„Das Rektorat hat sich keine Zeit gelassen“
Sie sind mit der Erfahrung aus Ihrer Zeit als Dekan und Senatsmitglied in das Amt des Rektors gestartet. Gibt es dennoch etwas, das Sie überrascht hat?
Christian Tietje: Auch wenn man die Universität zu kennen meint, entdeckt man tatsächlich viel Neues, weil man noch mehr hinter die Kulissen schaut. Auch die Komplexität dessen, was auf einen Rektor tagtäglich zukommt, ist neu. Das ist nicht überraschend und überhaupt nicht negativ, sondern sehr spannend - aber schon neu.
In der Politik wird gern eine 100-Tage-Bilanz gezogen. Wie sähe Ihre aus?
Ich habe bereits als Kandidat gesagt: Wir haben keine 100 Tage. Das Rektorat hat sich keine Zeit gelassen, konnte es auch nicht. Tenure-Track-Programm oder Professorinnenprogramm sind nur Beispiele, wir haben sofort Herausforderungen gehabt. Wenn man trotzdem bei den 100 Tagen bleibt: Ich bin angetreten mit dem Stichwort Kommunikation – in die Universität reinzuhören und etwas von der Universität zu hören. Ich habe den Eindruck, dass es dafür ein starkes Bedürfnis gab. Zum neuen Gesprächsformat „Rektorat im Dialog“ bekomme ich ausgesprochen positive Rückmeldungen. Das Persönliche im Hörsaal ist trotz aller intensiven Aktivitäten über soziale und viele andere Medien doch noch ganz wichtig.
Bei Ihren Fakultäts-Besuchen wurden einige Probleme benannt. Wie viele sind realistisch lösbar?
Um umgehende Lösbarkeit geht es, glaube ich, gar nicht so sehr. Die Mitglieder der Fakultäten wissen, dass wir manche Probleme nicht von heute auf morgen lösen können. Es geht darum, dass wir daran arbeiten, uns ihrer bewusst sind. Wir haben sehr fakultätsspezifische Probleme und strukturelle Herausforderungen, die die gesamte Universität betreffen. Das sind zum Teil Dinge, von denen wir wissen, beispielsweise, dass wir in der elektronischen Abwicklung von Verwaltungsvorgängen noch nicht optimal aufgestellt sind. Das wird in unserer Bilanz der Gespräche prominent auftauchen, dadurch ist auch der Handlungsdruck größer geworden. In anderen Bereichen, nehmen wir die Überlast in der Lehramtsausbildung, hilft uns der Dialog, um politisch Druck zu machen in der Landesregierung. Wir können authentischer sagen: Hier haben wir echt Probleme. Ein weiteres Beispiel ist die Zeiterfassung bei nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern. Darüber muss man mit dem Personalrat reden. Wir haben jetzt noch einmal gute Argumente, das anzugehen.
Gibt es Pläne, „Rektorat im Dialog“ über das Semester hinaus fortzusetzen?
Wir wollen im Dialog bleiben. Sicher muss man nicht in jedem Semester jede Fakultät besuchen, das ist auch ein zeitlicher Faktor. Eine Idee wäre, „Rektorat im Dialog“ vielleicht auch ab und zu elektronisch zu realisieren.
Wo wir bei modernen Medien sind: Seit ihrem Amtsantritt twittern Sie persönlich …
Ja, aber als Rektor.
Sind Sie der einzige zwitschernde Rektor?
Es twittern sicher auch andere Rektoren oder sind bei Facebook aktiv. Aber vielleicht als Anekdote: Wir hatten Hochschulrektorenkonferenz an der Universität Lüneburg und ich habe die Begrüßung des Rektors fotografiert und getwittert. Am nächsten Tag kam ein Mitarbeiter auf mich zu und sagte, ich sei noch schneller gewesen als die Pressestelle – und der einzige.
Zurück zur Uni, Stichwort Geld. Sie sind überzeugt, dass der Hochschulpakt von Bund und Ländern verstetigt wird. Auch Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Armin Willingmann hat zu Ihrer Investitur gesagt, die Uni müsse sich ob der Haushaltsdebatte im Land keine Sorgen machen. Wie sorgenfrei kann die MLU in die Zukunft sehen?
Eine Universität kann nie sorgenfrei sein. Aber die ganz großen Sorgen, die uns in den vergangenen Jahren plagten, haben wir nicht mehr. Wir werden einen Haushalt haben, mit dem wir vernünftig arbeiten können, der allerdings nie ein komplett ausfinanzierter Haushalt sein wird. Das gilt für das gesamte deutsche Universitätssystem. Es gibt einen Unterschied zwischen Sparauflagen und nicht ausfinanziertem Haushalt – wir befinden uns dazwischen. Unabhängig vom Haushaltsgesetz des Landes wird die Martin-Luther-Universität 2019 ein Investitionsprogramm auflegen, das sowohl den Naturwissenschaften als auch den Geistes- und Sozialwissenschaften zugutekommt.
