„Ein Gefühl wie vorlesungsfreie Zeit“- Christoph Weiser geht nach 26 Jahren

19.07.2023 von Katrin Löwe in Personalia
Der Bologna-Prozess, doppelte Abiturjahrgänge, der Aufbau des Zentrums für multimediales Lehren und Lernen: Es sind acht herausfordernde Jahre gewesen, in denen Prof. Dr. Christoph Weiser als Prorektor für Studium und Lehre tätig war. Nach insgesamt 26 Jahren an der MLU ist er inzwischen im Ruhestand, bleibt Halle und seiner Uni aber treu.
Christoph Weiser vor dem Melanchthonianum, in dem er acht Jahre lang als Prorektor gewirkt hat.
Christoph Weiser vor dem Melanchthonianum, in dem er acht Jahre lang als Prorektor gewirkt hat. (Foto: Maike Glöckner)

Die Reaktion seiner Stiefmutter auf seine Pläne, 1997 als Professor nach Halle zu wechseln, hat Christoph Weiser noch im Ohr. Sie begann mit „um Gottes Willen“ und endete mit einer wenig schmeichelhaften Darstellung der Saalestadt. An seine Ankunft in Halle erinnert sich Weiser auch: Sauber sei es gewesen, „nicht eine Kippe“ habe am Bahnhof gelegen. Die Fußgängerzone hinunter in die Stadt habe ihn fasziniert. „Insgesamt war es kein schlechter Eindruck“, sagt der 66-Jährige, auch wenn Gebäude noch unsaniert waren. Dass er bei seiner ersten Vorlesung im damals noch von der Uni genutzten Tschernyschewksi-Haus (heute Leopoldina), bange nach oben geschaut hat „in der Hoffnung, dass einem die Decke nicht auf den Kopf fällt“, taugte letztlich nur für spätere Anekdoten. Selbst seine Frau war bald von den Vorteilen der Stadt überzeugt – geholfen habe dabei der Blick auf viel Grün vom Turm im Bergzoo aus, so der Wirtschaftswissenschaftler. Fünf bis sechs Jahre Probezeit wollte sich die Familie an der Saale geben, schon nach drei Jahren stand fest: Hier will sie auf keinen Fall wieder weg.

26 Jahre sind es geworden. Weisers längst erwachsene Töchter hat es inzwischen doch in andere Teile Deutschlands verschlagen. Er selbst will mit seiner Frau allerdings bleiben, auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand mit dem Ende des Wintersemesters 2022/23. Sein Büro soll für seinen schon vorhandenen Nachfolger renoviert werden, noch liegen darin einige Habseligkeiten des pensionierten Professors. So ganz zu Ende ist sein Job nach dieser langen Zeit, nach fast 1.000 erstbegutachteten Abschlussarbeiten und unzähligen Kontakten nämlich noch nicht: Ein paar Masterarbeiten und Dissertationen gilt es noch zu betreuen, einige Formalia sind zu erledigen, auch im Vorstand des Instituts für Unternehmensforschung und Unternehmensführung (ifu) an der MLU ist er noch engagiert, im Rotary-Club Georg Friedrich Händel und in der Kirchengemeinde. „Es gibt immer etwas zu tun. Langweilig muss einem nicht werden.“ Wie ein Ruheständler jedenfalls fühlt sich Weiser nicht – „eher so wie in der vorlesungsfreien Zeit. Das ist ein sehr angenehmes Gefühl“.

Größter Herausforderung: Bologna

Es waren aufregende Jahre an der Uni, erinnert sich der gebürtige Hesse, der in Bonn Volkswirtschaftslehre studiert hat, dort promoviert wurde und sich auch habilitiert hat. Er denkt dabei zurück an den Aufbruchsgeist, den er bei seiner Ankunft an der 1993 neu gegründeten Fakultät in Halle durchaus noch gespürt habe. An die Mischung aus Hallensern und Westdeutschen, die er als angenehm empfunden hat. Und seine eigene Neugierde auf die Menschen im anderen Teil Deutschlands. Noch viel intensiver hat Weiser freilich die Zeit ab 2006 erlebt: Acht Jahre lang bis 2014 war er Prorektor für Studium und Lehre, zunächst im Team von Rektor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock, dann in dem von Rektor Prof. Dr. Udo Sträter. Die Entscheidung für das Amt als Prorektor war für ihn keine einfache: 2006 gerade erst ins Amt als Prodekan gewählt, stand in dem Jahr auch der Zusammenschluss der Juristischen und der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an – viel zu tun gab es also auch im „eigenen“ Bereich. Weiser sagte nach einigen Gesprächen trotzdem zu.

