Schmale Ernte durch dicke Kabel?

02.03.2021 von Matthias Münch in Wissenschaft, Wissenstransfer
Führen unterirdisch verlegte Starkstromleitungen zur Austrocknung des Bodens und damit zu vermindertem Pflanzenwachstum? Agrarwissenschaftler der MLU untersuchen das in einem einzigartigen Pilotprojekt.
Jan Rücknagel (links) und Ken Uhlig begutachten im Gewächshaus Zuckerrübenpflanzen in speziell präparierten Pflanzsäulen. Sie sind Teil eines Forschungsprojekts zum Bau der Stromtrasse Südostlink.
Jan Rücknagel (links) und Ken Uhlig begutachten im Gewächshaus Zuckerrübenpflanzen in speziell präparierten Pflanzsäulen. Sie sind Teil eines Forschungsprojekts zum Bau der Stromtrasse Südostlink. (Foto: Maike Glöckner)

Es sieht futuristisch aus im Gewächshaus an der Julius-Kühn-Straße in Halle: 24 Säulen stehen im Raum, etwa 1,50 Meter hoch, einen halben Meter im Durchmesser und je einen Meter voneinander entfernt. Die Monolithen sind untereinander verkabelt, mit Messsonden versehen und werden von starken Lampen beschienen. Und: Auf jedem dieser dicken Rohre sprießt Grün. Was hat es mit diesem Versuch auf sich? Wird hier das Urban Gardening der Zukunft erforscht? Die Begrünung von Büroräumen?

„Es hat durchaus etwas mit Zukunft zu tun“, sagt PD Dr. Jan Rücknagel. „Genauer gesagt mit unserer künftigen Stromversorgung.“ Rücknagel ist Wissenschaftler am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften im Bereich Allgemeiner Pflanzenbau und Ökologischer Landbau der MLU. Gemeinsam mit Doktorand Ken Uhlig untersucht er, ob im Erdreich verlegte Starkstromkabel einen Einfluss auf das Wachstum und den Ertrag von Kulturpflanzen haben.

Auftraggeber des Projektes ist die 50Hertz GmbH. Gemeinsam mit dem bayerischen Netzbetreiber TenneT TSO GmbH ist sie verantwortlich für den Bau und Betrieb des Südostlinks – einer gigantischen Gleichstromtrasse, die 2025 in Betrieb gehen soll und im Zuge der künftigen Versorgung mit regenerativer Energie eine wichtige Rolle spielen wird. Die „Stromautobahn“ wird von Wolmirstedt im nördlichen Sachsen-Anhalt über Thüringen bis zum bayerischen Umspannwerk Isar bei Landshut verlaufen. Sie soll überschüssigen Windstrom aus dem Norden Deutschlands in den Süden transportieren, wo nach und nach die Kernkraftwerke vom Netz gehen. Gegen die Trasse regte sich Widerstand bei betroffenen Anwohnern und Kommunen, vor allem gegen die ursprünglichen Pläne, sie als Freileitung zu bauen. 2015 wurde im Bundesbedarfsplangesetz festgelegt, die 500-Kilovolt-Kabel bis auf wenige Ausnahmen unter der Erde zu verlegen.

Sogar an Regenwürmer gedacht

1,50 Meter hohe Pflanzsäulen prägen das Bild im Gewächshaus.
1,50 Meter hohe Pflanzsäulen prägen das Bild im Gewächshaus. (Foto: Maike Glöckner)

Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sind damit nun weitestgehend ausgeschlossen, doch ganz unproblematisch ist auch die Erdverkabelung nicht: „Zum einen werden durch die Verlegungsarbeiten die Bodenschichten verändert“, erklärt Jan Rücknagel. „Zum anderen strahlt ein Stromkabel dieser Dimension permanent Wärme ab.“ Obwohl das Kabel von Leerrohren geschützt in 1,40 Meter Tiefe liegt, sind Sorgen vor einer Erwärmung der oberen Erdschichten nicht unbegründet. Rücknagel: „Die Landwirte befürchten vor allem eine Austrocknung der Böden und damit Einbußen bei der Ernte.“ Für diese Ausfälle müsste der Netzbetreiber laut Gesetz eine Entschädigung zahlen.

Ob und in welchem Maße Ertragsausfälle zu erwarten sind, untersuchen die Agrarwissenschaftler der MLU seit November 2019. Die Forscher haben Erfahrungen mit solchen Auftragsprojekten und sehen keinen Interessenkonflikt in der Tatsache, dass der Auftraggeber zugleich der Akteur ist, der später mögliche Schäden regulieren müsste. „Zwischen der Uni und 50Hertz ist ein Vertrag geschlossen worden, der uns die freie Forschung garantiert“, sagt Rücknagel. „Noch bei keinem unserer Projekte hat es Versuche der Partner gegeben, Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen. Das ist diesmal nicht anders.“

Für möglichst realitätsgetreue Messungen überlassen die Forscher nichts dem Zufall: Die Erdschichten in den Zylindern entsprechen denen eines bewirtschafteten Ackers, wobei die Agrarwissenschaftler auch an verschiedene Standortbedingungen gedacht haben: „Wir haben mehrere Tonnen zweier Bodenarten nach Halle transportiert, die für Sachsen-Anhalt typisch sind – reinen bis schwachtonigen Schluff aus der Nähe von Bernburg, sandigen Lehm aus der Umgebung von Merseburg“, sagt Ken Uhlig. „Sogar Regenwürmer haben wir eingebracht.“ Auch klimatische Einflüsse werden berücksichtigt: Drei Bewässerungsstufen simulieren trockene, normale und überdurchschnittlich feuchte Jahre. Die Hälfte der Monolithen ruht auf einer Heizplatte, die andere ist unbeheizt und bildet die Kontrollgruppe. Zwölf mögliche Kombinationen aus Bodentyp, Niederschlagsmenge und Heizung gibt es, jede dieser Kombinationen haben die Forscher zweimal aufgebaut.

Typische Fruchtfolge

Bis zum April 2020 stand Sommergerste auf den jeweils 0,17 Quadratmeter großen Miniaturfeldern, nach einer Vegetationsruhe von vier Monaten wuchsen bis Januar 2021 Zuckerrüben im Gewächshaus. Im Februar wurde dann Weizen ausgesät. „Das entspricht einer typischen Fruchtfolge in der heimischen Landwirtschaft“, sagt Ken Uhlig. Einmal wöchentlich untersucht der Doktorand die Pflanzen, kontrolliert sie auf Schädlingsbefall, misst Wuchshöhe, Wurzelwachstum und Chlorophyllgehalt. Und natürlich den Ertrag: Wie viele Ähren stehen auf den Flächen, wie viele Körner haben sie ausgebildet und wie ist der Proteingehalt? Wie groß sind die Rüben und wieviel Zucker enthalten sie? Diverse Sonden, die Bodentemperatur und -feuchte messen, schicken zudem wöchentlich Daten direkt auf Uhligs Rechner.

Der Gefäßversuch hat den Vorteil, dass er frei von Witterungseinflüssen ist und viele Szenarien auf engstem Raum simulieren kann. „Untersuchungen im Freiland wird unser Projekt nicht ersetzen können, deshalb sind deutschlandweit bereits mehrere Feldversuche in Planung“, sagt Jan Rücknagel. Diese werden zum Beispiel auch zeigen müssen, wie groß der „Schadenkorridor“ genau ist – ab welchem seitlichen Abstand vom Stromkabel die Ernte also weniger oder gar nicht mehr beeinträchtigt ist. „Wir sind jedoch zuversichtlich, wertvolle Erkenntnisse für die weitere Forschung liefern zu können.“ Mit der Veröffentlichung von Ergebnissen wartet das Forschungsteam, bis alle relevanten Daten aus der gesamten Fruchtfolge vorliegen, um ein differenziertes Bild liefern zu können. Rücknagel: „Möglicherweise sind die Effekte auf die angebauten Kulturen unterschiedlich groß.“

PD Dr. Jan Rücknagel
Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften
Tel. +49 345 55-22655
Mail jan.ruecknagel@landw.uni-halle.de

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Agrarwissenschaften

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