„Anfangen, Hauptsache anfangen“
Sie sind jetzt gut fünf Monate im Amt. Haben Sie das Gefühl, in Halle angekommen zu sein?
Alfred Funk: Ich habe sogar das Gefühl, sehr gut angekommen zu sein. Das betrifft das Rektorat, die Fakultäten, die Mitarbeitervertretungen. Auch das Ministerium und der Bürgermeister haben sich ausgesprochen offen gezeigt und sich viel Zeit genommen – das hatte ich in diesem Umfang nicht erwartet; das ist mehr als nur eine Geste. Und seit dem 1. September habe ich auch eine schöne Wohnung ganz in der Nähe der Uni.
Was gefällt Ihnen bisher an Halle, welche Plätze mögen Sie?
Den Unigottesdienst, den ich kurz nach meiner Ankunft erlebt habe, fand ich sehr schön – eingebettet in die Umgebung mit der Laurentiuskirche, dem Botanischen Garten und auch der Saale. Der Uniplatz hier, der hat für mich etwas Besonderes, auch der Steintor-Campus. Besonders angenehm finde ich außerdem die Kultur zum Ausgehen. Wenn Sie durch die Kleine Ulrichstraße gehen, ist da irgendwie alles voll. Also – ich kenne schon ein paar wunderschöne Plätze und die anderen werde ich noch kennenlernen.
Stichwort Kennenlernen: Wie vollständig ist der Überblick, den Sie sich schon von der MLU verschaffen konnten? Sie sind ja in einer turbulenten Zeit gekommen.
Nach meinem Eindruck ist es an allen Hochschulen turbulent … Ansonsten: Meine erste Kanzlerstelle habe ich im November 2000 angetreten. Ich würde sagen, durch die langjährige Praxis war ich sofort „alltagstauglich“. Im Detail mögen Namen und Begriffe anders sein, im Prinzip dreht es sich aber um ähnliche Themen und Probleme. Natürlich gibt es auch Dinge, die dann doch wieder sehr spezifisch sind an einer Universität. Die muss man sich erarbeiten - durch viele Gespräche und viel Zuhören. Ich war in allen Fakultäten vor Ort, das hat mir geholfen. Aber mein Bild ist natürlich noch nicht vollständig.
Wenn Sie dennoch einen ersten Eindruck formulieren müssten …
Diskussionsfreudig. Aber bevor da ein falscher Zungenschlag reinkommt: Das ist für mich nichts Negatives, sondern eher ein Zeichen für Identifikation und viel Engagement für die eigene Sache. Aufgabe des Rektorats ist es nun, viele „eigene Sachen“ zu einer gemeinsamen zusammenzufassen.
Bevor wir darauf näher eingehen: Wie würden Sie sich selbst als Chef beschreiben?
Ich glaube, dass ich auf Gespräche nahezu immer gut vorbereitet bin. Das ist für mich eine Frage des Respekts. Ein weiterer Punkt: Ich mag es sehr, in kleineren, auch bereichsübergreifenden Teams Impulse zu einem Thema zu geben, rasch Ideen und Ansätze zu sammeln und oder auch die Hürden kennenzulernen. Ich erwarte allerdings auch, dass Mitarbeitende mutig sind, selbstständig den nächsten Schritt gehen und Vorschläge machen. Dass man sie nur an bestimmten Wegpunkten abholt, nicht ständig begleitet. Ich glaube, es ist wichtig für Mitarbeitende, eine gewisse Freiheit zu haben – das möchte ich auch vermitteln.
Aktuell holen Sie gerade ein Stimmungsbild aus der Verwaltung zum Hochschulentwicklungsprozess an der MLU ein. Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen: Welche Erfahrung aus Ihrem bisherigen Berufsleben hilft bei strukturellen Veränderungen?
