Die Frau an der Königin der Instrumente

20.12.2023 von Katrin Löwe in Personalia
Seit ihrem neunten Lebensjahr spielt sie Orgel, jetzt in der Weihnachtszeit besonders häufig: Prof. Anna-Victoria Baltrusch ist vor zwei Jahren an die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik in Halle gekommen. Inzwischen ist sie auch die neue Universitätsorganistin der MLU.
Anna-Victoria Baltrusch ist die neue Universitätsorganistin.
Anna-Victoria Baltrusch ist die neue Universitätsorganistin. (Foto: Sabine Schünemann)

Wenn Anna-Victoria Baltrusch über ihren beruflichen Weg nach Halle spricht, dann erinnert sie sich ganz besonders an ihr Vorstellungsgespräch bei der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik (EHK). „Alles war verschneit, Halle sah aus wie auf einer Postkarte“, sagt sie. Die 34-Jährige verfällt dabei in einen schwärmerischen Ton – dabei ist der Winter mit Ausnahme vom Anblick hübsch verschneiter Innenstädte eigentlich gar nicht so ihr Ding. Womit wiederum umso mehr verwundert, dass sie einen Beruf, ja eine Passion hat, wo sie oft friert. Anna-Victoria Baltrusch ist Organistin. Und Kirchen sind selten kuschlig warmgeheizt. „Die schönsten Orgeln stehen auch meistens da, wo es kalt ist“, sagt sie.

Das, betont die Musikerin, sei aber auch der einzige Nachteil ihrer Leidenschaft für das Instrument. Und übrigens einer, der auf eine spezielle Orgel nicht zutrifft: die Sauer-Orgel, die seit 1926 in der Aula der MLU steht. Zu ihr hat Anna-Victoria Baltrusch inzwischen eine besondere Beziehung. Seit Beginn des Wintersemesters ist sie die neue Universitätsorganistin, hat die Nachfolge von Prof. Wolfgang Kupke angetreten. Der damalige Leiter der EHK hatte nach der 2007 abgeschlossenen Sanierung des Instruments angeboten, die Patenschaft für die Orgel zu übernehmen, um ihr die Bedeutung im kulturellen Leben der Universität und der Stadt zurückzugeben. 2012 wurde er zum ehrenamtlichen Universitätsorganisten ernannt – Anna-Victoria Baltrusch tritt nun in seine Fußstapfen. Neben dem Augenmerk auf den „Schatz“ in der Aula gehört auch die Begleitung der Unigottesdienste zu ihren Aufgaben, die wiederum in verschiedenen Kirchen stattfinden. Die letzten beiden in diesem Jahr haben am ersten und dritten Adventssonntag stattgefunden – mit Studierenden von Baltrusch.

Überhaupt: Die Weihnachtszeit ist traditionell eine eher geschäftige Zeit für Organistinnen und Organisten. Mit der Hochschule für Kirchenmusik hat Baltrusch das Weihnachtsoratorium in der Marktkirche gespielt, über die Feiertage wird sie in ihrer einstigen Heimatgemeinde in Berlin die Gottesdienste unterstützen. „In der Weihnachtszeit laufen immer musikalisch spannende Projekte“, sagt die Organistin. Und wie sieht es aus mit Lieblingsstücken? „Das ist keine leichte Frage“, sagt Baltrusch. Organisten müssten immer schauen, dass ein Stück zur Orgel passt. „Das gleiche Stück kann auf einer anderen Orgel sehr viel verlieren oder sehr viel gewinnen.“ Das werde häufig unterschätzt. Auf der kleinen Reichel-Orgel in der halleschen Marktkirche – auf ihr hat Händel Orgelspielen gelernt – könne man zum Beispiel 90 Prozent der Orgelstücke gar nicht spielen, weil schlicht die Tasten dafür fehlen. „Aber wenn man Musik aus der Zeit spielt, die für die Orgel passt, klingt fast nichts schöner.“ Ein anderes Beispiel: Ein kleines frühbarockes Stück auf einer großen Orgel wie in der Moritzkirche würde „in einem Klangbrei untergehen“. Das klassische Lieblingsstück habe sie mithin nicht, wohl aber eine favorisierte Richtung. Die deutsche Spätromantik ist heute ihr Schwerpunkt.

