Angekommen am Steintor-Campus

13.10.2015 von Corinna Bertz in Varia, Im Fokus
Zum Wintersemester hat der Lehrbetrieb am Steintor-Campus begonnen. Er ist neben dem Universitätsplatz, den Franckeschen Stiftungen und dem Weinberg mit angrenzendem Klinikum der vierte große Campus der Uni Halle. 15 Jahre sind vergangen, seit erstmals darüber diskutiert wurde, die Geistes- und Sozialwissenschaften an einem Standort zu konzentrieren. Am 17. Oktober haben Anwohner, Studierende und alle Interessierten ab 10 Uhr die Gelegenheit den neuen Campus bei einem Tag der offenen Tür kennenzulernen.
Zur Zeit der Aufnahme noch menschenleer: Halles neuer Campus. Links im Bild zu sehen ist der Institutsneubau an der Emil-Abderhalden-Straße.
Zur Zeit der Aufnahme noch menschenleer: Halles neuer Campus. Links im Bild zu sehen ist der Institutsneubau an der Emil-Abderhalden-Straße. (Foto: Markus Scholz)

Der neue Campus von oben:

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Roland Östreich hat Respekt vor dem Moment des Lehrbeginns, der 3.000 Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften an den Steintor-Campus bringt. Seit März 2015 ist er Hausmeister am neuen Campus, obwohl es diese Berufsbezeichnung nicht mehr ganz trifft: „Ich bin für alle Gebäude verantwortlich, kümmere mich aber auch um die Medientechnik in den Lehrräumen.“ In jedem der vier Hörsäle und 20 Seminarräume hat er vor dem Semesterstart noch einmal alle technischen Geräte geprüft und gewartet. Jeden Tag war er mit einer Sackkarre voller Werkzeuge auf dem fast fünf Fußballfelder großen Gelände unterwegs, um letzte Mängel zu beseitigen oder den Uni-Beschäftigten in ihren 260 neuen Büros zur Seite zu stehen.

Sie sind alle mittlerweile angekommen: 350 Mitarbeiter aus 16 verschiedenen Disziplinen sitzen in den Institutsgebäuden, die meisten von ihnen in dem weißen Neubau, der sich an der Emil-Abderhalden-Straße entlang zieht. Zuvor saßen sie zum Teil kilometerweit voneinander entfernt und sahen ihre Kollegen aus den anderen Instituten nur selten. Jetzt laufen sich Archäologen und Kunsthistoriker, Politikwissenschaftler, Japanologen, Sprechwissenschaftler, Germanisten, Romanisten, Soziologen, Slawisten, Anglisten, Amerikanisten, Philosophen, Indogermanisten, Historiker, Altertumswissenschaftler, Mitarbeiter des orientalischen Instituts und Psychologen täglich über den Weg.

„Diese Nähe wird sich allmählich auch in den Strukturen sowie auf kommunikativer und organisatorischer Ebene widerspiegeln“, sagt Dr. Matthias Buck, der das Projekt im Auftrag der Philosophischen Fakultät II fünf Jahre lang eng begleitet hat. Auch wer hier studiert, wird seinen Kommilitonen künftig viel häufiger begegnen. Diejenigen, die bislang zwischen zwei Seminaren von der Innenstadt zum Hohen Weg hetzen mussten, können ihre Pause jetzt häufiger als Pause nutzen. Für viele Uni-Angehörige werden die täglichen Wege kürzer.

Wo Kühn einst mit lebenden Tieren lehrte

 Blick in das Bibliotheks-Innere im Dezember 2014
Blick in das Bibliotheks-Innere im Dezember 2014 (Foto: Markus Scholz)

Am stärksten aber verändert sich wohl der Alltag der Bibliotheksmitarbeiter, die gemeinsam mit ihren 17 verschiedenen Fachbeständen in die neue, größte Zweigbibliothek der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) eingezogen sind. Sie arbeiten jetzt in einem Gebäude, das fast jeder, der es schon einmal betreten hat, als Glanzstück des Campus bezeichnet.

Beeindruckende Architektur, moderne Ausstattung, ausgeklügelte Technik, längere Öffnungszeiten und eine neue Katalog-Systematik bietet das neue Haus. Niemand muss sich jetzt noch seine Literatur mühsam aus den über die Stadt verstreuten Zweigbibliotheken zusammensuchen. Die Bücher sind zentral am Campus zu finden – und zwar sieben Tage die Woche, wochentags sogar bis Mitternacht.

