Keine Freiheit ohne Schranken? – Streitfrage in Wittenberg
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Ein oft strapaziertes Luther-Zitat, auch an diesem Nachmittag in Wittenberg bei der von MLU-Theologie-Professor Ernst-Joachim Waschke moderierten Disputation. Dass es damit nicht getan sein würde, wurde schnell klar, als Dr. Detmar Doering, Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, zwar auf seine Luther-Socken verwies, aber auch auf seine Krawatte mit Adam-Smith-Konterfei – seine „Gesinnungskleidung“, wie er nur scheinbar selbstironisch anmerkte.
Die Marktwirtschaft müsse ihren Erfolgsfaktoren treu bleiben, forderte Doering. Er warnte davor, die freiheitliche Wirtschaft einzuschränken, zuviel Politik und Protektionismus schade nur. „Die Gesellschaft muss sich der langfristigen Koordinierungsfähigkeit der Marktwirtschaft bewusst sein.“
Von Umverteilungsideen hält auch Doerings Widerpart Andreas Suchanek nicht viel, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Globale Ethik (Wittenberg) und Inhaber des Dr. Werner Jackstädt-Lehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Handelshochschule Leipzig. „Aber allein wegen ihrer Effizienz werden die Menschen eine wirtschaftliche Ordnung nicht akzeptieren.“ Freiheit brauche Bindung – an gesellschaftliche Bedingungen und an das Verantwortungsbewusstsein aller.
Suchanek erklärte das Freiheitsbild Doerings für „reduktionistisch“ – um sich diesen Vorwurf schließlich gemeinsam mit dem Liberalen selbst einzuhandeln. „Es sollte nicht um die Freiheit von etwas gehen, sondern um die Freiheit zu etwas“, erklärte Prof. Dr. Andreas Pečar, der an der MLU den Lehrstuhl für die Geschichte der frühen Neuzeit inne hat. Soziologie-Professor Reinhold Sackmann pflichtete ihm indirekt bei: „Spätestens seit der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Vorstellung gescheitert, man könnte ökonomische ohne politische Freiheit denken“.
Mit den Statements der MLU-Professoren kam Leben in die Diskussion, die zuvor nach dem Geschmack vieler der rund 140 Zuhörer an einer gewissen Langatmigkeit gelitten hatte. Der Jurist Prof. Dr. Michael Germann nahm schließlich die Reduktionsdebatte aufs Korn. Er sei sich seiner reduzierenden juristischen Perspektive bewusst, erlaube sich aber trotzdem, seinen Beitrag zu leisten. Nicht die Freiheit bedürfe einer Rechtfertigung, zum Beispiel über ihren Nutzen, sondern die Beschränkung der Freiheit. „Es geht um Schutz vor Fremdbestimmung, um den Ausdruck kollektiver politischer Freiheit“, sagte Germann.
Ohne Reduktionen geht es nicht, darin waren sich alle Disputanten letztlich einig. Immerhin, so stellte Detmar Doering fest, könne man mit reduzierten Freiheitsbegriffen argumentieren, eben „weil unsere Kreativität nicht reduziert ist“. Ihm und seinen Vorrednern war ein wohlwollender Schlussapplaus sicher. Hier und da raunte man sich allerdings dennoch Kritisches zu: „Gut gesprochen haben sie ja. Aber richtig gestritten haben sie sich irgendwie nicht.“