Zwischen Promotion und Professur
Ohne sie wäre Lehre und Forschung heute kaum denkbar: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind die größte an den Universitäten beschäftigte Akademikergruppe, rund 1200 Hochschulangehörige an der MLU zählen dazu. Sie werden gern unter dem Begriff „wissenschaftlicher Nachwuchs“ zusammengefasst, eine klare Definition aber fehlt. „Der Wissenschaftsrat unterscheidet zwischen denen, die nach der Promotion in der Forschung bleiben und denen, die eine Karriere als Hochschullehrer anstreben“, erläutert Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung (HoF). In mehreren Projekten untersucht sie speziell die Situation der Beschäftigten zwischen Promotion und Professur.
Im Jahr 2006 hatte der Bund das HoF, ein An-Institut der MLU, mit dem „Bericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ beauftragt. Bis dahin waren die Karrierewege an Hochschulen ein weitgehend unerforschtes Feld. Das Team um Anke Burkhardt legte 2007 einen ersten Bericht vor und schreibt bereits an einer zweiten, detaillierten Analyse. „Wir forschen dazu nicht selbst, sondern arbeiten alle Veröffentlichungen zum Thema auf“, erläutert Burkhardt. Die Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf die Postdoktoranden. Diese haben nach der Promotion eine zweite Qualifikationsphase zu durchlaufen, bevor sie sich – durch Juniorprofessur, Habilitation oder Nachwuchsgruppenleitung – für eine Professur qualifizieren. International ist diese Struktur ein Unikat. „Im Ausland herrscht eine andere Personalstruktur für junge Forscher. Dort gibt es keine Post-Doc-Phase.“ Der entscheidende Unterschied für die Nachwuchswissenschaftler: Wirklich selbstständig lehrt und forscht allein der Lehrstuhlinhaber. Stellen unterhalb der Professur sind in Deutschland weisungsgebunden und im Regelfall befristet.
Lehren, forschen, publizieren, Klausuren und Hausarbeiten korrigieren, Exkursionen und Räume organisieren, Studieninhalte multimedial vor- und nachbereiten – all das sind tägliche Aufgaben von Postdoktoranden wie Claudia Beetz. Die promovierte Juristin arbeitet bei Professor Wolfhard Kohte, ihre halbe Stelle läuft im nächsten Jahr aus. „Ich würde gern das weitermachen, was ich zurzeit mache – lehren und forschen, ohne zu habilitieren. Es ist schade, dass die bestehenden Strukturen an Hochschulen das langfristig viel zu schwer machen. Mir macht die Lehre Spaß, aber ich möchte nicht noch einmal über einen längeren Zeitraum in einem befristeten Arbeitsverhältnis ohne konkrete Planungsperspektive arbeiten“, sagt die Expertin für Zivil- und Sozialrecht. Zu einem möglichen Karriereweg hat ihr Doktorvater sie beraten. „Eine Alternative bietet die Professur an der Fachhochschule. Dort steht die Lehre noch stärker im Vordergrund und ich kann weiterhin wissenschaftlich arbeiten.“ Fachhochschulen setzen jedoch Berufserfahrung voraus. Claudia Beetz will deshalb zunächst in die Praxis.
Neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern im Angestelltenverhältnis sind einer Studie von Anke Burkhardt zufolge befristet an Universitäten beschäftigt, meist in einer halben bis dreiviertel Stelle. „Sie alle bemängeln eine fehlende Planungssicherheit, fehlende berufliche Perspektiven und dass das Einkommen nicht ihrer Arbeitsleistung entspricht“, fasst Anke Burkhardt die Lage zusammen. Eine Umfrage der Gewerkschaft Verdi an acht Universitäten, darunter auch die MLU, ergab 2011 ein ähnliches Bild. Und dennoch: „Alle schätzen das Arbeitsklima und die -inhalte als sehr positiv ein.“ Die hoch motivierte Mehrheit würde sich wieder für den akademischen Weg entscheiden, obwohl dieser meist befristet ist. Für all jene Promovierten, die nicht nach dem Professorentitel streben, war bis 2007 nach „6 plus 6“ Schluss: Sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Doktorarbeit durften sie an einer Hochschule befristet beschäftigt werden. „Das Ziel dieser Regelung war eigentlich, dass die Beschäftigten nach zwölf Jahren unbefristet eingestellt werden. Das war allerdings ein Trugschluss“, bedauert Burkhardt. „Ihnen drohte vielmehr, dass sie nach zwölf Jahren die Hochschule verlassen mussten.“
Um dem entgegenzuwirken wurde 2007 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) verabschiedet. „Wer überwiegend aus Drittmitteln finanziert wird, kann jetzt immer wieder Verträge abschließen. Man kann sich also von Projekt zu Projekt hangeln.“ Was das im Einzelfall bedeutet, hat Claudia Beetz als Gleichstellungsbeauftragte der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät bis 2009 oft erlebt: „Manche haben eine halbe Stelle aus Haushaltsmitteln und eine halbe aus Drittmitteln mit unterschiedlichen Laufzeiten. Wenn sie dann noch Elternzeit oder Mutterschutz in Anspruch nehmen, gestaltet sich die Vertragsstruktur sehr kompliziert. Da hilft nur ein Zeitstrahl, um nachzuverfolgen, wie lange welcher Vertrag läuft.“ Die zweifache Mutter beschäftigt sich auch aus juristischer Perspektive mit dem WissZeitVG. „Eine solche Regelung ist zur Ermöglichung der Qualifikation nicht unsinnig“, findet sie. „Aber deshalb sollten Hochschulen nicht davon abrücken, auch unbefristet einzustellen. Das eine schließt das andere ja nicht aus.“
Die Entscheidung über Be- und Entfristung liegt bei den Hochschulen und beim Land, das ihnen den finanziellen Rahmen vorgibt. „Universitäten wollen sich ungern dauerhaft an Personal binden, da sie selbst keine finanzielle Sicherheit besitzen. Das Land weist ihnen jeweils den Haushalt für höchstens zwei Jahre zu“, erläutert Anke Burkhardt. Als Geschäftsführerin des HoF kennt sie die Überlegungen der Personalplaner aus eigener Erfahrung. Aus Sicht der Hochschulforscherin gibt es dennoch eine Fülle von Möglichkeiten, die Berufsperspektiven wissenschaftlicher Mitarbeiter zu verbessern: „Dürften die Hochschulen unternehmerischer zu handeln, könnten sie aus Drittmitteln Rücklagen bilden, aus denen auch Mitarbeiter unbefristet angestellt werden können. Unterhalb der Professur sollten zudem neue Personalkategorien geschaffen werden, die selbstständig lehren und forschen dürfen. Befristete Beschäftigte müssten auch besser bezahlt werden als unbefristete, damit sie sich für Übergangszeiten ein Polster ansparen können“, fordert sie. Auch der Bund könne Veränderungen bewirken: „Er kann mehr Förderprogramme für Juniorprofessuren schaffen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft kann ihre Mittelvergabe an die Bedingung knüpfen, dass ein Teil der Projektmitarbeiter unbefristet beschäftigt wird. Ähnliche Ansätze gibt es in der Gleichstellungspolitik.“
Handlungsbedarf sieht auch Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost, Prorektorin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der MLU: „Die Zahl der unbefristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist im internationalen Vergleich sehr niedrig. Ich halte das für ein großes Problem im deutschen Hochschulsystem. Hier gibt es aus meiner Sicht Veränderungsbedarf, um mehr jungen Akademikern eine berufliche Perspektive jenseits der Professur zu bieten.“ An der MLU werde diese Gruppe in der „heißen“ Karrierephase bereits mit verschiedenen Angeboten unterstützt: „Nachwuchswissenschaftlerinnen können in Zukunft wieder ein spezielles Mentoring-Programm nutzen, in dem sie individuell auf den Berufseinstieg vorbereitet werden. Wir unterstützen sie auch bei Tagungen und Publikationen, um ihre akademische Arbeit stärker sichtbar zu machen und natürlich durch das Familienbüro.“ Wie stark die Gestaltung universitärer Stellen auch vom Angebot und von der Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften abhängt, zeigt sich zurzeit in den Ingenieurwissenschaften. Hier ist die Konkurrenz zwischen Universitäten und Unternehmen mittlerweile so groß, dass kaum ein promovierter Ingenieur eine ausgeschriebene halbe Stelle antreten würde und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Nachwuchsgewinnung bei den Ingenieuren mit überdurchschnittlich hohen Summen fördert.
Mehr: Im November 2011 haben sich Doktoranden der MLU zur Promovierenden-Initiative Halle zusammengeschlossen. Sie wollen die Situation der Promovierenden an der MLU verbessern und ihnen eine Stimme geben.