Aus der Vergessenheit geholt: der Philosoph Wilhelm Traugott Krug

Zum Auftakt stand Krugs Wirken in und um Wittenberg im Vordergrund. Nach der Eröffnung durch die Ausrichter der Tagung Prof. Dr. Rochus Leonhardt (Leipzig) und Leucorea-Geschäftsführer Dr. Karl Tetzlaff machte die Leiterin der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek in Wittenberg Dr. Caecilia-Désirée Hein auf die neue Ausstellung zu Krug mit dem Titel „Meine Lebensreise. Sechs Stationen, sechs Positionen“ aufmerksam. Sie ist bis zum 11. Juni 2025 in der Bibliothek im Schloss Wittenberg zu besichtigen.
Der erste Höhepunkt war der Festvortrag von Jan Rohls (München), der ein weites historisches, geistesgeschichtliches und biographisches Panorama aufspannte. Rohls nutzte Krugs Autobiographie „Krug‘s Lebensreise in sechs Stazionen“ als Orientierung und präsentierte dessen verschiedene Lebensstationen, die er vom Geburtsort Radis über Wittenberg, Frankfurt (Oder) und Königsberg bis nach Leipzig nachverfolgte. Rohls präsentierte Krug als Theologischen Rationalisten, der für die Perfektibilität, die sittliche Vervollkommnung des Menschen eintrat. Neben vereinzelten Appetithäppchen aus Krugs Schriften wurde von Rohls auch die historische Situation der napoleonischen und nachnapoleonischen Zeit angeschnitten. Krug selbst wurde dabei insgesamt als humorvoller Zeitgenosse erkennbar, der gegenüber Hegel vor Spott nicht zurückschreckte und auf den gesunden Menschenverstand pochen konnte.
Im Anschluss daran versammelte sich das Festpublikum im Hof der Leucorea. Zu Ehren des heute fast in Vergessenheit geratenen Philosophen der Spätaufklärung wurde – dank der Unterstützung des Rotary-Clubs Wittenberg und der Stadtwerke – eine Gedenktafel am Gebäude der Leucorea eingeweiht. Mit Musik untermalt und durch Grußworte des Bürgermeisters Wittenbergs André Seidig, der Alt-Bürgermeisterin von Radis Evelin Erdmannund der Superintendentin Dr. Gabriele Metzner begleitet, fiel das Banner der Leucorea und gab den Blick auf die neue Gedenktafel frei.

Am zweiten Tag der Tagung warf jeder der sechs Vorträge ein Schlaglicht auf das Denken Krugs und beleuchtete somit ein spezifisches Thema seines Werks. Insgesamt konnte dadurch ein guter Einblick in die Breite des Denkens von Krug gewonnen werden.
Krug lebte in einer Zeit, in der sich der öffentliche Austausch von Meinungen, der Raum des Öffentlichen erst herausbildete (und vonseiten der Machthaber immer wieder mit Zensur bekämpft wurde). Der Philosoph selbst nahm regen Anteil sowohl an öffentlich-publizistischen Debatten als auch an der theoretischen Reflexion der Meinungsfreiheit. Die Vorträge der Philosophin Dr. Cheryce von Xylander (Lüneburg) und des Theologen Dr. Karl Tetzlaff (Wittenberg) ergänzten sich so hervorragend: Während von Xylander stärker auf Krug als aktiven public intellectual (Vortragstitel: „Traugott Krugs vornehme Denkart. Perfektibilität, Makrobiotik, Restauration in Betracht auf Kant“) und seine Rolle als Popularphilosoph in öffentlichen Diskussionen etwa mit von Haller und Hufeland einging, widmete sich Tetzlaff Krugs Reflexion und Konzeption der Meinungsfreiheit und präsentierte ihn sowohl als Vordenker einer liberalisierten Öffentlichkeit als auch als Kritiker der Zensurbestimmungen (Vortragstitel: „,Die Freiheit der Meinung muß überall respektirt werden.‘ Wilhelm Traugott Krug als Vorkämpfer einer liberalen Öffentlichkeit“). Die einzelnen Punkte seines Vortrags, die Krugs Konzeption von Öffentlichkeit, Denkfreiheit und Pressefreiheit anschnitten, mündeten in der Frage nach gegenwartsrelevanten Anschlussmöglichkeiten in der Frage nach einem Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas).
Die Virulenz für uns gegenwärtiger Themen riss von Beginn an nicht ab. So entfaltete der Theologe Prof. Dr. Rochus Leonhardt (Leipzig) in seinem Vortrag „Der ‚Krieg über Prinzipien‘ als ‚das Non plus ultra alles Unsinns‘. Krieg und Frieden bei Wilhelm Traugott Krug“ zwei verschiedene Kontexte von Krugs Nachdenken über die Frage nach dem gerechten Krieg: seine Ausführungen im Bereich der Rechtsphilosophie einerseits und seine Äußerungen zum politischen Zeitgeschehen (etwa zur Heiligen Allianz) andererseits.
Dr. des. Valentina Dafne De Vita (Wittenberg) fokussierte Krugs Eheethik – ein Thema, das keineswegs als randständig betrachtet werden darf, sondern das im Horizont der Frage nach Freiheit und Gleichheit eine paradigmatische Frage berührt, an der sich Theorien konkretisieren lassen. De Vita tauchte in ihrem Beitrag „Liebe und Rechte im Wandel der Zeit: Krugs ‚Philosophie der Ehe. Ein Beytrag zur Philosophie des Lebens für beyde Geschlechter‘ im Kontext seiner Epoche“ mit humorvoller Distanz in die Genderperspektiven jener Zeit ein, grenzte Krugs Eheverständnisse von Kant ab und hob die Ambivalenzen bei Krug hervor, der sich zum einen für die Partizipation von Frauen im sächsischen Landtag einsetzte, andernorts aber an deren Kompetenz dazu zweifelte.
Das politische Engagement Krugs, das hier anklingt, wurde auch im fünften und sechsten Vortrag herausgestellt. Prof. Dr. Jonas Flöter (Leipzig) zeichnete Krug, seine Bildungseinflüsse und seine Vorschläge zur Reform der Universität in die 1830 erfolgten Bildungs- und Universitätsreformen ein (Vortragstitel: „Universitätsreform im Verfassungsstaat – Wilhelm Traugott Krug und die Neuordnung der Universität Leipzig“). Krug selbst war zu dieser Zeit Rektor der Leipziger Universität und aktiv an den Umstellungen beteiligt. Der Vortrag von Dr. Marianne Schröter (Brandenburg) „,Über die bürgerliche Gleichstellung aller Religionsparteien.‘ Wilhelm Traugott Krug und die Frage der Judenemanzipation“ ging sowohl Krugs argumentativer Auseinandersetzung mit antijudaistischen und antisemitischen Vorurteilen als auch seinem aktiven politischen Einsatz im sächsischen Landtag für die Emanzipation der Juden nach.
Die Tagung zeigte insgesamt, dass ein Blick in die vermeintlich „zweite Reihe" abseits der „Klassiker" lohnt und dass an den Debatten der damaligen Zeit für gegenwartsrelevante Fragen nach wie vor zu lernen ist.
Der Autor ist wissenschaftliche Hilfskraft an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und im Forschungsprojekt „Ethik um 1800. Transformationen reformatorischer Gesellschaftstheorie am Beginn der Moderne“, das an der Stiftung Leucorea läuft und in dessen Rahmen die Tagung ausgerichtet wurde.