Organisator der Erneuerung: Ein Nachruf auf Dr. Bruno Tauché

22.10.2020 von Prof. Dr. Dr.-Ing. Gunnar Berg in Personalia
Am 30. Juli 2020 ist im Alter von 78 Jahren der Geograph Dr. Wilhelm Ernst Bruno Tauché verstorben. Nach der friedlichen Revolution hat er der MLU als Mitbegründer und Organisator der „Initiativgruppe zur Erneuerung der Universität“ große Dienste erwiesen. Prof. Dr. Dr.-Ing. Gunnar Berg hat einen Nachruf auf ihn verfasst.
Bruno Tauché
Bruno Tauché (Foto: privat)

Am 30. Juli 2020 verstarb im Alter von 78 Jahren der Geograph Dr. Wilhelm Ernst Bruno Tauché, Mitbegründer und Organisator der „Initiativgruppe zur Erneuerung der Universität“. Als Sohn eines Bäckermeisters am 22. Oktober 1941 in Weißenfels geboren, besuchte er dort die Grundschule und dann als Internatsschüler ab 1956 die Oberschule in Lützen, wo er 1960 das Abitur ablegte. In demselben Jahr nahm er an der Martin-Luther-Universität das Studium zum Lehramt Geographie/Mathematik für POS auf (Polytechnische Oberschule, bis Klasse 10; in der DDR firmierten zu der Zeit alle allgemeinbildenden Schulen als „Oberschulen“, womit die Überlegenheit des Bildungssystems ausgedrückt werden sollte!). Das Studium schloss er planmäßig 1964 mit der mit „sehr gut“ bewerteten Staatsexamensarbeit „Die vertikale Landschaftsgliederung Äthiopiens“ ab. Damit war auch der Schwerpunkt seines Interesses gesetzt, obwohl er natürlich nun erst einmal im Schuldienst beide Fächer unterrichtete, zunächst von 1964 bis 1967 an der POS Oebisfelde, von 1967 bis 1970 an der POS „Bergschule“ in Weißenfels.

Bemerkenswert ist, dass er als junger Lehrer bereits 1965 mit der Universität einen Vertrag über eine Aspirantur für den Bereich Geographie abgeschlossen und diese dann auch erfolgreich 1970 mit der Promotion zum Thema „Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten der südwestlichen Altmark – Studie zur territorialen Prognosefindung eines Agrargebietes“ mit „magna cum laude“ beendet hat. Damit war für ihn auch der Weg zur Universität frei. Zum Wintersemester 1970 konnte er eine befristete Assistentenstelle an der Sektion Geographie übernehmen, wobei ihm für seine Tätigkeit zugutekam, dass er als Zweitfach Mathematik studiert hatte, so dass er auch solche Gebiete wie „Mathematische Methoden in der Raumplanung“ sowie „Graphentheoretische Methoden in der Geographie“ bearbeiten konnte. Darüber hinaus interessierten ihn besonders siedlungsgeographische Fragestellungen und in zunehmendem Maße Fragen der Historischen Geographie, hier nun besonders auf Mitteldeutschland konzentriert.

Nach Ablauf der Befristung wurde Bruno Tauché 1973 durch die Universität an das „Institut für Industriebau“ der Bauakademie der DDR in Halle delegiert. Dort war er im Forschungsbereich Industriegebiete als Teilthemenleiter für das Projekt „Hauptstadt der DDR Berlin – Analyse der Industrie und der Bauwirtschaft“  tätig. Hier bewies er neben dem geographischen Sachverstand ein großes Geschick bei den Verhandlungen mit vielen Dienststellen und Betrieben, so dass  das „Ergebnis […] beim Auftraggeber […] hohe Anerkennung fand“ (aus der Abschlussbeurteilung der Bauakademie).

