Wie angelt man sich einen Top-Redner?
Die Kronleuchter funkeln von der Decke. Axel Stolze hat es fast geschafft. Er befestigt noch das Plakat für das 43. Hallesche Wirtschaftsgespräch am Rednerpult. Fertig. Zwar ist der Freylinghausen-Saal der Franckeschen Stiftungen menschenleer, doch für Stolze steckt er voller Erinnerungen. „Die Stiftungen sind für mich wie ein Zuhause, ich fühle mich mit ihnen verbunden. 1961 habe ich an der Latina mein Abitur gemacht, hier war ich im Stadtsingechor und just an dieser Stelle habe ich das Sportabitur bestanden“, sagt der 75-Jährige. „Es ist unglaublich. Aber im Freylinghausen-Saal haben wir Fußball gespielt und manche Lampe kaputt geschossen“, sagt der Geschäftsführer des Instituts für Unternehmensforschung und Unternehmensführung an der Universität Halle (ifu) augenzwinkernd.
Der Macher der Halleschen Wirtschaftsgespräche kann auf ein besonderes Jubiläum blicken. Stolze ist seit nunmehr 50 Jahren ununterbrochen für die Martin-Luther-Universität tätig. Mit dieser Vita macht ihm wohl derzeit kaum jemand Konkurrenz. Wie kaum ein anderer kennt er die Leute und die Strukturen der Alma Mater. Er ist beliebt, ehrgeizig, fair. Er sagt, was er denkt und er denkt nach, bevor er etwas sagt. Inhaltloses Wortgeklingel ist jedenfalls nicht sein Ding.
Nach dem Abi, mit 19 Jahren, ging es für Axel Stolze gleich mit dem Volkswirtschaftsstudium an der Martin-Luther-Universität los. „Andere mussten zur Volksarmee, ich wurde nie eingezogen und weiß bis heute nicht warum“, sagt Stolze mit Schulterzucken. Nach dem Studium landete er in der sozialistischen Produktion. „Plötzlich war ich Absatzleiter im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld“, berichtet er. „Na ja, das war natürlich nicht mein Traum.“ Jeden Tag im Morgengrauen mit 1.000 übermüdeten Leuten im Schichtzug nach Bitterfeld zu düsen, sei für ihn unerträglich gewesen. Er drängte auf Veränderung.
Am 16. Mai 1966 erhielt er dann von der Uni Halle ein Angebot als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Spezialisiert auf die Bereiche Transportplanung und -optimierung sowie auf die Erstellung mathematischer Modelle für die Industrie konnte er 1970 promovieren und 1988 habilitieren. „Folglich habe ich den Antrag auf eine außerplanmäßige Dozentur gestellt. Für einen Nichtgenossen kam nichts anderes in Frage. Die Konstellation war damals so, dass nur sehr wenige von fast 150 Leuten in der Fakultät kein Parteibuch besaßen“, erzählt Stolze. Dennoch, und das ist ihm wichtig, habe er als Nichtgenosse an der „Roten Fakultät“ nie Nachteile erlebt. Seine Bewerbung als Dozent überschnitt sich mit der Wende. Die Wirtschaft der DDR brach zusammen und mit ihr auch die damalige Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät.
Für 2017 hat Norbert Lammert zugesagt
Natürlich hätte Axel Stolze der Uni Halle den Rücken kehren können. Viele seiner ehemaligen Kollegen gingen in den Westen und machten Karriere. „Ich nicht“, sagt er fast trotzig. „Ich bin absoluter Hallenser und werde immer hier bleiben.“ Stolze begründet das auch durch seine väterlichen Wurzeln, die bis zur Halloren-Bruderschaft zurückreichen. Als 1990 durch Prof. Dr. Gerhard Wilhelm Schmitt-Rink die neue Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät an der Uni Halle gegründete wurde, nahm er erneuten Anlauf. Ein Lehrstuhl war nicht in Sicht, aber die Privatdozentur. „Ich wurde ein habilitierter Nichtberufener. Trotzdem war ich damit immer zufrieden. Ich konnte lehren, Vorlesungen halten – wunderbar!“
Wichtige Weggefährten zu dieser Zeit wurden Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Lassmann, Prof. Dr. Rüdiger Pohl und Prof. Dr. Michael Ebeling. Bis heute engagieren sie sich alle in den Gremien am ifu-Institut, das 1993 durch Schmitt-Rink mit sieben weiteren Hochschullehrern gegründet wurde. Ziel des An-Instituts ist es, die praxisrelevante Forschung am Wirtschaftswissenschaftlichen Bereich zu fördern und wissenschaftliche Forschungsergebnisse in der Wirtschaft schneller umzusetzen. Die Ausrichtung der Halleschen Wirtschaftsgespräche nimmt dabei eine Sonderrolle ein. Schmitt-Rinks Anforderungen sind bis auf wenige Ausnahmen noch heute Gesetz. „Das heißt, die Leute, die wir ans Rednerpult holen, müssen exklusiv sein, mindestens Bundesminister, Ministerpräsidenten oder Vorstände von börsennotierten Aktiengesellschaften“, erklärt Stolze.
