Ein Erneuerer, begeisterter Wissenschaftler und begnadeter Lehrer
Günther Schillig wurde am 16. August 1930 als Sohn eines Juristen und einer Lehrerin in Leipzig geboren. Im Jahre 1951 nahm er das Studium der Landwirtschaftswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena auf, welches er 1954 mit der Prüfung zum Diplomlandwirt abschloss. Ebenfalls in Jena folgte ein zweijähriges Ergänzungsstudium im Fach Chemie.
Daneben widmete er sich ab 1955 seiner Dissertation „Über den Gehalt mitteldeutscher Böden an Magnesium und dessen Bindungszustand“, mit der er 1957 zum Dr. agr. promoviert wurde. Sein akademischer Lehrer war Prof. Dr. Gerhard Michael, der seit 1947 Professor mit Lehrstuhl für Agrikulturchemie und Direktor des Landwirtschaftlich-Chemischen Instituts in Jena war.
Die Arbeiten über das Verhalten von radioaktivem Strontium in der Pflanze bildeten die Grundlage der Habilitationsschrift aus dem Jahre 1960. Er erhielt die Venia legendi für das Fachgebiet Agrikulturchemie in Jena. Im gleichen Jahr kehrte Gerhard Michael der DDR den Rücken.
Schilling wurde 1960 kommissarischer Leiter des Landwirtschaftlich-Chemischen Instituts. 1961 erfolgte die Berufung auf die Professur für Pflanzenernährung und Bodenkunde sowie die Ernennung zum Direktor des Instituts. Damit war er mit knapp 31 Jahren der seinerzeit jüngste Hochschullehrer in der DDR.
Im Zuge der 3. Hochschulreform im Jahre 1969 wurde die Landwirtschaftliche Fakultät in Jena geschlossen und Schilling im Jahre 1970 als Professor für Physiologie und Ernährung der Kulturpflanzen an die Martin-Luther-Universität berufen. Auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1995 blieb er seinem Fach treu und war weiter als Forscher und akademischer Lehrer aktiv.
Nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen war Günther Schilling ein weltweit respektierter Gesprächspartner, sondern auch in der Agrarpraxis. In zahlreichen Vorträgen konnte er seinem Auditorium stets die komplizierten Zusammenhänge zwischen der Dynamik von Nährelementen im Boden, den pflanzen- und ertragsphysiologischen Prozessen in Pflanzenbeständen sowie der Düngungspraxis verständlich erklären.
In Jena befasste sich Günther Schilling zunächst mit dem Bindungszustand der Nährelemente in Böden und entwickelte darauf aufbauend Extraktionsmethoden zur Bestimmung pflanzenverfügbarer Nährstoffe. Auf dieser Grundlage war es möglich, Empfehlungen für die mineralische Ergänzungsdüngung in der landwirtschaftlichen Praxis zu formulieren. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit war die Anwendung der Tracertechnik – dem Einsatz radioaktiver und stabiler Isotope –, mit der er wichtige ertragsbildende Prozesse in Kulturpflanzen aufklären konnte.
In Halle begann Schilling verstärkt, die klassischen Pfade der Pflanzenernährungslehre zu verlassen und befasste sich zunehmend mit den biochemischen und physiologischen Prozessen der Ertragsbildung und den Prinzipien ihrer Verknüpfung. Die stoffwechselphysiologischen Arbeiten führten u.a. zu der Erkenntnis, dass die agronomisch unerwünschte Halmverlängerung bei Weizen und Gerste durch Dünger-Stickstoff auf die Stimulation bestimmter Pflanzenhormone zurückgeht. Die Entwicklung antagonistisch wirkender Substanzen durch das Team um Günther Schilling führte schließlich zur Entwicklung patentierter pflanzenspezifischer Wachstumsregulatoren. Weitere Forschungsfelder waren die Effizienz der Luft-Stickstoff-Bindung durch Leguminosen (Hülsenfrüchte) und die Analyse von Wurzelabscheidungen in die Rhizosphäre. Das sehr weitsichtige Ziel dieser Forschungen war, die Aufwendungen von Mineraldüngern in der Landwirtschaft zu reduzieren.
Günther Schilling war ein begnadeter Lehrer. Er hatte die Gabe, den Studierenden sein Fach in der ganzen Breite zu vermitteln. Darüber hinaus konnte er mit großem didaktischen Geschick seine Disziplin mit den Nachbarfächern eng vernetzen. Im Kreise der Studierenden bleibt bis heute das Praktikum der Pflanzenernährung besonders in Erinnerung, welches in Anlehnung an den großen hallischen Komponisten, G. F. Händel, als „Schilling-Festspiele“ firmiert.
