Reil – Universalmediziner und Stadtphysikus

08.07.2013 von Ute Olbertz in Varia
Der 200. Todestag von Johann Christian Reil (1759–1813) am 22. November 2013 ist Anlass für vielfältige Aktivitäten, die den Begründer der deutschen Psychiatrie in ein neues Verhältnis zur Gegenwart setzen. Sein Wirken in Halle als Universitätsprofessor, Stadtphysikus, romantischer Naturphilosoph sowie als Wegbereiter von Psychiatrie und Neurologie oder nicht zuletzt als führendes Mitglied der „Loge zu den drei Degen“ steht dabei im Mittelpunkt vielfältiger Betrachtungen.
Johann Christian Reil (Universitätsarchiv Halle)
Johann Christian Reil (Universitätsarchiv Halle)

An der Universität – im Löwengebäude wie in der Medizinischen Fakultät – und an den Kunstmuseen der Stadt Halle wird im Jahr 2013/14 das Wirken Reils besonders gewürdigt. „Eine interdisziplinäre Projektgruppe, der auch die Vereinigung der Freunde und Förderer der MLU – die VFF – angehört, befasst sich mit umfangreichen Vorbereitungen“, sagt VFF-Geschäftsführerin Ramona Mitsching. Vertreten sind außerdem die Saalesparkasse, die Stiftung Kunstforum Halle, die MLU und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Den Auftakt bildete bereits im Juni eine medizinhistorische Tagung des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der MLU, die an die aktuelle psychiatriehistorische Diskussion anknüpfte. Ab Herbst steht die dreigeteilte Ausstellung „Das geheimnisvolle Organ – die Vorstellung über Hirn und Seele von Johann Christian Reil bis heute“ im Mittelpunkt. Sie soll mit thematisch unterschiedlichen Schwerpunkten an drei Ausstellungsorten der Stadt gezeigt werden: im Universitätsmuseum im Löwengebäude, im Kunstforum der Saalesparkasse und im Landeskunstmuseum Stiftung Moritzburg Halle.

„Auch das traditionelle Jahresfest der VFF steht am 21. November ganz im Zeichen des Reil-Jubiläums“, verrät Ramona Mitsching. „Es findet zugleich mit der Eröffnung des ersten Teils der Ausstellung im Löwengebäude statt.“ Für die Öffentlichkeit ist die Schau vom 22. November 2013 bis März 2014 zu sehen.

Thema der Ausstellungen ist die faszinierende Entwicklung der Hirnforschung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute, für die Reil beispielhaft steht. Im Universitätsmuseum geht es unter Federführung von Uni-Kustos Dr. Ralf-Torsten Speler in erster Linie um wissenschaftlich-universitäre Aspekte dieses Fortschritts. Reil war davon überzeugt, dass das seelische Vermögen im Gehirn lokalisiert ist. So gehören zu den Exponaten unter anderem einzeitgenössisches Gerät zur Herstellung von Hirnschnitten, ein Originalpräparat einer „Reilschen Insel“ im Gehirn, Abbildungen aus Reils „Gehirnatlas“ oder prägnante Zitate zur humaneren Behandlung psychisch Kranker.

Im Kunstforum der Saalesparkasse wird Reils Wirksamkeit für die Stadt dargestellt, ausgedrückt zum einen durch die medizinisch-praktische Arbeit als Stadtphysikus, zum anderen durch sein beachtliches bürgerschaftliches Engagement. Dagmar Varady-Prinich, Medienkünstlerin aus Halle, kuratiert diesen Bereich. Es gibt viele Zeugnisse für Reils Bemühen, sich vorbildlich um Einzelheiten der städtischen Krankenversorgung zu kümmern und die Stadtverwaltung zur besseren Versorgung der Bevölkerung zu veranlassen. Zu sehen ist unter anderem das Modell einer „Zelle“ für die Unterbringung von „Irren“ um 1800. Reil forderte die Entfernung der psychisch Kranken („Irren“) aus den Strafanstalten und die Errichtung eigener Heilanstalten sowie an der Universität die Einrichtung von Lehrstühlen der Psychiatrie.

Die Stiftung Moritzburg schließt sich im dritten Ausstellungsteil mit einer Kabinettausstellung mit Werken der zeitgenössischen Kunst an. In seinen „Rhapsodien“ stellte Reil auch Überlegungen über die Wahrnehmung und heilsame Wirkung einer harmonisch gestalteten Natur an und nannte als Beispiel den Wörlitzer Landschaftspark. Reils Erwägungen über die Ursachen psychischer Störungen, ihren Ausdruck und die Möglichkeiten ganzheitlicher Heilung werden zum Element, das die Aufmerksamkeit auf die Kunst und ihre sinnliche und intuitive Wirkungsweise richtet. Die Künstlerin Dagmar Varady-Prinich komponiert filmisch experimentell aufgenommene, rhythmisierte Bildpassagen aus dem Wörlitzer Park mit Auszügen aus Reils Schrift, die von der in Halle geborenen Schauspielerin Jutta Hoffmann gesprochen werden. Mit dem Film treten grafische Arbeiten und Reprints aus dem Museum nach den historischen Gartenansichten des Wörlitzer Landschaftsparks in einen Dialog. Die Werke stammen von zeitgenössischen Künstlern, darunter Richard Long, Ludger Gerdes, Rolf Julius, Wolfgang Müller, Antonio Murado.

Gestaltet wird der gesamte Ausstellungskomplex in enger Abstimmung mit den Ausstellungsorten von Lutz Grumbach, Graphiker und Ausstellungsgestalter aus Halle.

In einem umfangreichen Begleitprogramm werden der interessierten Öffentlichkeit neben Vorträgen auch Führungen durch die Anatomische Sammlung von Meckel sowie zu Wirkungsstätten Reils in Halle angeboten. Die Meckelschen Sammlungen existierten bereits zu Reils Zeiten an der Universität.

Unter dem Titel „Das geheimnisvolle Organ – Hirn, Geist, Seele“, der ein Zitat von Reil aufnimmt, plant die Stiftung Moritzburg ausgehend von der Frage nach intuitivem, anschaulichen Denken und Erkenntnisformen 2015 eine Ausstellung mit Werken zeitgenössischer Kunst.

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