"Transparente Verfahrenswege" - Interview zur neuen Richtlinie gegen sexuelle Belästigung
Der Arbeitskreis (AK) hat sich im Juli 2013 gegründet, auch weil man eine Regelungslücke für Studierende in der bislang geltenden Richtlinie entdeckt hatte. Jetzt ist Oktober 2015. Warum hat das so lange gedauert?
Andrea Ritschel: Die Frage müsste vielleicht lauten: Was hat so lange gedauert? Denn wir wollten nie nur eine neue Richtlinie. Wir wollen auch ein Bewusstsein für die Relevanz des Themas schaffen, das Thema präsent machen und für das Thema sensibilisieren. Da lief vieles parallel, unter anderem eine Online-Befragung, eine Postkartenaktion und auch die Erarbeitung der Richtlinie. Es waren ganz unterschiedlich Menschen, die den AK gründeten, weil sie das Thema für wichtig hielten und halten. Auch der Personalrat und der Stura sind beteiligt. Felix Schiedlowski: Für den Stura war das schon ein wichtiges Signal, um das Thema anzugehen. Wir haben auch diese Regelungslücke für die Studierende gesehen. Für uns war es das primäre Ziel, die zu schließen. Studierende müssen im Text erfasst sein. Beschwerdewege und Maßnahmen müssen klar sein. Andrea Ritschel: Ich bin wohl eine der wenigen, die sagen, diese Lücke hat es rechtlich so nicht gegeben. Ich war eher irritiert davon, dass nur wenige die Richtlinie von 1998 wirklich inhaltlich kannten. Denn natürlich muss die Universität ihre Angehörigen schützen, also auch Studierende.
Was wird in der neuen Richtlinie jetzt geregelt?
Ritschel: In der Richtlinie steht, wen sie betrifft, nämlich alle Angehörigen der Universität. Auch die Gäste der Universität werden erfasst. Sie regelt die Rechte der Betroffenen, aber auch die Pflichten der Uni-Angehörigen. Ein Hochschullehrer muss doch auch reagieren, wenn ihm etwas zugetragen wird! Die Richtlinie regelt nun auch klar, wohin Betroffene sich wenden können und welche Prozesse im Beschwerdeverfahren greifen. Für offizielle Beschwerden gibt es zwei Anlaufstellen: Beschäftigte können sich an die AGG-Beschwerdestelle wenden. Studierenden, Stipendiaten und Gästen der Universität stehen Frau Moritz und Frau Naujoks-Kreowsky aus der Abteilung Studium und Lehre als feste Ansprechpartner zur Verfügung. Schiedlowski: Uns war es besonders wichtig, die Verfahrenswege so transparent wie möglich darzustellen. Das ist gut gelungen.
Die Richtlinie ist vom Senat verabschiedet worden. Wie geht es weiter?
Ritschel: Die Richtlinie tritt mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Universität in Kraft. Damit ist die Arbeit jedoch noch nicht getan. Wir müssen nun zügig die Inhalte der Richtlinie in der Universität kommunizieren. Wir werden zum Beispiel einen Flyer erarbeiten, in dem der Text für alle verständlich erklärt wird, die Ansprechpartner benannt sind und Rechte und Pflichten deutlich werden. Das Thema bleibt eine beständige gesamtuniversitäre Aufgabe.
Die Richtlinie regelt den Schutz vor Diskriminierung, Gewalt und Belästigung. Im Fokus steht hier vor allem die sexuelle Belästigung. Gibt es dafür überhaupt eine Definition?
Ritschel: Es ist sicherlich schwierig, Belästigung genauso konkret zu definieren wie Gewalt oder Diskriminierung. Sie lässt sich sehr viel eher an Beispielen illustrieren. Aber: Der Begriff der Belästigung ist trotzdem durch den Gesetzgeber national und auf EU-Ebene definiert und durch Gerichte präzisiert worden. Man spricht von Belästigung, wenn jemand durch Handlungen oder Äußerungen die Würde des anderen verletzt. Ob von Belästigung die Rede sein kann, hängt davon ab, ob sich jemand belästigt fühlt. Der Begriff beinhaltet somit auch subjektive Elemente und damit den Respekt persönlicher Grenzen.
Sie haben vorhin kurz auf die Online-Umfrage verwiesen, auch sie wurde vom AK veranlasst. Ausgewertet wurde sie von der Soziologin Dr. Bernadette Jonda und gestern im Senat vorgestellt.
Ritschel: Wir haben die Umfrage gestartet, um für uns mehr Klarheit zu haben. Worüber reden wir hier? Gibt es Fallzahlen? Wie ist die Situation an der Uni? Es ist auf keinen Fall eine Dunkelfeldanalyse.
Ich lese hier den Satz: „Sie [die Ergebnisse und Zitate] erlauben jedoch nicht die Sexuelle Belästigung als DAS Problem an der Universität zu diagnostizieren.“ Wie diskutiert der AK diese Aussage?
Ritschel: Der AK hat diese Ergebnisse aus dem Papier noch gar nicht diskutiert. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Wer sich andere Studien anschaut, stellt sehr schnell fest, dass die Uni nicht besser und nicht schlechter ist als andere Orte in der Gesellschaft. Diese Aussage birgt aber sehr wohl die Gefahr, Betroffene zu marginalisieren. Schiedlowski: Das ist ja auch keine sozialwissenschaftliche Erhebung. Viel wichtiger als das reine Zahlenmaterial sind doch die Einzelaussagen, die hier in der Umfrage erfasst worden sind. Darüber und über die Arbeits- und Studienbedingungen an dieser Universität müssen wir reden.
Im vergangenen Jahr hat eine Gruppe von Studentinnen ein Bündnis gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung an der MLU gegründet. Einige der Mitglieder waren selbst Betroffene. Das Bündnis fordert vor allem Aufklärung und mehr Transparenz. Gab es zwischen dem AK und dem Bündnis einen Austausch?
Ritschel: Es gab keinen direkten Austausch, obwohl wir zwei Versuche unternommen hatten. Als im März im Landtag die Anhörung zum Thema sexuelle Diskriminierung und Gewalt stattfand, sind wir Gleichstellungsbeauftragen im Anschluss aber nochmals auf das Bündnis zugegangen und haben uns zum Thema ausgetauscht. Wir sollten jetzt miteinander im Gespräch bleiben, wenn es darum geht, das Thema in die Breite zu tragen und Handreichungen zu erarbeiten. Schiedlowski: Das Bündnis hat doch einigen Druck von außen aufgebaut und damit Strukturen in der Uni nicht ins Wanken gebracht, aber schon ein Stück weit zum Schwimmen. Dass das Thema auch eine Rolle im Landtag gespielt hat, hat auch unser Anliegen vorangebracht.
Link zu der Richtlinie im Amtsblatt
Weitere Informationen zum Thema sexuelle Belästigung auf der Website des Gleichstellungsbüros