Frühe musikalische Karriere

Geboren und aufgewachsen in Berlin als Tochter von musikbegeisterten Historikern, hat Baltrusch schon mit vier Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Fünf Jahre später, mit neun, folgte die Orgel. „Das ist schon relativ früh“, sagt sie, die meisten beginnen mit dem Orgelspiel deutlich später. Aber immerhin hatte sie in diesem Alter eine der großen Hürden bereits genommen: mit den Füßen überhaupt die Pedale zu erreichen. Die zweite Hürde meisterte sie mit Hilfe ihrer Musikschullehrerin. Es war die Suche nach einem Ort, an dem sie üben kann. Mehrfach in der Woche – später auch täglich – spielte Victoria Baltrusch nun in einer kleinen Kirche in Berlin-Wilmersdorf. Auch damals konnte sie die Kälte nicht abhalten. Baltrusch wollte einfach Orgel spielen, auch wenn sie heute selbst gar nicht mehr sagen kann, ob es für diesen Wunsch einen Auslöser gab.

Dass auch ihre berufliche Zukunft in der Musik liegen wird, war irgendwann keine große Frage mehr. Sechs Siege im Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“, viele weitere Preise, mit 13 Jahren die Aufnahme als Jungstudentin an der Universität der Künste in Berlin – ihre Beschäftigung mit Musik war mehr als Hobby, sie war schon „ziemlich professionell“. Wobei: „Psychologie ist auch ein wahnsinnig spannendes Fach“, sagt die Berlinerin. Es wurde trotzdem die Kunst. Nach dem Abitur studierte sie Kirchenmusik und Klavier in Freiburg/Breisgau. Im Anschluss hat sie fünfeinhalb Jahre in Zürich als Kirchenmusikerin gearbeitet – hat Gottesdienste und Kinderkrippenspiele begleitet, ist auf Weihnachtsfeiern aufgetreten, hat einen Kammer- und den Gemeindechor geleitet, zwei Konzertreihen organisiert.

Professorin mit Liebe zur Praxis

Seit 2021 ist Baltrusch nun Professorin an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik in Halle, betreut Studierende in den Fächern künstlerisches und liturgisches Orgelspiel. Darüber hinaus spielt sie selbst oft Konzerte. „Ich möchte für mich selbst die Praxis behalten, Dinge ausprobieren, vielleicht auch einmal mit Studierenden gemeinsam einen Gottesdienst gestalten.“ Auch vor diesem Hintergrund habe sich sehr gefreut, als sie im Sommersemester gefragt wurde, ob sie als Universitätsorganistin die Nachfolge von Wolfgang Kupke antreten könne. Dazu kommt: „Für uns als Hochschule ist es auch toll, die Verbindung zu den Theologen zu haben – unsere Studierenden werden später schließlich einmal deren Kolleginnen und Kollegen sein.“ 17 Studentinnen und Studenten gibt sie derzeit Einzelunterricht, zum Teil in der Hochschule, zum Teil in Kirchen.

Wettbewerbs-Teilnahmen, eigene Konzertreihen im In- und Ausland, jetzt die Lehre: Anna-Victoria Baltrusch hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Orgeln kennengelernt. Persönlich, sagt sie, liebe sie die Orgel im Berliner Dom sehr, eine Sauer-Orgel aus dem Jahr 1905, „eines der grandiosesten Instrumente, die es gibt“. Aber auch im Dom Halle stehe ein Instrument, dessen Tasten zwar unfassbar schwer gehen, das aber einen grandiosen Klang im Raum habe. Und natürlich ist da noch die Uni-Orgel, an der sie auch schon gespielt hat. Ein Instrument, das von der Anlage her auf das 16. Jahrhundert zurückgehe, dessen Bauform aber spätromantisch sei, wie sie beschreibt. Anna-Victoria Baltrusch findet dafür einige Adjektive: experimentell, spannend, toll, besonders. Und sie hat einen Wunsch, passend zur Weihnachtszeit: Irgendwann will sie noch ein komplettes Antrittskonzert auf dem Instrument spielen.

Konzert im Januar

Im Januar spielt Anna-Victoria Baltrusch ein Konzert ihrer Reihe in der Konzerthalle Ulrichskirche:

KLANGKOSMOS ORGEL - Weimar 1850
Romantische Orgelmusik aus Mitteldeutschland von Liszt und anderen.
Orgel: Anna-Victoria Baltrusch
24. Januar 2024, 18 Uhr
Konzerthalle Ulrichskirche
Eintritt frei

Kategorien

Personalia

Schlagwörter

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden