ergebnisse wir gerade mit verschiedenen Interessenvertretungen und der Verwaltung diskutieren, haben auch mehr als 90 Prozent der Studierenden gesagt, dass sie es für ein erstrebenswertes Ziel halten, dass eine Universität familiengerecht ist – egal, ob sie selbst bereits Kinder haben oder Angehörige pflegen, anteilig waren das in unserer Befragung neun beziehungsweise sieben Prozent.

Wie sah die neue Auditierung aus?
Auch das Dialogverfahren beinhaltet eine Begutachtung und eine Evaluation unseres Handlungsprogramms. Wir haben zudem einen sehr ausführlichen Bericht geschrieben und zeigen können, wie gut wir durch die Pandemie gekommen sind.

Sie haben vermutlich nicht wie geplant agieren können, weil die Pandemie dazwischenkam.
Wir haben vielleicht nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Dafür haben wir ganz viele Sachen gemacht, die wir uns nicht vorgenommen haben, die aber notwendig waren. Und die haben wir im Rahmen des uns Möglichen, glaube ich, ganz gut umgesetzt. Von einem Tag auf den anderen waren ja die Kitas zu und die Schulen geschlossen. Als Erstes haben wir Studierende gesucht, die ehrenamtlich Kinder betreuen. Für die Notbetreuung brauchten Studierendeneltern irgendwann Bescheinigungen – dafür war unter anderem die Kommunikation mit Prüfungsämtern nötig. Im Dreieck Fakultäten, Rektorat und Verwaltung haben wir diese Prozesse begleitet.

Also war Corona aus heutiger Sicht in Bezug auf das Handlungsprogramm nicht per se ein Rückschritt für Familienfreundlichkeit?
Genau. Andererseits sind Angebote schlagartig weggefallen. Der Eltern-Kinder-Sport im Universitätssportzentrum hat bis heute nicht wieder stattgefunden. Das ist traurig. Wir müssen nun darauf achten, dass wir Sinnvolles auch wieder etablieren können. Es könnte allerdings sein, dass das aufgrund begrenzter Ressourcen nicht mehr möglich ist. Bei der Kinderbetreuung bei den WeinbergKids arbeiten wir gerade daran, dass das Angebot neuen Schwung bekommt.

Wo konnte die Uni denn in den vergangenen Jahren besonders punkten?
Was die Auditorin beeindruckt hat: Wie schnell die Universität den Wechsel von den strikten, auch zu reformierenden Arbeitszeitvorschriften hin zu einer flexiblen Handhabung im Rahmen der Wohnraumarbeit hinbekommen hat. Ein anderes Beispiel: Zu Beginn des Jahres 2021 standen Studierende plötzlich ohne Anspruch auf Notbetreuung da, obwohl die Prüfungszeit anstand. Wir haben das über alle Kanäle in Richtung Landespolitik kommuniziert und es ist gelungen, dass der Bedarf in der Verordnung noch verankert wurde. Eine große Herausforderung für uns war, ab Herbst 2020 die Ferienbetreuung wieder anbieten zu können – im Sommer 2020 hat sie zum ersten Mal seit über zehn Jahren nicht stattgefunden. Die Konzepte mussten immer wieder angepasst werden, aber wir haben es geschafft. Vieles andere ist zudem weitergelaufen, trotz Corona. Die Personalentwicklungskommission hat das Thema Personalentwicklung weiter vorangebracht, das Betriebliche und Studentische Gesundheitsmanagement… Das alles gehört ja zum Handlungsprogramm, das auch Studien- und Arbeitsbedingungen sowie Personalentwicklung beinhaltet.

Dazu kam die neue institutionelle Verortung des Familienbüros in den Stabsstellen des Rektors, konkret der Stabsstelle Vielfalt und Chancengleichheit.
Da konnten Themen wie Inklusion und Gleichstellung von uns profitieren. Über das Thema Familiengerechtigkeit sind bereits Netzwerke geschaffen, es strahlt in Gremien der Universität aus – aus dieser Perspektive halte ich es für gerechtfertigt, wenn man Themen gemeinsam vorantreibt. Da kann Familiengerechtigkeit ein Türöffner sein. Gleichermaßen legitimiert die Bündelung der Themen deren Einbeziehung in Entscheidungsfindungsprozesse in noch höherem Maße. In der Pandemie hat man ja auch gemerkt: Eltern, Pflegende und Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen sind zum Teil in einer ähnlichen Art und Weise betroffen.

Nun gibt es ein neues Handlungsprogramm für die Jahre 2021 bis 2024. Was unterscheidet es vom alten?
In vielerlei Hinsicht ähneln sich beide. Neu ist, dass wir drei übergreifende Herausforderungen identifiziert haben. Das eine sind pandemiebedingte Herausforderungen und deren Auswirkungen, dazu kommen die Verknüpfung von Querschnittsthemen, um Synergien zu erzeugen, sowie die Transparenz durch Kommunikation und Information. Man muss ja bedenken: An der Universität verweilt nur ein kleiner Teil der Menschen über eine längere Zeit – Studierende beenden ihr Studium, im wissenschaftlichen Bereich gibt es befristete Anstellungen. Wir müssen also immer wieder neu unsere Angebote, Strukturen, die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner kommunizieren.

Und was werden konkreter die Themen der Zukunft?
Spannende Frage. Ich denke, Themen wie Personalgewinnung und Personalentwicklung, also das große Thema Demografie. Wie sind wir als Universität und Arbeitgeberin weiterhin attraktiv? Wie können Studien- und Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass Arbeitsverdichtung und Überlastung vermieden werden? Wie schaffen wir es, Qualitätsstandards bei Querschnittsthemen wie Familiengerechtigkeit zu erfüllen? Sie sind ja auch Kriterium bei der Einwerbung von Drittmitteln. Wir werden zum Beispiel bei den Berufungen mit Auswirkungen der Pandemie zu tun haben: Gerade bei Eltern kann es sein, dass sich Qualifikationen verzögert haben, das wird in der Wissenschaft nicht immer so positiv bewertet. Auch das Thema Pflege muss immer wieder angesprochen werden. Bei den Studien- und Arbeitsbedingungen allgemein stellt sich die Frage: Was können wir aus der Erfahrung während der Pandemie mitnehmen? Es geht zum Beispiel um eine Flexibilisierung sowohl der Arbeitszeit als auch der Home-Office-Dienstvereinbarung. Das Thema haben wir schon lange verfolgt, die Dienstvereinbarungen werden gerade überarbeitet.

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