Alte Fossilien neu entdeckt
Auf den ersten Blick ist das Krokodil-Fossil eine eher ungeordnete Ansammlung von braungefärbten Knochen. Erst bei genauem Hinschauen sind in dem Wirrwarr Beine, ein flacher länglicher Schädel und ein Schwanz erkennbar. Das Ganze ist in Paraffin eingebettet und wird von einer Glasscheibe geschützt. Dieses Krokodil lebte im Eozän vor etwa 45 Millionen Jahren im Geiseltal, rund 40 Kilometer südlich von Halle – einem Gebiet, das geprägt ist vom Braunkohleabbau und bekannt für die Funde in den riesigen Tagebauen. Bereits 1932 wurde das Krokodil dort geborgen – zusammen mit rund 50.000 weiteren Fossilien, die heute das Prädikat „national wertvolles Kulturgut“ tragen.
Ein Teil der Funde ist im Geiseltalmuseum in der Neuen Residenz in Halle zu sehen – und das auch wieder öffentlich mit dem Startschuss zur Museumsnacht Halle-Leipzig am 5. Mai. Darunter sind Urpferdchen, Fische, schillernde Prachtkäfer und viele weitere Tiere, die im Eozän lebten. „Ihre sterblichen Überreste versanken in den damaligen Sumpf- und Moorlandschaften. Dort gerieten ihre Körper schnell unter Luftabschluss und wurden mit Sedimenten überlagert“, sagt Paläontologe Dr. Oliver Wings, der seit Juli 2017 der neue Kustos der Geiseltalsammlung ist.
50.000 fossile Raritäten
Dass diese sich im sauren Milieu der Braunkohle-Sümpfe erhalten konnten, hat Seltenheitswert. Normalerweise zersetzen sich tierische Überreste im Moorwasser. Die Muschelkalkberge im Geiseltal sorgten jedoch dafür, dass kalkhaltiges Wasser in die Sümpfe floss und einige Areale pufferte. Das Karbonat neutralisierte die zersetzenden Eigenschaften der sauren Sümpfe. „Das erklärt jedoch nicht, warum Weichteile, wie Knorpelgewebe oder sogar verschiedene Lagen von Hautzellen, erhalten bleiben konnten“, sagt Wings. Dieser Frage geht er nun mit der irischen Paläontologin Dr. Maria McNamara vom University College Cork nach. Gemeinsam untersuchen sie, wie die Fossilien des Geiseltals entstanden, sich im Laufe der Jahrmillionen veränderten und wie sie in ihrer spezifischen Form erhalten bleiben konnten.
Für diese und viele weitere Forschungsprojekte war die Sammlung immer zugänglich, seit Ende des Jahres 2011 aber nicht mehr für die breite Öffentlichkeit, weil die Sammlung langfristig auf einen Umzug vorbereitet werden soll. „Damit die Sammlungsstücke während der Umzugsvorbereitungen jedoch nicht in Vergessenheit geraten, haben wir uns entschlossen, das Museum immer montags von 14 bis 16 Uhr wieder zu öffnen“, sagt der Kustos. Schließlich sei seine Aufgabe als Wächter der Sammlung, diese für die Forschung und die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und zu erhalten.
Bis zur Wiedereröffnung am 5. Mai hat Oliver Wings noch einige Arbeit vor sich. Denn die Geschichte des Geiseltalmuseums geht bis ins Jahr 1934 zurück und so manche Vitrine und einige Schilder bedürfen dringender Schönheitsreparaturen. Bei den anstehenden Arbeiten unterstützen ihn Studierende. „Wir wollen die Vitrinen neu auslegen und innen streichen“, sagt Wings. Außerdem möchte er die Schautafeln in einem einheitlichen Layout gestalten und die Informationen darauf aktualisieren. Denn: Einige stammen noch aus den Museumsanfängen und sind längst überholt. Außerdem werden die Funde mit neuen LED-Lampen ins richtige Licht gerückt. Ein Teil der Sammlung ist jedoch noch bis Juni an das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ausgeliehen. 47 der besten Objekte sind in der spektakulären Ausstellung „Klimagewalten – Treibende Kraft der Evolution“ zu sehen.
Auch wenn Oliver Wings an die Zukunft des Geiseltalmuseums denkt, hat der Kustos einige nicht ganz unspektakuläre Pläne: „Langfristig wäre eine Rekonstruktion des Lebensraumes im Geiseltal toll, eine Mischung aus Diorama und 3D-Animation. Mit Hilfe moderner Medien könnte man so das Ökosystem von vor 45 Millionen Jahren wiederauferstehen lassen.“ Im Ausstellungsraum in der ehemaligen Kapelle in der Neuen Residenz möchte er außerdem Platz für Veranstaltungen schaffen.