Es stehen auch neue Zielvereinbarungen mit dem Land an. Welche sind für Sie die wichtigsten Punkte und wie optimistisch sind Sie?
Wichtig ist verstärkte Flexibilität im Personalbereich, das heißt, dass die Stellenplanhoheit auf die Universität übertragen wird. Dazu kommen zum Beispiel eine nachhaltige Finanzierung von Großgeräte-Anschaffungen, eine 100-prozentige Übernahme der Tarifsteigerungen, mindestens ein Inflationsausgleich für den Haushalt insgesamt und eine längere Laufzeit der Zielvereinbarung. Mit dem Wissenschaftsministerium haben wir einen Partner, der die Hochschulen unterstützt. Vom Finanzministerium und dem Landtag erhoffe ich mir diese Unterstützung auch.
Kommen wir zu Forschung und Lehre. Bei der jüngsten Runde der Exzellenzstrategie des Bundes ist die MLU leer ausgegangen. Was kann das Rektorat ändern?
Was wir tun können, tun wir schon. Eines der ersten Dinge, die Prorektor Wolfgang Paul angegangen ist, ist eine schonungslose Aufarbeitung der Begutachtung unserer Exzellenzanträge. Wir wissen aus den Gutachten, dass das Defizit nicht ausschließlich bei uns liegt, sondern auch in strukturellen Problemen, die aus den viel zu langen Sparrunden der jüngeren Geschichte resultieren. Das ist ganz klar ein Hinweis an die Politik: Wir brauchen einen Aufwuchs in der Finanzierung. Und: Wir sehen als Rektorat kritisch, dass in den vergangenen Exzellenz-Runden nicht hinreichend langfristig geplant wurde. Wir arbeiten bereits jetzt daran, beim nächsten Mal erfolgreich zu sein.
Sie haben zuletzt auch betont, dass sich Exzellenz nicht nur auf Forschung fokussieren dürfe. Wie wird Lehre exzellenter?
Wir brauchen eine vernünftige Betreuungsrelation, wir brauchen Personal angesichts der Masse an Studierenden – die wir gerne haben, das ist mir wichtig zu betonen. Wir müssen uns zweitens Gedanken machen über die Studieneingangsphase, da sehen wir zunehmend eine Diskrepanz zwischen Anforderungen von Dozentinnen und Dozenten und dem, was junge Menschen mitbringen. Drittens müssen wir über die Struktur des Studiums nachdenken. Im Bereich multimediales und digitales Lernen ist noch Potenzial.
2018 wurden weitere internationale Kooperationen vereinbart. Wohin gehen die Pläne?
Wir wollen, ohne andere auszuschließen, mit Fokus auf die Verbindung von Europa, Mittelasien und Afrika arbeiten, was man heute auch als Neue Seidenstraße bezeichnet. Zweites Standbein ist und bleibt Nordamerika. Dabei wollen wir auch qualitativ fokussierter arbeiten, in der Wissenschaft und in der Studierendengewinnung. Das Rektorat hat gerade mit einer sechsstelligen Summe ein Programm aufgelegt, in dem es darum gehen soll, mehr ausländische Studierende zu gewinnen. Daran haben wir auch ein strategisches Interesse, insbesondere in Fächern, in denen es zunehmend schwer fällt, die vorgesehenen Zahlen nur mit deutschen Bewerberinnen und Bewerbern zu erreichen. Gerade in den MINT-Fächern haben wir eine Herausforderung.
Zuletzt eine private Frage: Auch Familienfreundlichkeit gehört zu Ihren zentralen Themen. Wie viel Zeit bleibt als Rektor für Familie und Ihr Hobby Triathlon?
Sicher nochmal ein bisschen weniger. Meine Frau ist auch berufstätig, mein älterer Sohn auf dem Sportgymnasium, der jüngere in der Kita. Der Tag ist also ohnehin für die einzelnen Familienmitglieder ausgefüllt. Wir versuchen, zusammen Abendbrot zu haben, weil mir die Zeit, bis die Kinder ins Bett gehen, wichtig ist. Das funktioniert auch meistens. Beim Sport wird es 2019 wahrscheinlich nicht wieder ein Ironman werden, aber eine kleinere Distanz im Triathlon steht auf dem Programm, auch ein Radmarathon und eine Mountainbike-Tour.
Das Interview ist Teil des Jahresmagazins 2018, das gerade erschienen ist: Download
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