Seine Begeisterung für die Wissensvermittlung fand ihren Niederschlag in anerkannten Lehrbüchern. Schilling hatte die Federführung für das Hochschullehrbuch „Pflanzenernährung und Düngung“, welches 1982 und 1987 in zwei Teilbänden in der DDR aufgelegt wurde. Im Jahre 2000 erschien sein Lehrbuch „Pflanzenernährung und Düngung“ im Ulmer-Verlag, Stuttgart, als Standardwerk. Aus der Forschungstätigkeit sind mehr als 231 wissenschaftliche Publikationen hervorgegangen. 42 Doktoranden und zehn Habilitanden zählen zu seinen Schülern.
Aufgrund seiner Forschungsleistungen wählten ihn drei Akademien zu ihrem Mitglied:
- Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zu Berlin (1968)
- Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (1969)
- Matica srpska, Novi Sad, Serbien (1986)
Für wissenschaftliche Verdienste erhielt er verschiedene Auszeichnungen, darunter:
- Medaille und Diplom des VII. Internationalen Düngerkongresses in Moskau (1976)
- Nationalpreis für Wissenschaft und Technik der DDR, Stufe III (1982)
- Thomasius-Medaille, Halle (1988)
- Dr.-Heinrich-Baur-Preis, TU München-Freising (1994)
- Sprengel-Liebig-Medaille in Gold des Verbandes Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten (VDLUFA) (1997)
Gepflegte Umgangsformen, soziale Kompetenz, strukturiertes Denken sowie Entscheidungs-, Kompromiss- und Konfliktfähigkeit waren die Eigenschaften Günther Schillings, welche ihn für höhere Ämter in der universitären Selbstverwaltung befähigten.
In der seit mehr als vierzig Jahren ersten freien Wahl an der Universität wurde er am 11. Mai 1990 zum Rektor der MLU gewählt. In seiner Amtszeit war es die vorrangige Aufgabe, die jahrzehntelang zentralistisch bevormundete Hochschule in eine weltoffene, der akademischen Freiheit verpflichtete Universität umzugestalten unter Aufrechterhaltung des vollen Lehrbetriebes.
Ihm ging es zunächst darum, der hallischen Universität einen Platz in der deutschen Hochschullandschaft auf Augenhöhe zu sichern. Unter Schillings Ägide wurden der Martin-Luther-Universität als einer der ersten ostdeutschen Hochschulen die Mitgliedschaften in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gewährt. Schilling erwarb sich auf Bundesebene schnell Respekt, wurde im November 1990 Mitglied im Präsidium der HRK und von 1991 bis 1995 für zwei Amtszeiten zu deren Vizepräsidenten gewählt.
Parallel zur personellen, inhaltlichen und strukturellen Erneuerung im Innenverhältnis der Universität begann auch eine Umstrukturierung der Hochschullandschaft Sachsen-Anhalts insgesamt, für die er sich als Präsident der Landesrektorenkonferenz persönlich einsetzte. So wurden im Landesinteresse Verhandlungen mit der Pädagogischen Hochschule Halle-Köthen sowie mit der Technischen Hochschule Merseburg zu deren Integration in die Universität aufgenommen.
Im Rückblick fällte Schilling alle seine Entscheidungen mit Augenmaß und unter Berücksichtigung juristischer, verwaltungstechnischer und besonderer Sachzwänge der unmittelbaren Nachwendezeit.
Sein persönliches Vermächtnis der Rektoratszeit lässt sich nach eigenem Bekunden wie folgt zusammenfassen:
- Die weltweite geistige und materiell-technische Öffnung der Universität mit entsprechenden Reise- und Austauschmöglichkeiten;
- Zuschnitt aller Studiengänge auf die Anforderungen an die Absolventen in einem demokratischen, freien Staatswesen einschließlich der dafür notwendigen Veränderungen im Lehrkörper;
- Weiterentwicklung der materiellen Ausstattung der Universität zur Sicherung des beschrittenen Weges.
In unruhiger Zeit hat sich Günther Schilling um die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sehr verdient gemacht.
Zwei Monate vor seinem Tod verlieh ihm der Ministerpräsident, Dr. Reiner Haseloff, den Verdienstorden des Landes, die höchste Auszeichnung in Sachsen-Anhalt.
Ehrung für verstorbenen Rektor
Die Universität wird ihren verstorbenen Rektor Günther Schilling zu einem späteren Zeitpunkt mit einer Veranstaltung ehren. Seit heute liegt ein Kondolenzbuch im Historischen Sessionssaal des Löwengebäudes aus. Bis zum 14. September können sich alle, die ihre Anteilnahme bekunden wollen, eintragen. Der Saal steht von 9 bis 15 Uhr offen.
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