Zunächst einmal finde ich es total ermutigend, wie viele Mitarbeitende aus allen Bereichen sich für den dazu geplanten Workshop im November angemeldet haben. Zu Ihrer Frage: Wir haben eine schwierige finanzielle Situation und eine starke Belastung der Mitarbeitenden. Man kann vor diesem Hintergrund sagen „Ich tue gar nichts, weil ich nicht alles gleich haben kann“ oder „Ich fange mal an“. Das Letztere würde ich fast in Großbuchstaben schreiben, weil es meine zentrale Erfahrung in Change-Prozessen ist: anfangen, fast egal wo, Hauptsache anfangen. Ich glaube zum Beispiel, dass aus einzelnen Prozessen viel rauszuholen ist. Damit meine ich noch nicht einmal Digitalisierung. Sie können monatelang darüber reden, welcher der wichtigste Prozess ist - die Reisekosten, die Beschaffung …
Vielleicht fangen Sie aber stattdessen mit einem ganz kleinen Prozess an und verbessern den. Über ein Beispiel haben wir erst vor ein paar Tagen gesprochen: Wenn Forschende ihre eigene Stelle mitbringen, müssen wir dem Fördermittelgeber bestätigen, dass sie hier einen Arbeitsplatz haben. Es scheint so, dass das über viele Ecken geht, die nacheinander geschaltet sind. Die Frage ist schon, ob diese Kette sein muss.
Auch habe ich in meinem Berufsleben gelernt, dass es so etwas wie eine Grundsolidarität untereinander geben muss. Das heißt, wenn man sich auf etwas verständigt hat, muss man es auch erst einmal probieren, selbst wenn man zunächst selbst nicht ganz überzeugt war. Und es nicht sofort wieder zerreden.
Worin sehen Sie denn grundsätzlich die großen Herausforderungen für die Verwaltung der MLU?
Die Betrachtung von Prozessen habe ich eben schon genannt. Ein weiteres großes Thema ist die enorme Belastung bei vielen Mitarbeitenden. Und: Wir sehen, dass wir es bei Stellenbesetzungen schwer haben, nicht nur geeignetes, sondern überhaupt Personal zu finden. Wir müssen also Personal gewinnen, möglicherweise durch eine verstärkte Ausbildung selbst mehr Kräfte heranziehen. Und wir brauchen eine gute Personalentwicklung. Dazu gehört zum Beispiel, schon jetzt zu wissen, an welchen Stellen uns in den nächsten Jahren Know-how wegbricht, wie wir das auffüllen und ob es dazu möglicherweise neue Kompetenzen braucht. Die Fragen der Personalentwicklung sind zuletzt durch die Pandemie und die Debatten um den Hochschulentwicklungsprozess ein bisschen überlagert worden – da müssen wir noch einmal neu einsteigen.
Lassen Sie uns noch über einige Visionen reden. Sie sind in der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands im Arbeitskreis „Entbürokratisierung“ aktiv. Erzählen Sie!
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten erneut Gespräche im Bundesministerium für Bildung und Forschung führen zu dem unglaublichen Wust an Bürokratie, den es bei der Abwicklung von Projekten des Ministeriums über unterschiedliche Projektträger gibt und der sich je nach Träger, aber teilweise auch je nach Sachbearbeiter unterscheidet. Bildlich gesprochen: Einer sagt, es muss auf blauem Papier gedruckt werden, der Nächste will grünes und der Dritte gelbes.
Und hier bräuchten Sie überspitzt formuliert dann jemanden, der nur dafür da ist zu entscheiden, auf welchem Papier gedruckt wird …
Vielleicht nicht nur dafür, aber entscheiden muss es jemand… Die Vielfalt an Vorschriften im besten Fall zu verringern, mindestens aber ein Stück weit zu harmonisieren ist eine lohnenswerte Sache, die auch der MLU zugutekäme.
Wie steht es um die Digitalisierung an der Universität?
