Studieren, Streiken, Sonnenbaden - Elf Monate Paris
In den ersten Wochen ist die Stadt nämlich vor allem eins: laut, anstrengend, überfüllt, hektisch, anonym und international. Nicht gerade das, was man als romantisch bezeichnen würde… Am schlimmsten war vermutlich die WG-Suche im Pariser Wohnungsmarkt-Dschungel. Nach einer Woche Marathon kreuz und quer durch die Stadt und gefühlten 1000 WG-Besichtigungen bin ich schließlich am Rande des 16. Arrondissment ganz im Süd-Westen der Stadt gelandet.
Wir sind ein deutsch-französisches Duo und wohnen in einer Miniaturwohnung im sechsten Stock ohne Fahrstuhl dafür aber mit Balkon und einem Blick auf die Dächer der Stadt. Meine Mitbewohnerin war ein Glücksgriff – die wohl beste Französischlehrerin, die ich je hatte. Gerade korrigiert sie das erste Kapitel meiner Bachelorarbeit, die ich derzeit auf Französisch schreibe.
„faire la queue“ an der Uni
Auch wenn ich dank meines Studiums (Schwerpunkt Frankreichstudien) eigentlich ganz gut über das französische Studiensystem informiert war, bleibt die Erfahrung vor Ort trotzdem ein Erlebnis. Denn wer hätte gedacht, dass man sich im Zeitalter des Internet noch persönlich in jedem Institut einschreiben muss? In der ersten Uni-Woche habe ich am eigenen Leib erfahren, was das Pariser Ur-Prinzip „faire la queue“ (zu deutsch: Schlange stehen) bedeutet. Nach anfänglicher Verwunderung wurde mir klar, warum mindestens jeder Zweite ein Buch dabei hatte. Und wie wir Schlange standen. Quer durch das ganze Gebäude. Stundenlang. Und weil Schlange stehen hier auch sonst ein sehr beliebter Sport ist, habe ich nun ebenfalls immer etwas zu lesen dabei!
Schnell war klar, dass auch der Rest des Studiums hier durchaus anders verläuft. Zumindest in meinen Veranstaltungen gab es weder Skripte noch Folien, dafür aber stundenlange Vorträge während der wir uns im Steno-Schreiben üben konnten. Trotz meiner bereits vorhandenen Französischkenntnisse griff ich gern auf die Mitschriften meiner Kommilitonen zurück. Nur um festzustellen, dass diese – um mit dem Sprechtempo des Dozenten mitzukommen – wahre Meister der Abkürzungen waren. Abkürzungen, die ich noch nie gesehen hatte und deren Entzifferung mich anfangs zur Weißglut trieb, bis ich selbst nicht mehr ohne sie auskam.
Meine anfängliche Freude über ein Hausarbeiten-freies Jahr legte sich, sobald klar wurde, dass wir stattdessen jede Woche Hausaufgaben machen mussten. Ich hatte das Gefühl, in die Schulzeit zurückgesetzt worden zu sein und verbrachte meine Abende mit Übersetzungen, Inhaltsangaben und Lektüreberichten. Der Streik, der Ende Oktober ausbrach, bot daher eine willkommene Abwechslung! Als Ursprung des Ausbruchs der 68er Revolution ist die Universität Nanterre bis heute als die ‚kommunistische‘ Universität von Paris bekannt. Und so standen wir eines schönen Tages vor von Mülleimern blockierten Türen und Plakaten, die uns darauf hinwiesen, dass man sich en grève – im Streik – befand. Die Streikfreudigkeit der Franzosen bescherte uns somit unverhofft zwei wundervolle Wochen Ferien!
Auf die Brücken – mit Baguette!
Mit dem zweiten Semester (das in Frankreich ohne zweimonatige Semesterpause direkt im Anschluss an das erste Semester beginnt) kam auch der Frühling in die Stadt. Spätestens da wurde mir klar, dass ein Semester alleine viel zu kurz gewesen wäre – zumal der Frühling und Sommer, der bereits im April Einzug hielt, die Stadt gleich doppelt so schön machen. Als wahrer Pariser Student trifft man sich mittags im Park und abends an den Ufern der Seine oder auf einer ihrer Brücken mit Baguette, Wein und Käse und kann nun endlich aus ganzem Herzen den wahren Zauber der Stadt auf sich wirken lassen!
Darum bin ich heilfroh, dass ich meinen Aufenthalt noch um ein Praktikum erweitert konnte und so noch bis Dezember hierbleiben kann. Denn wenngleich ich in den vergangenen elf Monaten schon viel gesehen habe - alle Ecken der Stadt habe ich längst nicht erkundet. Für Paris-Besucher habe ich dennoch ein paar Tipps: Mein absoluter Lieblingsort ist das Stadtviertel Marais, in dem man sich dank schmalen Gassen, kleinen Boutiquen und Unmengen von Cafés wie in einer Kleinstadt fühlt. Da es sich um eines der jüdischen Pariser Stadtviertel handelt, sind die Geschäfte hier auch an den Sonntagen geöffnet, an denen das Viertel zudem für Autos gesperrt ist und darum immer wieder aufs Neue zum Spazieren gehen einlädt.
Ein absolutes Muss ist außerdem der Flohmarkt Marché aux Puces de St. Quen. Die Verkäufer stehen dem abwechslungsreichen Angebot in nichts nach: Überall sitzt man auf Klappstühlen oder antiken Bänken bunt gemischt durcheinander, trinkt Kaffee, spielt Schach und unterhält sich. Eine ganz eigene kunterbunte Welt!
Ina Litterst studiert Interkulturelle Europa- und Amerikastudien und hat von September 2010 bis Juni 2011 als Erasmus-Stipdeniatin an der Université Paris Ouest Nanterre La Défense studiert. Seit Juli macht sie ein ein sechsmonatiges Praktikum bei der deutsch-französischen Industrie- und Handelskammer. Ihr Auslandsblog : unefrontaliere.wordpress.com