Ein geordneter Rückzug
Joachim Ulrich hat viel telefoniert in diesen Tagen. Es gab und gibt noch immer einiges zu klären, bevor das Gebäude im Hohen Weg, in dem Ulrich die vergangenen Jahre geforscht hat, endgültig seine Pforten für den Wissenschaftsbetrieb schließt. „Ich bin der letzte berufene Ingenieur im Zentrum“, sagt Ulrich. Seiner Feststellung ist ein Beschluss des Akademischen Senats der MLU vorausgegangen, der diese Schließung regelt, ebenso Beschlüsse zum Erhalt des Promotionsrechts sowie zur Gründung einer interdisziplinären wissenschaftlichen Einrichtung an den drei Naturwissenschaftlichen Fakultäten der MLU, an der künftig ingenieurwissenschaftliche Forschungsprojekte gemeinsam organisiert werden können.
"Niemand ist auf der Strecke geblieben"
Ulrichs bevorstehender Ruhestand ist anders als ihn viele seiner Kollegen erlebt haben. „Eigentlich“, so meint der Mann, der selbst auf Tagungen nicht auf die für ihn typischen Clogs mit hölzerner Sohle verzichtet, „räume ich hier die Reste der Fakultät beiseite, und zwar in Form eines geordneten Rückzugs“. Letzte Dienstreisen werden ihn demnächst noch nach Finnland und Japan führen. Um einen Nachfolger muss er sich indes nicht mehr kümmern. „Es ist schade, wenn man für die Zukunft dieser Universität wissenschaftlich nichts weitergeben kann“, sagt Ulrich. Er sieht das trotzdem pragmatisch, zumal die Schließungspläne nicht erst seit gestern bekannt sind.
Wenn man so will, dann ist er in den vergangenen Jahren nicht nur Hochschullehrer und Forscher sondern immer auch Manager gewesen. Denn von den einstmals 128 Mitarbeitern, die seinerzeit am ZIW beschäftigt waren, sind inzwischen nur noch weniger als zehn übrig. Für sie alle mussten individuelle Lösungen gefunden werden. „Niemand ist dabei auf der Strecke geblieben“, sagt Ulrich. Darauf ist er auch ein bisschen stolz.
Geholfen hat ihm in diesem Prozess neben „mitziehenden“ Kollegen auch die Tatsache, dass er zwischen 2006 und 2010 in seinem Amt als Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Universität Halle die Grundlage für diesen geordneten Rückzug mit gestalten konnte. „Ich wäre seinerzeit nicht in die Hochschulpolitik eingestiegen, wenn es zuvor nicht den Beschluss zur Schließung der Ingenieurwissenschaften gegeben hätte“, sagt er. Diese Arbeit habe ihm Türen geöffnet und den Kontakt zu wichtigen Ansprechpartnern geebnet. „All das hat mir geholfen, später den Betroffenen zu helfen“.
Und schließlich hat ihn das Amt auch menschlich immer wieder bereichert und persönlich weitergebracht. Denn Ulrich weiß nach eigenem Bekunden gut, was er will. „Dinge, die ich einst mit dem Rektorat gegen großen Widerstand durchgesetzt habe, werden heute an der Uni sehr gern in Anspruch genommen. Dazu gehören beispielsweise die interdisziplinären wissenschaftlichen Einrichtungen.“
Während die Tätigkeit im Rektorat in aller Regel eine vorübergehenden Drosselung oder gar den Rückzug aus der wissenschaftlichen Arbeit nötig macht, wollte Ulrich dennoch nicht auf seine Forschung verzichten. Wie das geht? „Man schläft halt etwas weniger“, sagt er und ergänzt: „außerdem muss man gut strukturiert sein und braucht ein Umfeld, das mitzieht.“
Abschiedsvorlesung mit Gästen aus China, Japan und Korea
Mit diesem Rüstzeug ausgestattet konnte er auch in jener schwierigen Zeit erfolgreich Drittmittel für Projekte einwerben und Forschungskooperationen anbahnen, sich um Stipendiaten bemühen und auch darum, Gastwissenschaftler und Doktoranden nach Halle zu holen. „Es war mir immer wichtig, nicht im eigenen Saft zu kochen. Diese gute Mischung hat meine Arbeit sehr bereichert.“
Die technische Kristallisation, das ist Ulrichs Fachgebiet, in dem er Anlagen zur Produktion von Zucker, Salzen, Düngemitteln, Farbstoffen oder auch Pharmazeutika plante und optimierte. Stolz ist er darauf, „in diesem kleinen und sehr speziellen Bereich, die weltweit größte Arbeitsgruppe geleitet zu haben“, die zudem auch noch international stark wahrgenommen worden ist. Mehr als 90 Doktoranden hat er in seiner Zeit am ZIW nach Halle geholt, darunter nicht nur Ingenieure, sondern auch Pharmazeuten, Lebensmittelchemiker und Ernährungswissenschaftler.
„Ich habe bis heute zu allen guten Kontakt“, sagt er mit Blick auf die Fotos, die an den Wänden seines Arbeitszimmers hängen. Und natürlich hat er „seine“ Doktoranden alle zur Abschiedsvorlesung eingeladen. Zusagen gibt es bereits aus China, Japan, Korea aber auch aus der Region. Das Netzwerk, das aus diesen Leuten entstanden ist, will er weiter pflegen.
Ansonsten aber wird er sich aus der Wissenschaft und der Uni Halle weitestgehend zurückziehen. „Ich werde auch kein Buch schreiben“, meint er. Einzige Ausnahme: Die Kicker des Uni-Fußballteams. „Solange sie mich noch lassen, werde ich dort weiter mitspielen.“
Die Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Dr. Joachim Ulrich findet am 9. September 2016 um 15 Uhr im Hörsaal XX im Melanchthonianum, Uniplatz 9, statt.