Chance oder Gefahr? Was bringt uns ChatGPT?
Drei Statistiker gehen zum Jagen in den Wald. Sie sehen ein Reh und wollen es erlegen. Der erste schießt – fünf Meter links vorbei. Der zweite schießt – fünf Meter rechts vorbei. Der dritte springt in die Luft und jubelt: „Wir haben getroffen!“
Na? Gelacht? Den Witz hat ChatGPT der Mathematikerin Prof. Dr. Rebecca Waldecker „erzählt“. Ob ihn wirklich jeder lustig findet, konnte am Dienstagabend freilich dahingestellt bleiben. Denn er diente lediglich als launiger Abschluss einer ebenso kurzweiligen wie kontroversen Debatte darüber, wie Künstliche Intelligenz das Lehren und Lernen verändert, welche Chancen sie bietet, aber auch welche Gefahren sie birgt. „Chatbots in der Hochschulbildung: Revolutionieren sie das Lernen?“ lautete der (übrigens von ChatGPT selbst vorgeschlagene) Titel der von Rebecca Waldecker moderierten Runde zum Abschluss des Tages der Lehre. Im Podium für die Seite der Lehrenden saßen Dr. Anne Fett vom Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften, die Historikerin Dr. Katrin Moeller, der Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Stefan Sackmann und Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Daniel Wrana. Die Studierenden vertrat Hannah Schwaß (Informatik und Deutsch auf Lehramt an Gymnasien).
Von den Podiumsmitgliedern verzichtet bisher nur Anne Fett auf ChatGPT – die Skepsis überwiege für sie klar gegenüber dem möglichen Nutzen, sagte sie, die gesellschaftspolitischen Folgen seien noch nicht absehbar. So waren es vor allem ihre Diskussionspartner*innen, die von bisherigen Erfahrungen berichteten – und dem Einfluss auf die Lehre und das Lernen. Programmieren könnte ChatGPT gut, merkte etwa Hannah Schwaß an, in der Theoretischen Informatik sei das Tool aber „erstaunlich schlecht“. Wirtschaftsinformatiker Sackmann hat die Erfahrung gemacht, dass Antworten von ChatGPT von seinen Studierenden sehr wohl diskutiert werden, selbst wenn sie auf die gleiche Frage vorher keine Antworten gegeben haben.
Es gibt, das wurde in der abendlichen Runde klar, durchaus Vorteile und positive Überraschungen der seit einigen Monaten heiß diskutierten KI. ChatGPT könne gut zusammenfassen und „nette E-Mails schreiben“, was viel Zeit spare, fand etwa Sackmann. Mit Hilfe des Bots könne man gut strukturieren, Muster in Texten erkennen, Wissensfelder erkunden, fügten seine Diskussionspartner*innen hinzu. Zu den Vorteilen kamen aber auch negative Erfahrungen: Moeller merkte an, dass ihr Informationen über Quellen für Texte des Bots fehlen. Und sie die Gefahr sehe, dass Wissen, welches noch nicht im Netz verfügbar sei – in ihrem Fach sei in den Archiven erst zwei bis fünf Prozent digitalisiert – vergessen wird.
In der Logik des Bots liegt es, die wahrscheinlichste Antwort zu liefern. Es sei deshalb auch wichtig, etwas klar zu machen, sagte Moeller: „Wahrscheinlichkeit ist nicht Wahrheit“. Man müsse fragen, wie wir die Fähigkeit gewinnen, etwas einzuordnen, merkte auch Daniel Wrana an. Genau auf diese Fähigkeit, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden, kamen die Diskutierenden im Verlauf des Abends mehrfach zurück. Kann ChatGPT helfen, die Verschulung eines Studiums zu beenden, in dem streng standardisiert Prüfungswissen abgefragt wird? Oder ist es nicht gerade dieses Faktenwissen, das jetzt benötigt wird, um die Antworten der Künstlichen Intelligenz richtig einzuschätzen?
Auf Anregung aus dem Publikum wurde zudem diskutiert: Wird KI zur Gefahr für einzelne Berufe, insbesondere die Geisteswissenschaften? Katrin Moeller glaubt das nicht. Zum einen hatte sie bereits aus der Erfahrung ihrer Kinder berichtet, die eine Abi-Arbeit zu einem vergleichsweise gängigen Thema mit Hilfe von ChatGPT schreiben wollten – und schnell gemerkt hätten, dass es keine wissenschaftliche Hausarbeit gewesen ist, die da entstand. Innovation hätten immer den Effekt, dass sich Menschen fragen: Oh Gott, wie geht es jetzt weiter? „Aber es geht weiter und beflügelt uns. Von daher sehe ich das positiv“, sagte sie. Es dürften eher stupide Arbeiten an den Bot abgegeben werden, „da bleibt noch sehr viel“.
Und es bleibt, das wurde deutlich, auch noch viel zu diskutieren: über Rechtsprobleme, Fragen nach finanziellen Schranken, über die künftige Förderung des wissenschaftlichen Schreibens, über Konsens und Kontroverse. Und über Fragen wie die, was unser Denken künftig auszeichnet im Vergleich zu dem „Erwartbaren“, was die KI liefert. Wahrscheinlich wird es nicht auf alles einfache Antworten geben. Die gab es auch auf eine der letzten Fragen der Moderatorin nicht, ob schlechte Studierende durch ChatGPT eher schlechter und gute eher noch besser werden. Schon an der Unterscheidung von guten und schlechten Studierenden schieden sich hier die Geister.