15 Jahre sind vergangen, seitdem zum ersten Mal davon die Rede war, die geistes- und sozialwissenschaftlichen Einrichtungen der Uni Halle an einem Standort zu konzentrieren. Die Villen, in denen viele Institute ihren Sitz hatten, waren ursprünglich nicht für Lehr- und Forschungszwecke erbaut worden. Ein neues, attraktiveres Umfeld, das auch internationalen Vergleichen standhalten kann, sollte entstehen. Lange Zeit war dafür der zentrale Standort Spitze zwischen Hallmarkt und Händel-Halle im Gespräch. 2004 wurde dann auch eine Reihe anderer möglicher Standorte geprüft, darunter das Gelände am Steintor, an dem bis 2009 noch die Geo-, Agrar- und Ernährungswissenschaftler der Universität saßen.

Im Jahr 1862 hatte der Agrarwissenschaftler Julius Kühn zunächst eine Villa an der Ludwig-Wucherer-Straße 2 gekauft, um dort seinen Wohnsitz und zugleich den ersten Lehrstuhl für Landwirtschaft in Deutschland einzurichten. Heute sitzen Germanisten, Romanisten und Orientalisten in dem traditionsreichen Gebäude. In allen sanierten Altbauten lassen sich Hinweise auf ihre agrarwissenschaftliche Vergangenheit entdecken. Sei es am Eingang zum Gebäude in der Ludwig-Wucherer-Straße 2, wo in goldenen Lettern noch „Landwirtschaftliche Fakultät“ über der Tür prangt. Oder in Form von Wandreliefs, die Getreidegarben und Tiere zeigen, als Zeichen dafür, dass sich die Bewohner und Nutzer in diesem Gebäude einst mit Pflanzenanbau und Tierzucht beschäftigten.

Das Gelände zu Kühns Zeiten, Zeichnung aus dem Jahr 1888 (Bild: Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU)
Das Gelände zu Kühns Zeiten, Zeichnung aus dem Jahr 1888 (Bild: Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU)

Im Laufe seiner 47 Jahre als Institutsdirektor und Professor schuf Julius Kühn an der Stelle des heutigen Steintor-Campus eine landwirtschaftliche Bildungsstätte, die international ihresgleichen suchte. Er kaufte angrenzende Flächen auf, ließ Stallungen bauen und legte zu Lehr- und Forschungszwecken einen Nutzpflanzen- und einen Haustiergarten an. Einige Bäume, die jetzt als Naturdenkmal zwischen der Ludwig-Wucherer-Straße 2 und der Bibliothek Schatten spenden, wurden damals gepflanzt. Bis zu 1.000 Tiere lebten zeitweise auf dem Gelände.

Einige werden heute als Präparate im Museum für Hautstierkunde Julius Kühn aufbewahrt. Das flache, unsanierte Haus ist als letzter Posten der Agrarwissenschaftler auf dem Gelände erhalten geblieben. Bis heute werden die wertvollen Haustierskelett-Sammlungen für Lehre und Forschung genutzt. Nach seinem Tod wurden die von Kühn geschaffenen Institute und Einrichtungen ab 1910 weiter ausgebaut und 1947 zu einer Landwirtschaftlichen Fakultät zusammengefasst. Vier Gebäude, die damals für die wachsenden Institute neu entstanden, sind heute – saniert und restauriert – Bestandteil des neuen Campus.

Ein Campus – viele Interessen

Blick auf die Baustelle im März 2015
Blick auf die Baustelle im März 2015 (Foto: Maike Glöckner)

Am 30. Oktober 2006 fiel der Beschluss der Landesregierung: Das neue Geistes- und Sozialwissenschaftliche Zentrum, bald nur noch GSZ genannt, sollte auf der einst von Kühn ausgewählten Fläche errichtet werden. 52 Millionen Euro standen für das Vorhaben zur Verfügung. Die Mittel dafür stammten zu drei Vierteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung. Bis zur Übergabe der Gebäude im Jahr 2015 lag der Bau in der Hand des Landesbetriebs Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt (BLSA).