Größte Herausforderung dieser Zeit war für ihn der Bologna-Prozess, die Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor- und Master-System. „Es mussten ja noch viele überzeugt werden, dass das nicht der Weltuntergang ist, nicht die Apokalypse“, sagt er. Sondern, dass es darauf ankommt, wie man die Studiengänge gestaltet. Das sei natürlich ein Stück weit Experimentieren gewesen, weil schlicht die Erfahrungen fehlten. Weiser denkt auch an die Probleme zurück, die fehlende und doppelte Abiturjahrgänge mit sich gebracht haben, weil von 13 auf 12 Schuljahre verkürzt oder von 12 auf 13 Jahre verlängert wurde – je nach Bundeland. Damals seien auch Studiengänge geöffnet worden, die ohne Numerus clausus einen ungemeinen Ansturm erlebt hätten – unter anderen in seinem Bereich, die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. „Das auszutarieren war keine geringe Herausforderung. Natürlich hat das einiges an Finanzen in die Kassen gespült, aber in dem Fall muss man wirklich sagen: Geld ist nicht alles.“

Internationalisierung im Blick

Abschiedsfeier in Mailand: Hier hat Christoph Weiser jährlich ein Unternehmens-Planspiel angeboten.
Abschiedsfeier in Mailand: Hier hat Christoph Weiser jährlich ein Unternehmens-Planspiel angeboten. (Foto: privat)

Verstärkt war vor allem in seiner ersten Prorektorats-Zeit die Anwerbung ausländischer Studierender ein Thema, sagt Weiser zudem – mit offensiveren Auftritten auf ausländischen Bildungsmessen. Seit 2001 gab es in den Wirtschaftswissenschaften bereits den englischsprachigen Studiengang Business Economics. „Man hat gemerkt, dass man durchaus Studierende für Halle begeistern kann. Aber man kann nicht unbedingt erwarten, dass alle vorher perfekt Deutsch lernen.“ Auch er selbst war als Lehrender häufig im Ausland tätig. Für den Doppel-Master „International Finance“ sei er mehr als 20 Mal im slowakischen Bratislava gewesen. Und nach vielen Jahren Partnerschaft gab es im Frühjahr auch in Mailand ein besonderes Ruhestands-Abschiedsfoto: an der Università Cattolica del Sacro Cuore im Rahmen des deutsch-italienischen Doppel-Masters „Europäische und internationale Wirtschaft“. Eine interessante Konstellation übrigens, wie Weiser findet: die katholische Universität in einer Partnerschaft mit einer Uni, die den Namen des Reformators trägt. „Gelebte Ökumene, wie man sieht“, sagt er und lacht. Jährlich hat Weiser in Mailand ein Unternehmens-Planspiel angeboten.

Der Wirtschaftswissenschaftler verschweigt in seiner persönlichen Bilanz aber auch nicht die Wermutstropfen, Bereiche, in denen er gern mehr erreicht hätte: Beim Thema „Studieren mit Handicap“ gebe es noch einiges zu tun, sagt er, unter anderem mit Aufklärung darüber, jeden Fall individuell einschätzen zu müssen. Auch die Tatsache, dass Studiengänge zur Fort- und Weiterbildung wie „Management von Bildungseinrichtungen“ zunächst – auch ein Stück weit bedingt durch die schwierige Corona-Zeit – nicht weitergeführt werden, stimmt ihn alles andere als glücklich. Corona hat ihn dafür in einem Engagement an anderer Stelle bestätigt: dem Aufbau des Zentrums für multimediales Lehren und Lernen (LLZ), das 2022 sein zehnjähriges Bestehen feierte. „Gott sei Dank haben sich damals viele Leute gefunden, die Interesse daran und Ideen dazu hatten“, erinnert Weiser sich. „Während der Pandemie haben wir gesehen, welche Kompetenzen sich hier entwickelt hatten. Das war ein Aufstieg von der dritten in die erste Liga.“

Eine Liga, in der auch seine heutige Heimatstadt spielt, wie Weiser findet. „Halle ist eine der am meisten unterschätzten Städte Deutschlands.“ Bisher hat ihn jedenfalls keine Alternative als „Altersruhesitz“ wirklich überzeugen können. Und so wird man Christoph Weiser wohl noch eine Weile in Halle und der Universität erleben können.

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