Prädestiniert für Inter- und Transkulturalität: Ein Nachruf auf Dimitri Almeida
Bis zuletzt hat Dimitri Almeida mit ungebrochener Leidenschaft, Neugier und Hingabe als Juniorprofessor für Inter- und transkulturelle Studien am Institut für Romanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geforscht und gelehrt und noch am 23. Mai 2023 in der Aula des Löwengebäudes der MLU seine Antrittsvorlesung mit dem Titel »Hijab Stories: Wie ein neues Genre uns helfen kann, die französische Laizität neu zu verstehen« gehalten – frei, hochkonzentriert und mit jener unnachahmlichen Präzision, Klarheit und Zugewandtheit, die seine Vorträge und Texte gleichermaßen auszeichneten. Mit seiner Antrittsvorlesung und dem anschließenden Empfang schenkte er allen, die von nah und fern nach Halle gekommen waren, noch einen unvergesslichen Abend.
Geboren in Porto, aufgewachsen mit den drei Sprachen Portugiesisch, Französisch und Deutsch, erschien Dimitri Almeida, der auch die portugiesische, französische und deutsche Staatsbürgerschaft besaß, biographisch geradezu prädestiniert für die Denomination seiner Hallenser Professur. Sein wissenschaftlicher Weg war außergewöhnlich: Indem er unterschiedliche Wissenskulturen in Kontakt brachte, gelang es ihm mit Leichtigkeit, Fachgrenzen zu überwinden und neue Perspektiven in Forschung und Lehre zu eröffnen.
Nach dem Abitur an der Deutschen Schule zu Porto studierte Dimitri Almeida zunächst Ethnologie und Politikwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, mit mehreren Auslandsaufenthalten in Basel, Straßburg und Jassy. 2010 wurde er im Fach Gesellschaftswissenschaften mit einer von Sabine Ruß-Sattar betreuten Arbeit promoviert, die unter dem Titel „The Impact of European Integration on Political Parties: Beyond the Permissive Consensus“ 2012 bei Routledge erschien und in den folgenden Jahren zweimal aufgelegt wurde. Bereits ein Jahr vor der Promotion war Dimitri Almeida als Lehrkraft für besondere Aufgaben in französischer Landes- und Kulturwissenschaft am Seminar für Romanische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen eingestellt worden. Damit vollzog er eine sich immer deutlicher abzeichnende Bewegung von der Politik- zur Kulturwissenschaft, freilich nicht im Sinne eines Bruchs oder einer Umorientierung, sondern als souveräne, theoretisch und methodisch reflektierte Verknüpfung unterschiedlicher disziplinärer Zugänge, die ihm eine multiperspektivische Deutung verschiedener soziokultureller Phänomene ermöglichte.
Vor allem ein ebenso wichtiges wie aktuelles Thema rückte in den Fokus seines Interesses, nämlich die diskursive Verhandlung von religiösen und säkularen Identitäten in Frankreich. Neben einer Reihe von englischsprachigen Aufsätzen publizierte Dimitri Almeida hierzu 2017 bei Springer VS eine zweite Monographie mit dem Titel „Laizität im Konflikt: Religion und Politik in Frankreich“, eine Arbeit, die man als Standardwerk im deutschsprachigen Raum bezeichnen muss. Beispielhaft sei an dieser Stelle auch sein raumanalytisch ausgerichteter Aufsatz „Marianne at the Beach: The French Burkini Controversy and the Shifting Meanings of Republican Secularism“ (Journal of Intercultural Studies 39,1/2018, S. 20-34) genannt, eine feinsinnige Reflexion über die heterotopische Ordnung des Strandes in der französischen Kultur der Gegenwart. 2020 begann Dimitri Almeida, einen zweiten kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt auf dem Gebiet der „Border Studies“ zu entwickeln. Hier zeigte er unter anderem, wie die Grenzräume der „banlieues“ im nationalen und im postkolonialen Raum ein imaginäres Anderes hervorbringen, welches in einer dekonstruktiven Bewegung die Idee einer homogenen französischen Republik gleichzeitig bestätigt und unterläuft.
Die Berufung Dimitri Almeidas auf die Juniorprofessur für Inter- und transkulturelle Studien (mit Tenure Track) im Jahr 2022 war für das Institut für Romanistik der MLU in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Man mag seine feinfühlige, großherzige und liebenswürdige Persönlichkeit und seine intellektuelle Brillanz auch daran ermessen, dass er am Institut für Romanistik sofort, d.h. von den ersten Gesprächen und Unterrichtsstunden an, heimisch wurde. Trotz seiner Erkrankung brachte er die Kraft und Energie auf, in seinen Kursen die Studierenden zu begeistern, eine Reihe bedeutender Aufsätze zu veröffentlichen und in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Louvain Saint-Louis Bruxelles, Amsterdam und Lorraine (Metz) sowie dem Verein Plurivers’elles ein vielversprechendes, in die Zukunft weisendes EU-Forschungsprojekt mit dem Titel „RE-VISUALIZE: Genre et Islam dans le monde digital francophone“ auf den Weg zu bringen. Wie nebenbei gelang ihm aber auch das staunenswerte Wunder, in dem einen Jahr, das ihm hier beschieden war, sowohl seine Studierenden als auch seine Kolleginnen und Kollegen mit seiner Klugheit, seinem Ideenreichtum und nicht zuletzt mit seiner außerordentlichen Großzügigkeit, Zugewandtheit und Freundlichkeit nachhaltig zu inspirieren und zu prägen.
Dimitri Almeidas Tod ist ein kaum fassbarer Verlust für das Institut für Romanistik. Wir trauern um einen wundervollen Menschen und einen herausragenden Wissenschaftler, der uns in kürzester Zeit ans Herz gewachsen ist, der unser Leben und unsere Arbeit sehr bereichert hat und mit dem wir uns so gerne noch viele Jahre lang weiterentwickelt hätten. Unsere tief empfundene Anteilnahme gilt seiner Familie und seinem Mann Sebastian Herrmann.
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Prof. Dr. Robert Fajen ist seit 2010 Professor für französische und italienische Literaturwissenschaft sowie italienische Kulturwissenschaft an der MLU und aktuell Geschäftsführender Direktor des Instituts für Romanistik.
Prof. Dr. Natascha Ueckmann ist seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut und seit 2022 außerplanmäßige Professorin.