In der Sammlung zu Hause
Ein weißer Kittel hängt an der Tür zum Büro von Karla Schneider im denkmalgeschützten Magazingebäude am Domplatz 4. Die Kustodin der Zoologischen Sammlung nennt ihr Büro liebevoll Rumpelkammer, obwohl alles seinen Platz hat. Bestimmungsbücher stehen ordentlich aufgereiht in einer alten, großen Vitrine, daneben Regale mit Ordnern und Schachteln. Aus ihrem Computer ist Vogelzwitschern zu hören, das gedämpfte Licht und die Sonnenstrahlen, die durch die Jalousien blitzten, vermitteln fast das Gefühl eines Arbeitsplatzes im Wald. Um Tiere und manchmal Pflanzen geht es auch in Karla Schneiders Beruf.
Seit mehr als 20 Jahren betreut die Biologin zuerst die Entomologische Sammlung – also die der Insekten – und seit 2011 die gesamte Zoologische Sammlung der Universität. Fischtrockenexponate oder Süßwasser-Schnecken: Fast zweieinhalb Millionen Präparate mit einer bis zu 230-jährigen Geschichte beherbergt die Sammlung. Als Kustodin kümmert sich Schneider um den Bestand, ordnet und erweitert ihn. Wissenschaftler aus aller Welt besuchen die Schau- und Lehrsammlungen ebenso wie Schüler aus Halle.
Karla Schneider liebt ihren Job. „Ich hatte großes Glück, als ich 1994 gefragt wurde, ob ich die Entomologische Sammlung der Uni leiten wolle. Da musste ich gar nicht lange überlegen. Das war die einmalige Chance, Hobby und Beruf zusammenzubringen.“ Und eine neue Aufgabe. Nach ihrem Biologiestudium in Halle arbeitete Schneider zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule, war in der Lehre tätig und sollte das Fachgebiet der Geschichte der Biologie übernehmen. „Die Arbeit als Kustodin war mir aber nicht völlig fremd. Ich habe schon immer Tiere bestimmt, nur der Rahmen wurde größer. Und das hat Spaß gemacht, es ist jeden Tag etwas Neues dazugekommen“, erzählt sie.
So viel Enthusiasmus hat aber auch Nachteile: „Weil man immer kein Ende findet. Deshalb habe ich auch noch keinen Computer zu Hause.“ Viel lieber nutzt Karla Schneider ihre Freizeit zum Basteln, Lesen, Wandern und Reisen gemeinsam mit ihrem Mann oder mit Freunden. „Mein Lieblingskontinent ist Afrika. Schon zu DDR-Zeiten wollte ich die Serengeti und andere Savannen sehen, den Regenwald und den Kilimandscharo. Nach der Wende war das meine erste Reise, die Erfüllung eines großen Traumes.“
Auch ihr Garten in Lettin birgt jede Menge Beobachtungsmaterial. „Ich mag keine akkuraten Gärten, bei mir darf erstmal alles vor sich hin wachsen. Die Menschen beschweren sich, dass es kaum noch Schmetterlinge und Insekten gibt, aber wo sollen sie auch herkommen, wenn keine Blüten mehr vorhanden sind?“ Deshalb hat Karla Schneider auch einen breiten Streifen Brennnesseln hinter der Garage. „Die benötigen viele Schmetterlinge als Futterpflanze für ihre Raupen.“
Blumenzwiebel-Experimente im Erzgebirge
Schon in ihrer Kindheit im Erzgebirge in Oberwiesenthal hat Schneider viel Zeit in der Natur verbracht und alles genau beobachtet. „Als ich klein war, hatte mein Opa einen Garten, in dem habe ich diverse Experimente durchgeführt – zum Beispiel Blumenzwiebeln zerschnitten und wieder neu zusammengesetzt“, sagt sie und lacht. Eine neue Sorte ist daraus nicht entstanden, vielmehr die Faszination für Pflanzen und Tiere. Besonders für Rüsselkäfer, denn über die hat sie ihre Dissertation geschrieben.
Heute arbeitet sie als Spezialistin für diese Käfergruppe an der Bestandssituation, an der Roten Liste sowie an Arten- und Biotopschutzprogrammen in Sachsen-Anhalt. „Seit 2012 beschäftige ich mich auch intensiv mit Wölfen und das Schöne daran ist: Es ist ein weiteres sehr interessantes Arbeitsgebiet.“ Aber als Expertin will sie nicht bezeichnet werden. „Ich kann nicht Spezialistin für alle Tiere sein. Ich bin Biologin und Zoologin, die sich auf einige Käferfamilien, Schnecken, Muscheln und ja, auch ein wenig auf Säugetiere spezialisiert hat.“
Ihr Wissen ist nicht nur in Radio- oder Fernsehbeiträgen gefragt. „Ich bekomme auch viele Anfragen aus der Bevölkerung – bis zu einhundert E-Mails im Jahr mit Fotos und der Frage, was das für ein Tier sei. Meist kann ich sie schnell beantworten, weil es heimische Tiere sind.“
„Ich kann nicht Spezialistin für alle Tiere sein.“
In Bestimmungsübungen und Präparationskursen schult sie außerdem angehende Lehrer und Biologen. Schneider ist es sehr wichtig, dass sie die heimische Tierwelt kennen und bestimmen können. Auch Schulklassen können am Domplatz 4 Tierpräparate bestaunen. „Meist behandeln die Klassen gerade ein bestimmtes Thema in der Schule und ich suche die passenden Präparate heraus.“ Fast genauso lange wie Karla Schneider als Kustodin arbeitet, ist sie als Gleichstellungsbeauftragte tätig. Ab 1995 in der Fakultät, später als Stellvertreterin der Gleichstellungsbeauftragten der Universität.
In drei Jahren geht Schneider in Rente und sie freut sich darauf. „Wir haben die Möglichkeit als Gastwissenschaftler in der Sammlung zu arbeiten und ich weiß schon jetzt, dass ich wieder hier sein werde. Und endlich all das machen kann, wozu ich noch nicht gekommen bin. Bestimmte Präparate müssen noch sortiert und in eine Datenbank aufgenommen werden.“ Ihren weißen Kittel wird sie also noch lange nicht an den Nagel hängen. Nur um einen Ausstellungschrank wird sie auch in Zukunft einen Bogen machen: Um den mit den Spinnentieren. Die mag sie nämlich nicht.