"Buen vivir": Zwischen Festival und Tagung
Was bedeutet „buen vivir“?
Anna von Gruenewaldt: Der ursprüngliche Begriff stammt nicht aus dem Spanischen, sondern aus den Sprachen der indigenen Bevölkerung im Andenraum. Übersetzt bedeutet er in etwa „das gute Zusammenleben“. Die Philosophie dahinter besagt, dass alles miteinander verbunden ist: Mensch, Natur, Gesellschaft. Ein ganzheitliches Verständnis der Beziehung zwischen Mensch und Natur, dass über die Ideen der Nachhaltigkeit noch hinaus geht. Dieses Konzept von einem guten Zusammenleben ist in Ecuador und Bolivien inzwischen sogar als Staatsziel in der Verfassung verankert: Die Rechte der Natur sollen gewahrt und alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen respektiert werden. Es ist ein plurales Konzept und zugleich ein langfristiger Prozess – ein Versuch, von dem wir uns inspirieren lassen wollen.
Welche Verbindung besteht dabei zur Universität?
Diese Frage wollen wir auf der Tagung stellen: Was kann „buen vivir“ im Bereich Bildung bedeuten? Was kann das Konzept für Schulen und Hochschulen bedeuten? Unser Ziel ist es, Teilnehmende von Universitäten mit Lehrenden an Schulen und Interessierten aus Politik und Gesellschaft zusammen zu bringen, um sich darüber auszutauschen. Es gibt nicht so viele Tagungen, auf denen sich Wissenschaftlerinnen mit Projektverantwortlichen und anderen außeruniversitär Engagierten austauschen. Wir wollen hierfür eine Plattform zu bieten, aus der ein Netzwerk und Ideen für Projekte entstehen können. Wir wollen auch darauf schauen, wo es in Halle und in Europa bereits Konzepte gibt, die den Ideen des „buen vivir“ nahe kommen und wie sie in verschiedene Bereiche der Bildung einfließen können.
Wie ist die Resonanz zur Tagung bisher?
Hier wird das „buen vivir“ zunehmend diskutiert, an Universitäten allerdings erst langsam. Deshalb wussten wir nicht genau, ob das Symposium auf Interesse stößt. Als wir aber dazu aufriefen, Tagungsbeiträge einzureichen, war die Resonanz relativ groß. Nun haben sich schon mehr als 130 Teilnehmende aus ganz Deutschland angemeldet. Und auch hier an der Uni in Halle gibt es Interesse am Thema. Zum Beispiel möchte ein Philosophie-Dozent ein Seminar zum „buen vivir“ anbieten, in der Geographie entsteht eine Doktorarbeit und in der Geographiedidaktik gibt es bereits eine Lehrveranstaltung zum Symposium: Die Studierenden werden teilweise zum ersten Mal eine Tagung besuchen und haben die Aufgabe, aus den Tagungsinhalten eigene Projektideen für den Schulunterricht zu entwickeln.
Was ist für Sie ein Highlight des Programms?
Da gibt es viele... Ich freue mich, dass Alberto Acosta, der ehemalige Präsident der verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador, über eine Videokonferenz teilnimmt. Und ich bin sehr gespannt auf den Vortrag von Geseko von Lüpke „Das Herz der Revolution ist die Revolution des Herzens - Wie die globale Zivilgesellschaft eine neue politische Kultur schafft“. Er hat dafür z.B. Träger des Alternativen Nobelpreises zu ihren Weltbildern befragt. Ich freue mich auch auf „Das gute Fest“, mit dem wir die Tagung beenden werden. Wir versuchen an diesen drei Tagen, ganz verschiedene Zugänge zum „buen vivir“ zu finden – wissenschaftlich und nichtwissenschaftlich. Es wird einen Theater-Workshop geben und einen „Parcours des guten Alltagslebens“, wo über die ganz persönlichen Vorstellungen der Teilnehmenden gesprochen wird. Das Symposium soll eine Mischung aus Festival und Tagung sein, an dem sich alle aktiv beteiligen können.
Mehr zum Programm: www.buenvivir-in-halle.de
Die Anmeldung ist bis zum Tag der Veranstaltung möglich. Die Hauptvorträge können auf der Webseite per Livestream verfolgt werden. Das Symposium wird als Fortbildung durch das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt anerkannt. Es wird vom Lehrstuhl für Didaktik der Biologie und Geographie gemeinsam mit den Vereinen mohio und solidaridad veranstaltet.