Er füllte die Hörsäle wie kaum ein anderer – Zum Tod von Olaf Christen
Olaf Christen wurde am 25. August 1961 als Spross einer Unternehmerfamilie in Hamburg-Bergedorf geboren. Bis 1988 studierte er Agrarwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und promovierte am Kieler Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung unter Anleitung von Prof. Dr. Herbert Hanus zum Thema „Ertragsbildung, Ertragsstruktur und Fußkrankheitsbefall von Wintergetreide in Abhängigkeit von Vorfruchtkombination und variierter Produktionstechnik“.
Von 1991 bis 1992 führte ihn ein durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziertes Projekt als Postdoctoral Fellow an das Department of Agronomy and Soil Science (Prof. John V. Lovett), University of New England, Armidale in Australien. Dort waren seine Arbeiten auf allelochemische Effekte von phytotoxischen Substanzen ausgerichtet und somit seinem ersten großen Forschungsfeld, der Fruchtfolgegestaltung, untergeordnet. Olaf Christen kehrte nach Kiel an den Lehrstuhl von Hanus zurück und wirkte dort als wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent. Das Habilitationsverfahren schloss er im November 1997 erfolgreich ab. Das Thema seiner Habilitationsschrift war „Untersuchungen zur Anbautechnik von Winterweizen nach unterschiedlichen Vorfruchtkombinationen“.
Im Jahre 2000 folgte er im Alter von 39 Jahren dem Ruf auf die Professur „Allgemeiner Pflanzenbau/Ökologischer Landbau“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schnell erschloss er sich weitere Forschungsthemen, die allesamt der Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Produktionssysteme zuzuordnen waren. Dazu gehörten Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Nutzungssysteme auf der Betriebsebene und in der Wertschöpfungskette, Entwicklung von Einzelindikatoren und Indikatorsystemen zur Bewertung produktionstechnischer Maßnahmen, Entwicklung Boden schonender und Standort angepasster Verfahren der Bodenbearbeitung sowie Grundlagenuntersuchungen zu „Precision Agriculture“ und zu Umweltwirkungen der Erzeugung nachwachsender Rohstoffe.
Damit setzte er fachliche Akzente, die ihn zu einem hoch geschätzten Wissenschaftler werden ließen, der mit seiner Kompetenz national und international gefragt war. So bekleidete er auf europäischer Ebene die Ämter als Deutscher Repräsentant der European Society for Agronomy (ESA) von 1998 bis 2007, war Sektionsleiter für Agriculture-Environment-Relationships der ESA von 2007 bis 2009 und Head of Division „Cropping Systems at Farm, Regional and Global Scales“ der ESA von 2009 bis 2012. Für wissenschaftliche Zeitschriften arbeitete er als Associate Editor-in-Chief („European Journal for Agronomy“) und Field Editor („Journal for Sustainable Development“). Dabei half ihm sein exzellentes Englisch, welches er genauso gut beherrschte wie seine Muttersprache.
Auch auf nationaler Ebene wurde man schnell auf ihn aufmerksam. Im wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beriet er seit 2006 die jeweiligen Bundesministerinnen und -minister in wichtigen Fragen agrarpolitischen Handelns. Weiterhin war er seit 2008 Mitglied im Forschungsbeirat des Deutschen Biomasseforschungszentrums, seit 2010 im Zukunftsforum des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt in Sachsen-Anhalt; außerdem war er im Fachbeirat der Union zur Förderung des Öl- und Proteinpflanzenanbaus (UFOP) Mitglied und im Fachbeirat der Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft. Zudem bekleidete er den Vorsitz der Fachkommission Öl- und Proteinpflanzen der UFOP und war Präsident der Gesellschaft für Pflanzenbauwissenschaften (2002-2005) sowie des Dachverbandes Agrarforschung (2010-2014).
Olaf Christen engagierte sich über viele Jahre auch in den unterschiedlichen Gremien der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), so als Mitglied im Gesamtausschuss, als Mitglied im Ausschuss für Ackerbau sowie im Verwaltungsrat des DLG-Verlages. An der Entwicklung des DLG-Nachhaltigkeitsstandards, ein Zertifizierungssystem mit einer einheitlichen Methode für die Bewertung von Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft, war er maßgeblich beteiligt.
In der Lehre hat Prof. Christen die Studierenden der Agrar- und Ernährungswissenschaften durch sein profundes Wissen und seine ausgeprägten kommunikativen Fähigkeiten über viele Jahre begeistert. In Vorlesungen und Vorträgen füllte er die Hörsäle wie kaum ein anderer. Mit Neugier und Leidenschaft bereiste er viele Gegenden der Welt und war ein begnadeter Fotograf. So war es ihm vergönnt, seinen Studierenden und Doktoranden in den Vorlesungen immer auch die globalen Probleme seines Faches authentisch vor Augen zu führen. In der regionalen Enge hat er sich nie recht wohlgefühlt. Viele seiner Schüler bekleiden heute Ämter auf den unterschiedlichsten Ebenen des Agrarsektors, insbesondere der drei südlichen neuen Bundesländer.
Ab 2005 fand Olaf Christen zunehmendes Interesse an der akademischen Selbstverwaltung seiner Universität. Dabei halfen ihm sein vornehm-hanseatisches Auftreten und sein beachtliches Kommunikationstalent. Im Interesse des Landes und der Universität übernahm er von 2005 bis 2008 das Amt des Direktors des An-Institutes Agrochemie Piesteritz e.V. und er war von 2005 bis 2014 Mitglied des Kuratoriums der Leucorea in Wittenberg. Von 2008 bis 2014 bekleidete er das Amt des Prodekans der Naturwissenschaftlichen Fakultät III, deren Dekan er dann von 2014 bis 2017 war. Diese Ämter führte er in schwieriger Zeit mit Augenmaß und der Bereitschaft zum Kompromiss. Sein erfolgreiches Management wurde über die Fakultätsgrenzen hinaus bald in der gesamten Universität bekannt. So war es folgerichtig, dass er im Jahre 2018 mit großer Stimmenzahl in den Senat der Universität gewählt wurde. Mit seinen Dekanskollegen und den übrigen Senatoren pflegte er seinen ganz typischen und persönlichen Umgang - kompetent und immer verbunden mit einer Prise wunderbaren Humors.
In dieser Zeit befiel ihn eine heimtückische Krankheit. Er war bereit, sein Schicksal anzunehmen, auf ein erfülltes Leben zurückzuschauen und sich auf das Unausweichliche vorzubereiten. Am 2. Februar 2020 hat er den Kampf gegen sein schweres Leiden verloren.
Olaf Christen hat sich um seine Professur, sein Institut, seine Fakultät und seine Universität überaus verdient gemacht. Er hat maßgeblich zu dem großartigen Ruf der halleschen Agrarwissenschaften international und national beigetragen.
Der Autor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock war von 1994 bis 2012 Lehrstuhlinhaber für Speziellen Pflanzenbau an der Martin-Luther-Universität und von 1996 bis 2000 Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät. Von 2006 bis 2010 leitete er als Rektor die Geschicke der MLU.