1978 wurde ihm dann eine unbefristete Stelle an der Sektion Geographie angeboten, die er bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden 2006 innehatte. Er war für die historische Kartensammlung der Geographen zuständig und betreute diese mit großem Einsatz. Die schon im Zusammenhang mit der befristeten Stelle genannten Schwerpunkte beschäftigten ihn weiter, er versuchte immer wieder, mathematische Verfahren in der Geographie nutzbar zu machen, unter anderem das bereits in den Sozialwissenschaften erfolgreich eingeführte Entropiekonzept, um damit zum Beispiel den Ordnungsgrad von Siedlungssystemen zu charakterisieren. Daneben stand die Geographie Mitteldeutschlands weiterhin im Mittelpunkt seines Interesses, zu nennen sind besonders das Zeitz-Weißenfelser Braunkohlenrevier sowie das Geiseltal mit Mücheln und Braunsbedra, aber seine besondere Liebe galt dem Biosphärenreservat Drömling in der Altmark, das er, sooft es seine Zeit zuließ, aufsuchte und erkundete.

Immer wieder beschäftigten ihn Aspekte der Siedlungsforschung, in zunehmendem Maße die historische Situation in den Blick nehmend. Mit Studenten zusammen hat er ein mehrbändiges Werk zur Kellerforschung in Freyburg (Unstrut) erarbeitet. An der Untersuchung der historischen Landschaft zwischen Halle und Leipzig, der „Liebenau“, war er wesentlich beteiligt und nach seinem offiziellen Ausscheiden aus dem Universitätsdienst wandte er sich dem „Friesenfeld“ zu, der Landschaft zwischen Saale, Unstrut, Helme, Harz und Salza.

Die Siedlungsgeschichte Halles erweckte sein Interesse. Im Rahmen des Vorhabens „Halle – die Stadt am Fluss“ konnte er zeigen, dass der Hauptarm der Saale früher wesentlich dichter an der Stadt vorbeifloss als heute und sich dort vermutlich auch ein Stadthafen befand. So prägte der Fluss das Bild des Stadtinneren bis zu den Umbauarbeiten zwischen den Jahren 1885 und 1900 mit der Verlegung des erwähnten Hauptarmes nach Westen weitaus mehr als heute. Bruno Tauché setzte sich unter Einbeziehung  historischer Aspekte wie auch aktueller ökologischer, klimatischer und die Attraktivität der Stadt betreffender Argumente dafür ein, sich durch vorsichtige Umbauarbeiten wieder diesem für die Stadt vorteilhaften Zustand zu nähern.

Bruno Tauché engagierte sich mit viel Begeisterung in der Lehre. Neben Lehrveranstaltungen zu theoretischen Problemen wie „Grundlagen der Kybernetik und Strukturtheorie“ und „Genese von Kulturlandschaften“ sowie „Angewandte Methoden der Raumplanung“ widmete er sich bevorzugt der praktischen Ausbildung der Studenten. So war er unter anderem für das Grundpraktikum „Topographische und thematische Kartographie“ zuständig, besonders am Herzen lag ihm aber die Organisation von Exkursionen zum Thema „Kulturlandschaften“. Hier liegt wohl auch die Ursache dafür, dass er bei den Studenten sehr beliebt war und manche Verbindung aus der Studienzeit die Zeitläufte überdauert hat.

Man kann Bruno Tauché mit gutem Gewissen als unangepasst bezeichnen, was gelegentlich auch zu Auseinandersetzungen führte und ihm nicht nur Freunde gemacht hat, doch letzten Endes war er kollegial und immer in der Sache engagiert.