Doch wie angelt man sich einen Top-Redner? Natürlich mit der Liste der Top-Redner, die schon da waren. Namen wie Jean-Claude Juncker, Hans-Olaf Henkel, Hans-Dietrich Genscher, Lothar Späth, Wolfgang Schäuble oder Guido Westerwelle tauchen darauf auf. Der Kniff: „Wenn ich beispielsweise bei einer Veranstaltung einen Wunsch-Kandidaten abpasse und ihm den Flyer mit der Namensliste überreiche, heißt es oft: Ach, der war auch schon da? Na, dann komme ich vielleicht auch.“
Manchmal können auch Beziehungen helfen, wie beim ersten Gast. Stolze erinnert sich an Otto Graf Lambsdorff. „Ihn bekamen wir 1994 über die Frau von Professor Schmitt-Rink. Sie war zu jener Zeit bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag.“ Wenn es darum geht, hochkarätige Gäste an die Uni Halle zu holen, schöpft Stolze alle Möglichkeiten aus. Die Neuigkeit darf man schon verraten: Für den 23. Mai 2017 hat Bundestagspräsident Nobert Lammert zugesagt.
Vor 52 Jahren zum ersten Auslandsseminar nach Bratislava
Zurück zum Studenten Axel Stolze. Als der mit 23 Jahren im Rahmen des Wirtschaftswissenschaftlichen Auslandsseminars nach Bratislava reisen darf, entwickelt sich bald eine Leidenschaft. „1966 habe ich angefangen, selbst Auslandsseminare zu betreuen.“ Stolze findet es wichtig, mit ausländischen Kollegen zu kooperieren und die Erfahrungen mit Studierenden bei Seminarreisen zu teilen. „Dabei sind mir die slowakischen Kollegen von der Wirtschaftsuniversität Bratislava besonders ans Herz gewachsen.“
Mit der Wende wurde diese Kooperation zurückgefahren, doch 1995 glücklicherweise wieder reanimiert. Heute kann man sagen, dass das Auslandsseminar Bratislava der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gerade durch das Engagement von Axel Stolze eines der wenigen ist, das überlebt hat. Und es ist wohl auch das Kontinuierlichste. Seit 1997 hat Axel Stolze in 20 Veranstaltungen über 500 Studenten nach Bratislava und umgekehrt nach Halle geholt. „Der Zulauf ist ungebrochen. Die Gruppe für 2017 ist schon wieder voll.“
Ans Aufhören hat Axel Stolze freilich schon mal gedacht. Nächstes Jahr werden am ifu-Institut ein neuer Vorstand und Geschäftsführer gewählt. Doch die Posten sind allesamt ehrenamtlich besetzt. Und da schwindet bekanntlich schnell das Interesse. Wer soll es machen? „Vielleicht ja doch wieder ich?“, fragt Stolze und lacht in seiner sympathischen Art.
43. Wirtschaftsgespräch mit Michael Vassiliadis
Am Dienstag, 22. November, findet das 43. Hallesche Wirtschaftsgespräch statt. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegesellschaft Bergbau – Chemie – Energie wird zum Thema „Industrieland Deutschland! - Strategien für eine nachhaltige Zukunft“ sprechen. Die Veranstaltung beginnt 18 Uhr im Freylinghausen-Saal der Franckeschen Stiftungen am Franckeplatz 1. Eine Teilnahme ist nach Anmeldung per E-Mail an axel.stolze@wiwi.uni-halle.de oder per Telefon unter der Nummer +49 345 55-23412 möglich.