Kurs für Digitalisierung gesetzt
Frau Heider, Herr Ballod, mit welchem Ziel ist DikoLa vor drei Jahren gestartet?
Katharina Heider: DikoLa ist ins Leben gerufen worden, um den Schulunterricht auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorzubereiten. Das Projekt konzentriert sich auf drei Zielgruppen: erstens die Dozenten in Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften als Ausbilder der künftigen Lehrkräfte, zweitens die Studierenden, die das Know-how später in die Klassenräume tragen, und drittens die Schulen als wichtigste Anwendungsorte. Wir recherchieren, erproben und evaluieren digitale Lehr- und Lernwerkzeuge und vermitteln technische Kompetenzen. Dabei verknüpfen wir auch bestehende Einzelinitiativen und Services mit neu entwickelten Maßnahmen.
Matthias Ballod: Bereits 2016 wurde allen Schülern in Deutschland der Erwerb von Medienkompetenz im Laufe ihrer Schullaufbahn ins Pflichtenheft geschrieben, Lehrer*innen und Lehramtsstudierenden hingegen nicht. Das heißt, die Schüler müssen Medienkompetenzen vorweisen, die aktuelle und zukünftige Lehrerinnen und Lehrer nicht zwingend aufweisen. Das ist eine Schieflage, die wir mit DikoLa beseitigen wollen, indem wir digitale Inhalte und Formate in der gesamten Breite in das Lehramtsstudium integrieren.
Die Studierenden sind heutzutage ja sogenannte Digital Natives. Können Sie denen in Sachen Digitalisierung überhaupt etwas Neues beibringen?
Ballod: Smartphones und Tablets können Lehrer und Schüler gleichermaßen hervorragend bedienen. Aber Sie müssen bedenken, dass im Schulunterricht erst langsam die vorwiegend klassischen, zumeist analogen Bildungsmedien durch moderne, digitale Formen ergänzt werden. Die heutigen Studierenden können also auf keinen eigenen digital geprägten Unterricht zurückblicken oder zurückgreifen. Außerdem ist digitales Know-how nicht mit der Fähigkeit gleichzusetzen, dieses Wissen auch erfolgreich zur Vermittlung fachlichen Wissens oder digitaler Kompetenzen einzusetzen. Es geht uns also einerseits um die Sensibilisierung für digitale Unterstützung im Unterricht und andererseits um die Heranführung an konkrete Formate, Werkzeuge und deren zielgerichteten und reflexiven Umgang.
Können Sie Beispiele für solche Werkzeuge nennen?
Heider: Wir haben beispielsweise eine Toolbox mit knapp 30 Apps zusammengestellt. Das Spektrum reicht von Oberflächen für gemeinsames Brainstorming über Programme für Präsentationsvideos bis hin zur Erstellung von Arbeitsblättern oder Quizzen. Außerdem haben wir die „OER-Base“ eingerichtet, in der wir digitale Unterrichtsmaterialien als Open Educational Resources zur Verfügung stellen. Herzstück unseres Praxisbereichs ist das Digitale Lernlabor. Hier können die Studierenden und Dozierenden Hard- und Software ausprobieren und sich von unseren Tutorinnen und Tutoren in Workshops oder auch individuell beraten lassen – etwa bei der Vorbereitung auf Praktika und Lehrveranstaltungen.
Sie sagten, dass Sie auch mit den Schulen zusammenarbeiten. Wie sieht das konkret aus?
Heider: Wir arbeiten mit zwei halleschen Schulen enger zusammen, einer Grund- und einer Gesamtschule. Das sind gewissermaßen unsere Pilotpartner. Die Schulen haben jeweils Ansprechpartner vorgeschlagen, die als Multiplikatoren für das gesamte Kollegium fungieren. Wir stellen die genannten Tools vor, sprechen über die technische Ausrüstung und über Möglichkeiten, digitale Formate in den laufenden Schulbetrieb zu integrieren. Von den Ansprechpartnern bekommen wir auch Rückmeldung, was gut funktioniert und welche zusätzliche Unterstützung die Einrichtungen benötigen. Die Ergebnisse werden gerade evaluiert, ich kann aber bereits sagen, dass uns dieses Feedback dabei hilft, unsere Angebote noch gezielter auszurichten.
Im Teilprojekt „Digital Competences in Teacher Education“ (DiCoTe) stehen Sie im Austausch mit Hochschulen in Estland und Österreich. Was konnten Sie von den Partnern lernen?
