Auf sportlicher Mission: Eine Hallenserin in Indien
Drei Meter breit und zehn Meter lang. Ein karger Platz zwischen den Häusern der Stadt Chennai. Das war der Sportplatz, auf dem Jana Conrad Anfang 2009 begann, im Auftrag einer Hilfsorganisation Sportunterricht zu geben. "Nicht gerade optimale Voraussetzungen", berichtet Conrad, die an der MLU Sport und Ethnologie mit dem Länderschwerpunkt Indien studiert und im vergangenen Jahr zum Einfluss des religiösen Glaubens auf Leistungssportler promoviert hat. "Umso befriedigender ist es jetzt zu sehen, was sich daraus entwickelt hat", fügt sie mit Freude und Stolz in der Stimme an.
Ein Praktikum hatte Conrad im Spätsommer 2008 zum ersten Mal nach Chennai, die viertgrößte Stadt Indiens, geführt. "Ich wollte mich nach Abschluss meines Studiums beruflich orientieren und die Zeit bis zu meiner Promotion sinnvoll nutzen. Dabei bin ich auf die Relief Foundation gestoßen, die sich für eine Reformierung des Schulwesens in Indien einsetzt", erklärt die Sportwissenschaftlerin. "Während meines zweimonatigen Praktikums habe ich dann erstmal Englischunterricht an einer Schule gegeben, mir nebenbei Stadt und Region angeschaut und mich schon nach wenigen Tagen hier unheimlich wohl gefühlt. Das Leben und die Kultur zu erkunden, war sehr aufregend, denn in Indien ticken die Uhren ganz anders als in Deutschland."
Nicht nur, dass Klima, Essen und Straßenverkehr in der Millionenmetropole anderen Gesetzmäßigkeiten und Traditionen folgen. Auch der (Schul-)Sport wird in Indien anders gehandhabt als in ihrer Heimat, stellte Conrad schnell fest: "Es gab nämlich an der Schule, an der ich im darauffolgenden Jahr zu arbeiten begann, gar keinen richtigen Sportunterricht", meint Conrad, "sondern lediglich Kricket für die Jungs und eine Art Volleyball für die Mädchen." Generell sei den Kindern allerdings recht wenig Bewegung im Sinne von Sport vermittelt worden. "Die Lehrer, die für den Sportunterricht verantwortlich waren, hatten meist noch nie selbst einen Sport aktiv ausgeübt. Gerade mit Blick auf Chennais eher unrühmlichen Titel als 'Diabeteshauptstadt' Indiens ist das ein Unding", mahnt die Sportwissenschaftlerin.
"Ein riesiger Unterschied – für beide Seiten"
Und so wurde ihr die Aufgabe zuteil, den dortigen Sportunterricht neu zu gestalten, die Mädchen und Jungen ans Laufen, Springen und Werfen heranzuführen und vor allem auch die anderen Lehrer für das Thema zu sensibilisieren. Daneben bildet sie an einem Community College am Rande Chennais derzeit zwei angehende Sportlehrer aus: "Der Schwerpunkt liegt dabei insbesondere darauf, wie sie Sport vermitteln und mit den neu geschaffenen Sportangeboten vor Ort richtig umgehen können und sollten", berichtet die Sportethnologin. "Denn seit dem vergangenen Sommer verfügt die Schule über Sportplätze, die diesen Namen auch verdient haben. Mit Basketballfeld, Weitsprunggrube und Laufbahn."
Wenn Conrads erste Sportstudenten im kommenden Sommer ihren Abschluss machen und somit ihr aktuelles Projekt seinen erfolgreichen Abschluss findet, will die Sportwissenschaftlerin aber vorerst noch nicht nach Deutschland zurückkehren. "Über meine Tätigkeit mit den Schülern und Studenten habe ich festgestellt, dass mir auch das Unterrichten sehr viel Spaß macht. Ich könnte mir aber auch vorstellen, in näherer Zukunft an eine Universität zu gehen und wieder wissenschaftlicher zu arbeiten. Vielleicht hier in Indien, vielleicht auch in einem anderen Land", erklärt die 35-Jährige.
"Ich kann nur jedem raten, während des Studiums oder danach für eine längere Zeit ins Ausland zu gehen", fügt Conrad hinzu. "Mich in einer komplett anderen Kultur mit täglich neuen Herausforderungen zurechtzufinden und zu leben, hat mir menschlich sehr viel gebracht. Ich habe sozusagen live gelernt, was interkulturelle Kommunikation bedeutet und dass man mit viel Feingefühl und Verständnis füreinander gemeinsam viel bewirken kann." Außerdem, so fügt Conrad an, haben die großen Freiheiten, die ihre Vorgesetzten ihr bei der Aufbauarbeit eingeräumt haben , sie positiv überrascht – und gefordert: "Ich habe sehr unabhängig arbeiten können und das Zwei-Jahres-Programm für die Sportlehrerausbildung quasi selbst erdacht und umgesetzt. Das hat mich auch beruflich unheimlich weitergebracht."