Bäume mitten auf dem Feld: Wie Julius Nennewitz Landwirtschaft betreibt
„Bäume zu pflanzen macht mich glücklich“, sagt Julius Nennewitz, als er von einem Kamerateam bei seiner Arbeit auf dem heimischen Werragut in Eschwege begleitet wird. „Anders ackern“ lautet der Titel der Reportage – anders ackern sei auch seine Devise für die Zukunft, sagt der junge Landwirt. Zu der gehören seit etwa einem Jahr mehr als 1.000 Bäume und Sträucher, die auf einer zwölf Hektar großen Fläche des Betriebes angepflanzt wurden. Der Hintergrund: Nennewitz baut mit Gleichgesinnten ein sogenanntes Agroforstsystem auf, eine Landnutzung, bei der klassischer Nutzpflanzenanbau mit Gehölzen kombiniert wird. Konkret werden dafür auf dem Feld in regelmäßigen Abständen jeweils ein bis fünf Meter breite Baum- und Strauchreihen angelegt – in den 24 Meter breiten Bereichen dazwischen kann weiter wie bisher Landwirtschaft betrieben werden. Da die Agroforstfläche des Werragutes auf einem Hang liegt und die Gehölze quer zu diesem gepflanzt wurden, halten sie das Wasser in der Fläche. Und: Sobald sich erste größere Bäume und Sträucher etabliert haben, entsteht ein kühleres Mikroklima, weil sie die Fläche beschatten und Wasser aus tieferen Bodenschichten mobilisieren. So können längere Trockenperioden besser überstanden werden. Zudem fördern die Gehölzstreifen die Biodiversität, weil sie Lebensräume für Insekten bieten. „Ich möchte die ökologischen Vorteile des Agroforstsystems nutzen, um den Betrieb nachhaltig aufzustellen und zu zeigen, wie die Landwirtschaft lokal gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann“, sagt Nennewitz.
Landwirtschaft war schon immer Bestandteil seines Lebens. Aufgewachsen auf dem Werragut, das auch seine Großeltern und nach einer Pause seine Mutter bewirtschaftet haben, fing er zunächst eine landwirtschaftliche Lehre an. „Die Arbeit hat mir gefallen, aber die Berufsschule nicht“, sagt der Nord-Hesse. „Es wurde uns beispielsweise beigebracht, wie man Dünger einsetzt, aber nicht, warum man das macht, wie das Ganze funktioniert und ob man es nicht vielleicht auch anders machen könnte.“ Nach der Zwischenprüfung hat Nennewitz die Lehre abgebrochen und eine 15-monatige Süd- und Nordamerika-Rundreise unternommen, um sich anzuschauen, wie Landwirtschaft in anderen Regionen funktioniert.
Ein Schlüsselerlebnis war das Gespräch mit Landwirtinnen und Landwirten in Kanada, die zu seinem großen Erstaunen Raps noch immer in Monokultur – also ohne Wechsel in der Fruchtfolge – angebaut haben. Inklusive der Konsequenzen: vermehrter Schädlingsbefall, Krankheiten und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die irgendwann auch nicht mehr wirken. „Da habe ich realisiert: Wenn ich Antworten auf die Frage möchte, wie Landwirtschaft ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung gerecht werden kann, brauche ich einen umfassenderen Blick und muss studieren.“
2016 hat er sich für Halle als Studienort entschieden. „Mir hat das Flair gefallen. Halle ist eine Stadt, in der viel passiert und in der es gleichzeitig viele Rückzugsräume im Grünen gibt“, sagt er. An seinem Studiengang Agrarwissenschaften hat ihn das breite Angebot an Wahlpflichtkursen überzeugt. „Ab dem dritten Semester hat es viele Möglichkeiten gegeben, sich zu spezialisieren. Oft hatte ich das Gefühl: In diese Richtung möchte ich weiterdenken, das bringt mich weiter.“ Darüber hinaus hat er den Austausch mit Kommilitonen, sei es im Seminar, auf dem Hoffest oder in der Mensa, geschätzt. Insbesondere Diskussionen mit Studierenden, die potenziell einen Betrieb übernehmen wollen, hat Nennewitz gerne geführt. „Wir haben darüber debattiert, welche Spielräume wir bei der Übernahme eines Betriebes haben.“ Die Branche sei mit Rahmenbedingungen konfrontiert, die Landwirtinnen und Landwirte nicht in der Hand haben. Sind erst einmal Millionen in einen neuen Stall investiert, ist klar, wie ein Betrieb auf Jahrzehnte zu produzieren hat, obwohl unklar ist, wie sich Preise, Umwelt- und Tierschutzauflagen entwickeln. „Dadurch ergeben sich viele Ängste und Ungewissheiten, gerade in Anbetracht der großen Herausforderungen, vor die die Landwirtschaft gestellt ist“, sagt er.
Parallel zu seinem Studium hat er sich in der MLU-Studierenden-Initiative „Zukunftsfähige Landwirtschaft“ (Zulawi) engagiert und eine Vorlesungsreihe samt Seminar mit organisiert, um über die Zukunft der Landwirtschaft interdisziplinär zu diskutieren. Genau dieser Austausch war ein weiterer Grund für seine Entscheidung, an eine Voll-Universität mit vielen Disziplinen zu gehen. „Das Artensterben ist ein riesiges Problem. Wenn ich mit dieser Perspektive in ein Gespräch mit einer Studentin der Sozialwissenschaft gegangen bin, die sich mit sozialer Ungleichheit beschäftigt hat, ist mir klargeworden, dass man viele Perspektiven berücksichtigen muss und wir Lebensmittel produzieren müssen, die sich alle leisten können“, sagt Nennewitz. Bei Zulawi habe er sich auch um die Finanzen gekümmert, unter anderem Förderanträge geschrieben. „Davon profitiere ich noch heute“, berichtet er.
Nach seinem Bachelor-Abschluss ist Nennewitz in den Familienbetrieb eingestiegen, einen Biolandbetrieb mit 35 Hektar Acker- und 20 Hektar Grünland, einer Mutterkuhhaltung mit 20 Tieren, sechs mobilen Hühnerställen mit jeweils 225 Legehennen und 1.000 Masthähnchen im Feststall. Im Oktober 2022 hat der junge Biobauer zudem eine Hofbackstube eröffnet, in der er einmal pro Woche 100 Brote mit Mehl, gemahlen aus eigenem Korn, backt. „Während meines Studiums ist mir bewusst geworden, wie groß das Potenzial des Werragutes ist, neue Konzepte umzusetzen. Im Unterschied zu anderen landwirtschaftlichen Betrieben ist hier kein Kapital an große, langfristige Investitionen gebunden gewesen. Diesen Gestaltungsspielraum zu haben, ist ein großes Privileg.“ Im Austausch mit Freunden und anderen Landwirtinnen und Landwirten ist so die Idee für das Agroforstsystem entstanden. Dafür wurde der gemeinnützige Verein „Regenerative und soziale Landwirtschaft – ReSoLa“ gegründet, der die Finanzierung des Projekts über Crowdfunding in Angriff genommen hat. „Wir haben ein Video gedreht, regelmäßig auf Social Media gepostet, E-Mails verschickt und viel telefoniert. Das war eine Menge Arbeit, aber es hat sich gelohnt, weil wir bis Ende Dezember 2021 mehr als 71.000 Euro gesammelt hatten und dies ausreichend war, um das Projekt zu starten“, erzählt Nennewitz.
Angepflanzt wurden Bäume und Sträucher, die beerntbar sind. „Haselnuss, Walnuss, Maibeere, Feige, Kornelkirsche und Esskastanie, ich könnte noch mehr aufzählen.“ 15 Arten und 90 verschiedene Sorten kämen dann zusammen. In Zukunft sollen die Beeren, Früchte und Nüsse zu Müsliriegeln, Trockenfrüchten, Chutneys oder Säften veredelt werden.
Landwirtschaft hat für Nennewitz zudem eine soziale Komponente: Auf dem Hof leben drei Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit der Familie. Und: Im Verein ReSoLa, der die Gehölzstreifen gepachtet hat und bewirtschaftet, wurde eine Stelle für Projektkoordination und Bildungsarbeit geschaffen, die zur Hälfte von der Europäischen Union gefördert wird. Darüber hinaus arbeitet der Verein vor allem mit Hilfe von Spenden. ReSoLa bietet Führungen durch die Anlage und Seminare unter anderen zum Thema Agroforst an.
Nennewitz selbst hat parallel zur Arbeit auf dem Hof wieder ein Studium aufgenommen – diesmal allerdings nicht an der Saale, sondern in der Nähe des Werragutes in Witzenhausen, einem Standort der Uni Kassel, an dem er ökologische Landwirtschaft im Master studiert. Viel Arbeit neben all seinen Plänen auf dem Hof, die ihm wenig freie Zeit lassen. Da denkt er gern schonmal an seine Zeit der Ungebundenheit und Spontanität in Halle zurück.