Heider: Auf Estland waren wir besonders gespannt, weil das Land ja zu den Digitalisierungsvorreitern in Europa zählt. In der Tat findet man dort eine sehr gute technische Ausstattung – WLAN in den Schulen ist eine Selbstverständlichkeit, auf den Fluren stehen geladene Tablets, die Lehrer und Schüler mit in den Unterricht nehmen können. Außerdem hat jede Schule einen sogenannten Educational Technologist, der sich um Software, Geräte und Fortbildungen kümmert. Trotz hoher Affinität zu virtuellen Räumen ist den Esten aber der Präsenzunterricht sehr wichtig, hier werden verstärkt neue Formen der Gruppen- und Projektarbeit erprobt.
Österreich ist eher mit Deutschland vergleichbar, wobei die Lehrerbildung dort anders organisiert und stärker an die Schulen angebunden ist. Wir haben uns die „DIGITAL Mittelschule“ in Graz angeschaut und dort das Future Learning Lab kennengelernt, einen mit digitalem Equipment ausgestatteten konfigurierbaren Lern- und Lehrraum. Dort wurde uns auch die an der Uni Graz entwickelte App „Digital Sicher“ vorgestellt, mit der die Schüler für den Umgang mit eigenen Daten und Cybersecurity sensibilisiert werden. Wir haben die App dann auch in Deutschland getestet und konnten unsere Erfahrungen an die österreichischen Kollegen zurückgeben. Dieser Austausch ist fruchtbar und wichtig.
DikoLa ist 2020 gestartet. Wie hat die Corona-Zeit das Projekt beeinflusst?
Ballod: Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Corona das Thema Digitalisierung auf der Agenda weit nach oben katapultiert hat. Die Lehrkräfte waren plötzlich gezwungen, sich mit digitalen Formaten zu beschäftigen. Der Austausch in virtuellen Räumen wurde quasi über Nacht zur Normalität. Insgesamt ist die Affinität zu digitalen Anwendungen gestiegen und Vorbehalte wurden abgebaut. Insofern hat Corona unserem Vorhaben eher einen Schub gegeben als geschadet. Es gab aber auch hemmende Effekte, so konnte das Digitale Lernlabor aufgrund coronabedingter Kontaktbeschränkungen zwei Jahre nicht als lebendiger, experimenteller Erfahrungsraum genutzt werden.
Ende 2023 läuft DikoLa aus. Welches Fazit ziehen Sie?
Ballod: Mit DikoLa haben wir nicht nur vieles angestoßen, sondern einiges auch nachhaltig implementiert. Ich denke da an das Digitale Lernlabor, das nach Projektende weiterbestehen wird. Ein großer Erfolg ist auch der 2021 eingerichtete Ergänzungsstudiengang „Medienbildung“, der Lehramtsstudierende aller Fächer auf das Lehren und Lernen im Zuge der Digitalisierung vorbereitet. Darüber hinaus haben wir vor wenigen Wochen unsere Gesamtstrategie für den Digitalisierungsprozess in der Lehramtsausbildung vorgestellt, die neben der Implementierung digitaler Formate und der Vermittlung von Medienkompetenz auch Fragen des Umgangs mit personenbezogenen Daten und der Schaffung eines rechtssicheren Rahmens behandelt. Kommende Woche werden wir die Veranstaltung „Bildung nachhaltig transformieren“ ausrichten, die wir nicht Abschlusstagung, sondern Perspektivtagung genannt haben. Damit machen wir deutlich, dass wir mit DikoLa einen Kurs gesetzt haben, der über das Ende des Projektes hinaus handlungsleitend sein wird.
Das Projekt DikoLa endet zwar zum 31. Dezember 2023, nicht aber das Thema, das es besetzt: die Digitalisierung der Lehre in Schule und Hochschule. Im Gegenteil, die neuen KI-Entwicklungen setzen Bildungsverantwortliche schon heute unter Druck, Prüfungsleistungen von Lernenden neu oder anders zu bewerten. Wie so häufig setzt die Diskussion erst ein, wenn konkreter Handlungsbedarf besteht. Umso mehr überzeugen die Ergebnisse von DikoLa, da hier strategisch in die Zukunft entwickelt wurde und vieles Bestand haben wird. Zu wünschen ist, dass das Thema in der Lehrerbildung an der MLU nicht zurückfällt, sondern mit der Dynamik weiter Schritt halten kann – im Interesse zukünftiger Lehrenden- und Lernendengenerationen.
Perspektivtagung DikoLa 2023: Bildung nachhaltig transformieren
Montag, 8. Mai & Dienstag, 9. Mai
Steintor-Campus, Adam-Kuckhoff-Str. 35
06108 Halle (Saale)
Weitere Informationen zum Programm unter: https://blogs.urz.uni-halle.de/dikola23/
Allgemein Informationen zum Projekt unter: https://dikola.uni-halle.de/