Wohl nicht zuletzt durch seine Studien in der trostlosen Landschaft des mitteldeutschen Braunkohlenreviers mit seinen vernachlässigten Siedlungen hatte Bruno Tauché sehr früh ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Veränderungen notwendig seien. So engagierte er sich frühzeitig im „Neuen Forum“, sah aber auch, dass es an der Universität – in früheren Zeiten häufig Motor der Entwicklung – infolge der erfolgreichen „Kaderpolitik der SED“ schwer werden würde, Strukturen zu verändern.  Doch es entsprach nicht seinem Naturell zu resignieren. Zusammen mit dem Indologen Dr. Johannes Mehlig – vermutlich auf dessen Anregung hin – gründete er die „Initiativgruppe zur Erneuerung der Universität“. Gemeinsam mit zunächst sechs weiteren Universitätsangehörigen kam es zu konspirativen Treffen in privaten Wohnungen, ehe er es durch geschicktes Taktieren erreichte, dass sich die nun ständig größer werdende Gruppe (im Januar1990 waren es bereits 16 Personen aus zwölf Sektionen) in Räumen des damaligen Geographischen Instituts versammeln konnte. Ein erster Höhepunkt war die Initiierung einer Mitarbeiterversammlung für die gesamte Universität am 7. Februar 1990, auf der die Forderungen der Initiativgruppe vorgestellt und ausführlich diskutiert wurden – die Organisation lag zum größten Teil auf den Schultern von Bruno Tauché.

Man kann rückblickend sagen, wenn auch Johannes Mehlig, seinem Naturell entsprechend, nach außen hin dominierte, so war Bruno Tauché in seiner ruhigen und eher zurückhaltenden Art genau die Persönlichkeit, die in schwierigen Zeiten immer wieder die Gruppe zusammenhielt, auf aufreibende und aufwendige Sacharbeit drängte, dabei selbst immer an vorderster Stelle stehend. Es ist daran zu erinnern, wie er beharrlich immer wieder die in der ersten Zeit noch dominierenden und sich in ihrer Machtvollkommenheit sicher fühlenden Universitäts-Oberen – die zunächst zögerlich und immer wieder retardierend reagierten – anging und sie veranlasste, um nicht zu sagen zwang, Panzerschränke und bis dahin geheim gehaltene Verschlusssachen, unter anderen die „Reisekaderakten“ sowie die Akten des „Sicherheitsbeauftragten der Universität“, der in engem Kontakt zur Staatssicherheit stand, zu öffnen, so dass die Initiativgruppe wirksam werden konnte. Es ist ganz erheblich ihm zu verdanken, dass in den Mühen des Alltags und bei laufendem Lehrbetrieb diese Kärrnerarbeit konsequent betrieben und zum Erfolg gebracht werden konnte.

Mit Bruno Tauché ist ein aufrechter und stets streitbarer Mensch von uns gegangen, der neben seiner fachlichen Tätigkeit bei den Geowissenschaften der Universität im Zusammenhang mit der Erneuerung unschätzbare Dienste erwiesen hat. Wir werden ihm ein ehrendes Angedenken bewahren.

 

 

Frau Karin Keller sowie Frau Anja Bugaiski vom Universitäts-Archiv Halle-Wittenberg sei herzlich für die Bereitstellung der Unterlagen sowie der Unterstützung bei der Recherche gedankt. Ebenso danke ich Frau Anna Gutt und Herrn Martin Beitz für Auskünfte und ergänzende Unterlagen.      

Prof. Dr. Dr.-Ing. Gunnar Berg war von 1992 bis 1996 Rektor der Martin-Luther-Universität. Von 2010 bis 2020 ist der Physiker Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewesen.

 

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Kommentare

  • Katja Nebe am 23.10.2020 10:41

    Vielen Dank für diesen bewegenden und zugleich sehr erhellenden Nachruf, der persönliche Wertschätzung sehr eindrücklich in die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge der Region einbettet. Es wäre uns zu wünschen, dass wir uns mehr Zeit und Raum für derartige Aufarbeitung nehmen und Persönlichkeiten wie Bruno Tauché mehr Aufmerksamkeit widmen, am besten schon zu Lebzeiten.

  • Dr. Georg Römhild am 15.11.2020 19:23

    Für diesen Nachruf, der dem Menschen, dem Freund und Kollegen so gerecht wird, bin ich von Herzen dankbar. - Es bleibt die Erinnerung. Unvergessene Erkundungsfahrten und Aufenthalte in Bruno's mitteldeutscher Heimat.

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