Seltenheitswert durch Wachs
Dass der Erfurter heute im Geiseltalmuseum arbeitet, ist kein Zufall. „Schon als kleiner Junge haben mich Steine und Fossilien fasziniert. In der Schule war ich in der Arbeitsgemeinschaft ‚Junge Geologen‘ und habe im Urlaub Donnerkeile am Strand gesammelt“, berichtet er. In einem Ferienjob reinigte er eingestaubte Fossilien im Erfurter Naturkundemuseum. Nach dem Studium an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Bonn, wo er auch promoviert wurde, absolvierte er ein wissenschaftliches Volontariat im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Danach kamen für den heute 45-Jährigen wichtige Stationen als Postdoc an der Universität Tübingen, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Naturkundemuseum Berlin und im Dinopark Münchehagen (Niedersachsen) sowie als Projektleiter am Landesmuseum Hannover. Seinen ersten Job als Kustos trat er bei der Stiftung Schloss Friedenstein in Gotha an, die auch eine naturkundliche Sammlung beherbergt, bevor es ihn nach Halle verschlug. Sein erstes Fazit ist sehr positiv: „Besonders die Mischung aus Forschung, Lehre und Museumsarbeit gefällt mir und das Team ist wirklich toll.“
Neben der Arbeit im Museum liegt dem Paläontologen die Forschung an der Sammlung am Herzen. „Ich habe bisher hauptsächlich zu Dinosauriern und Krokodilen geforscht und bin kein Fachmann für alles“, sagt Wings. Daher ist es sein Anliegen, die Forschungspotenziale der Fossilien gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erschließen. „Ich habe die Geiseltal-Fundstücke auf internationalen Tagungen vorgestellt. Da kam viel positive Resonanz.“
Ein besonderes Merkmal macht die Sammlung außerdem bei immer mehr Forschern begehrt: Die Konservierung der Fossilien in Paraffin, also Wachs. Andere Fundstellen aus dem Eozän wurden meist später entdeckt als das Geiseltal, was dazu führte, dass deren Funde mit Kunstharz konserviert wurden. Das hat einen entscheidenden Nachteil: Bei Untersuchungen mit Röntgenstrahlung ist es schlechter zu durchleuchten. „Das ist beim Paraffin kein Problem, daher können unsere Funde auch beispielsweise mit Hilfe von Computertomografie untersucht werden und man bekommt exzellente dreidimensionale Bilder“, erklärt der Paläontologe.
Wenn es um sein persönliches Forschungsinteresse geht, kann sich Wings auch eine vergleichende Studie mit heute lebenden Tieren und den Fossilien aus der Geiseltalsammlung vorstellen. „Mein Lieblingsthema ist zugegebenermaßen etwas kurios. Und zwar sind das Magensteine.“ Wings erklärt das Phänomen an dem Fossil des Krokodils: „Da in der Mitte des Rumpfes, wo der Magen war, sind lauter kleine Kiesel. Das sind sogenannte Magensteine.“ Die kleinen Kiesel im Magen des Tiers sind dort nicht zufällig hineingeraten, sondern wurden vom Krokodil zu Lebzeiten verschluckt. „Warum das so ist, konnte noch nicht geklärt werden. Fest steht nur, dass Krokodile auch heute noch Steine verschlucken.“ Bereits in seiner Promotion hat Oliver Wings zu diesen besonderen Steinen geforscht und erhielt dafür den Nachwuchspreis der Paläontologischen Gesellschaft.
Auf einen Blick: Webseite zu über 40 Sammlungen
Vom Archäologischen Museum bis zur Zoologischen Sammlung: Die Universität besitzt mit mehr als 40 Sammlungen und Museen einen großen und einzigartigen Sammlungsbestand aus ihrer über 500-jährigen Geschichte. Um diese Schätze der Forschung und Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen, sind diese nun in einem neuen Verzeichnis auf der Website www.sammlungen.uni-halle. übersichtlich gebündelt. Die Oberbegriffe „Geisteswissenschaften“, „Humanmedizin“ und „Naturwissenschaften“ ermöglichen eine thematische Eingrenzung. Zu Bedeutung, Entstehungsgeschichte, Umfang und Besichtigungszeiten der Sammlungen und Museen informieren die einzelnen Unterseiten. Über die angegebenen Kontaktdaten können sich Interessierte bei Fragen an die zuständigen Einrichtungen und Institute wenden.
Kontakt: Dr. Oliver Wings
Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen
Telefon: +49 345 55-26073
E-Mail: oliver.wings@zns.uni-halle.de