Adolf Weißler - ein Glücksfall für das Notarwesen
Es war in den 1990er Jahren, als Prof. Dr. Heiner Lück erstmals den Namen Adolf Weißler hörte. Rund ein Jahrzehnt zuvor war man auf dem Gertraudenfriedhof in Halle auf die frisch abgeräumten Grabsteine des Notars und seiner Frau Auguste gestoßen. Sie lagen auf einer kleinen Halde, bereit zum Abtransport, ihre Inschriften weckten jedoch das Interesse eines Besuchers. Über einen Mitarbeiter der damaligen Landwirtschaftlichen Fakultät erfuhr später Rechtshistoriker Lück davon. „Allerdings wusste zu jener Zeit auch im Umfeld der juristischen Fakultät nicht sofort jemand etwas mit diesem Namen anzufangen“, erinnert sich Lück. „Das war mein Einstieg“, sagt er heute. Gemeinsam mit dem damaligen Dekan Prof. Dr. Armin Höland begann Lück zu recherchieren.
In der Folge legten die beiden Professoren nicht nur zahlreiche Details der Lebens- und auch der ungewöhnlichen Todesumstände Weißlers frei, sie kümmerten sich auch um den Erhalt seiner Grabstätte, die seit 2003 sogar als Ehrengrab von der Stadt Halle gepflegt wird. Warum? „Weil Weißlers Schaffen für den gesamten Berufsstand der Notare von besonderer Bedeutung ist“, sagt Armin Höland, der bis 2014 an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät lehrte.
Heiner Lück ergänzt: „Weißler war ein großer Organisator der berufspolitischen Förderung des Notariats.“ Von Halle aus gründete er 1900 den Deutschen Notarverein. Ein Jahr später übernahm er außerdem die Schriftleitung der Zeitschrift des Deutschen Notarvereins, die es noch heute gibt. „Außerdem verschaffte er Notaren und Rechtsanwälten, die bis dato keiner staatlichen Fürsorge unterstanden, eine soziale Sicherung.“ Er gründete 1907 eine Witwen- und Waisenkasse, die er als Geschäftsführer selbst leitete. Die Organisation firmierte offiziell unter dem etwas umständlichen Namen „Ruhegehalts-, Witwen- und Waisenkasse für deutsche Rechtsanwälte und Notare zu Halle a.d.S.“. „Die heutige Anwalts- und Notarversicherung hat ihre Wurzeln in dieser Arbeit“, so Rechtshistoriker Lück, der sich intensiv mit der Geschichte des Notariats befasst hat.
Weißler, 1855 im schlesischen Loebschütz geboren, begann als Referendar im oberschlesischen Ort Königshütte und wurde dort 1886 zum Notar bestellt. Das von ihm eigentlich angestrebte preußische Richteramt blieb ihm aufgrund seiner jüdischen Herkunft versagt. 1893 zog Weißler mit Frau und drei Söhnen nach Halle. Hier fand er das geistige Umfeld, das ihm bei seiner Arbeit guttat. Er bezog eine Wohnung am heutigen Universitätsring (damals Alte Promenade 6) und wirkte nicht nur als Anwalt und Notar, sondern auch als rechtswissenschaftlicher Schriftsteller. „Er war ein begabter Schreiber. Das lag ihm mehr als die anwaltliche Praxis“, sagt Höland. Und so publizierte Weißler diverse Sammlungen des preußischen Privatrechts, des Nachlassverfahrens, ein von ihm kommentiertes Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie rechts- und berufsgeschichtliche Abhandlungen zur Rechtsanwaltschaft und zum preußischen Notariat. Seine Arbeiten seien von bleibender Bedeutung, so Höland.
Von Halle aus verfolgte Weißler auch den Ersten Weltkrieg. Eigens dazu legte er im August 1914 ein Kriegstagebuch an, um, wie er schrieb, sein „beladenes Herz irgendwo auszuschütten“, weil die Ereignisse „zu erschütternd“ seien. Seine Einträge spiegeln zugleich den Kriegsverlauf wider. Als sich das Kriegsende abzeichnete, wuchs bei Weißler die Verzweiflung. Mit Bezug auf die Versailler Friedensverhandlungen notierte er am 24. Juni 1919: „Man hat bedingungslos angenommen. Nein, ich ertrage dieses Leben nicht.“
Einen Tag später, dem 25. Juni 1919, schrieb Weißler: „Ich habe gut und fest geschlafen. Ruhig und fast heiter gehe ich, wie jeden Morgen, zur Peißnitz. Dort vollend ichs.“ In der Tat setzte Weißler dort seinem Leben ein Ende. Als sein Sohn und die hinzugezogene Polizei ihn nachmittags fanden, war Weißler bereits tot. Gestorben durch einen Schuss, den er sich mit seiner eigenen Waffe gesetzt hatte. „Er empfand den Ausgang des Kriegs als Verletzung der Ehre des deutschen Volkes, das hat ihn als liberalen Patrioten auch persönlich tief getroffen“, so Höland.
Als sich 2019 Weißlers tragisches Lebensende zum 100. Mail jährte, organisierten Höland und Lück gemeinsam ein Symposium im Landgericht. Sie konnten dabei an die von ihnen 2003 veranstaltete Tagung zu preußischen Juristenkarrieren anknüpfen. „Diese Veranstaltung bildete den Auftakt für eine ausdauernde Rezeptionsgeschichte zu Weißler und seinem Werk an unserer Fakultät“, so Höland. Damals waren auch Nachfahren zu Gast in Halle, darunter Weißlers in Brasilien lebende Urenkelin, Dr. Bettina Weissler-Ried, die der Fakultät den Nachlass ihres Urgroßvaters anbot. Seither hält Höland Kontakt zur Familie.
Inzwischen befinden sich die Urkunden, Fotos, Tagebücher und Briefe im Universitätsarchiv. Der Nachlass sei für die weitere wissenschaftliche Erschließung von großer Bedeutung. Genau wie die Tagungsbeiträge von 2019, die inzwischen längst in ein gemeinsames Buchprojekt der Professoren Höland und Lück eingeflossen sind. „Notariat im Wandel“, so der Titel des Ende 2020 erschienenen Werks. An der überregionalen Bedeutung Weißlers besteht indes kein Zweifel: Lück: „Jeder deutsche Notar dürfte diesen Namen kennen.“
Zum Buch:
Armin Höland, Heiner Lück (Hrsg.): Notariat im Wandel. Dem Notar Adolf Weißler (1855-1919) anlässlich seines 100. Todestages zum Gedächtnis. Bonn 2020, 164 Seiten, 34,35 Euro, ISBN: 978-3-95646-226-9