Das ist vor allem ein Thema der Ressourcen. Und zwar von Digitalisierungsexperten, die die Themen aufnehmen und mit ihrer spezifischen Expertise „übersetzen“ – aber auch von Menschen in den jeweiligen Fachabteilungen, die freigestellt werden müssen, um zu erklären, wie ein Prozess abläuft. Wir haben an dieser Stelle nur wenig Ressourcen. Die Idee ist, im Kleinen anzufangen. Dabei gibt es zwei Kriterien: Was schmerzt uns am meisten? Das sind vielleicht die Lehrverpflichtungsverordnung, Reisekosten, Einstellungsprozesse. Und was können wir kurzfristig schaffen, was eine echte Erleichterung bringt? Man wird nicht alles auf einmal machen können.
Ein großes Thema seit Jahren sind auch die Unigebäude. Wo liegen da Prioritäten?
Wichtigste Aufgabe ist aus meiner Sicht, unsere Anmietungskosten zu senken. Sie liegen bei 6,5 Millionen Euro jährlich, das ist richtig viel. Zugleich haben wir Arbeitsbereiche, die auf mehrere Standorte verteilt sind. Es gibt erste Überlegungen, wie man das alte Physik-Institut am Friedemann-Bach-Platz stückweise sanieren kann, um Arbeitsgruppen zusammenzubringen und zugleich Mietkosten zu senken. Mir wurden einige Standorte in der Stadt genannt, die wir allerdings nicht mit Bordmitteln sanieren können. In zehn Jahren summieren sich die Mietkosten – ohne irgendwelche Mietsteigerungen – auf 65 Millionen Euro. Da kann man schon mit dem Land ins Gespräch kommen und überlegen, ob es sich nicht lohnen würde, für zehn oder 15 Millionen Euro zu sanieren.
Vergessen wir nicht das Wichtigste an einer Universität: Studierende. Sie leiten in der Kanzlerrunde den Arbeitskreis Studierenden-/Studentenwerke. Was ist da Ihr Ziel?
In dem Kreis sind Universitäten, Fachhochschulen und Studierendenwerke vertreten. Bisher lag der Fokus stark auf Informationsaustausch. Wir wollen nun versuchen, fast identische Themen miteinander statt nebeneinander abzuarbeiten. Nachhaltigkeit könnte so ein Thema sein. Ganz wichtig ist auch: Viele denken darüber nach, dass der Campus der Zukunft anders aussehen wird als heute. Kein Platz, über den ich nur gehe, um zum Hörsaal zu kommen, sondern viel mehr ein Aufenthaltsort, ein Austauschort. In die Gestaltung dieses Campus können und sollten beide Seiten, Studierendenwerk und Universität, etwas einbringen. Den Studierenden wird es fast egal sein, ob sie ein Beratungs- oder Unterstützungsangebot vom Studierendenwerk oder von der Uni bekommen. Deshalb wäre es klug, wenn beide ihre Kräfte bündeln. Das wollen wir im Arbeitskreis modellhaft erarbeiten – mit der Bitte, es dann vor Ort aufzugreifen. In Halle habe ich das bei einem ersten Treffen mit dem Geschäftsführer des Studierendenwerkes schon angesprochen.
Zur Person
Alfred Funk wurde in Düsseldorf geboren. Er studierte Politische Wissenschaften, Geschichte, Philosophie und Rechtswissenschaft an den Universitäten Köln und Erlangen-Nürnberg. Seine juristischen Staatsexamina legte er in Erlangen-Nürnberg ab, sein Referendariat führte ihn bereits ins europäische Ausland, in dessen Rahmen verbrachte er mehrere Monate am Tribunal de Grande Instance im französischen Nancy. Im Anschluss an sein zweites Staatsexamen 1994 arbeitete Funk als Justitiar der Universität Paderborn (1995-2000), war Kanzler der FH Westküste in Heide in Schleswig-Holstein (2000-2004) und Kanzler der Universität Hohenheim (2004-2012). Im Anschluss war er mehrere Jahre Verwaltungsdirektor (directeur administratif) der Universität Luxemburg und kehrte 2019 nach Deutschland zurück. Zuletzt war er Kanzler der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.