2009 zogen die Agrar-, Ernährungs- und Geowissenschaftler an den Weinberg-Campus. Damit konnten die Planungen beginnen. Die Abteilung 4 – Bau, Liegenschaften und Gebäudemanagement der Uni arbeitete gemeinsam mit dem BLSA, Stadtplanern, Architekten, Denkmalschutzexperten, den künftigen Nutzer und vielen anderen Verantwortlichen an dem Großprojekt.

Alle Neubau-, Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten an der größten Baustelle der Universität liefen parallel – ein Kraftakt für die Bau-Abteilung. „Ein derart komplexes Projekt braucht die Unterstützung und Fachkenntnisse aller Referate in der Abteilung. Auch andere Einrichtungen, wie das IT-Servicezentrum waren eng mit eingebunden“, sagt GSZ-Projektleiter Alexander Keck, bei dem seit 2012 alle Fäden zusammenliefen.

Mehrfach kam es zu weitreichenden Änderungen: So sollten ursprünglich auch die Altbauten an der Emil-Abderhalden-Straße saniert werden, jedoch stellte sich heraus, dass dies die Kosten eines Neubaus um ein Vielfaches übersteigen würde. Auch die Bibliothek musste um eine Etage verkleinert werden. Ende 2011 begann man deshalb mit dem Abriss vor Ort. Im Frühling 2012 starteten die Sanierungen der Häuser in der Adam-Kuckhoff-Straße und der Ludwig-Wucherer-Straße  sowie die Bauarbeiten für das neue Institutsgebäude und die Bibliothek.

Von der Standortentscheidung vor neun Jahren bis zu den letzten Mängeln, die jetzt noch beseitigt werden – jede Woche saßen die Verantwortlichen mit Fachleuten und den späteren Nutzen in Planungsrunden oder waren auf der Baustelle unterwegs. Dabei galt es stets, die Vorgaben der Feuerwehr, des Denkmalschutzes und der Behindertenvertretung zu berücksichtigen sowie den finanziellen Rahmen im Blick zu behalten. „Man lernt mehr über die Kommunikation als über die Sache selbst“, sagt Matthias Buck rückblickend, und lobt die zuständige Bau-Abteilung: „Bei der Gestaltung und Ausstattung unserer Räume wurde uns wirklich zugehört.“

Die Vorführhalle in der Adam-Kuckhoff-Straße 35 wurde aufwändig saniert.
Die Vorführhalle in der Adam-Kuckhoff-Straße 35 wurde aufwändig saniert. (Foto: Markus Scholz)

Akustiker hörten zum Beispiel im sanierten Altbau in der Adam-Kuckhoff-Straße 35 ganz genau hin. Mit ihrer Hilfe wurde die sogenannte Vorführhalle, ein hoher, heller Raum besonders schalldämmend gestaltet, so dass er nicht nur für die Lehre optimale Bedingung bietet, sondern auch als Aufführungsort der Sprechwissenschaftler genutzt werden kann.

Familienfreundlich ist der neue Campus auch: Insgesamt neun Wickeltische wurden eingerichtet, mindestens einer ist in jedem Gebäude zu finden. In der Adam-Kuckhoff-Straße 34b steht zudem ein eigens für Eltern und ihre Kinder gestalteter Spiel- und Ruheraum bereit.

Ungewöhnlich farbig wirkt das Innere der Altbauten. „Wo es möglich war, sind die durch restauratorische Untersuchungen ermittelten ursprünglichen Farben und Muster wieder hergestellt worden“, erläutert Alexander Keck. Die Agrarwissenschaftler mochten es damals offensichtlich bunt: lila, grün, weinrot oder orange sind die Wände gestrichen. Und die original erhaltenen mechanischen Fensterheber, schmiedeeiserne Türgriffe sowie die  wiederaufgearbeitete Originalbestuhlung in den historischen Hörsälen verleihen den Gebäuden ihren ganz eigenen Charme und Charakter.

Dr. Monika Lücke von der Schwerbehindertenvertretung an der Uni Halle war seit 2010 ebenfalls intensiv in das Projekt eingebunden. Fünf Jahre lang hat sie auf einen barrierefreien Campus hingearbeitet. Rund zehn Prozent der Studierenden leben mit mindestens einer gesundheitlichen Einschränkung. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind das insgesamt rund 300 Menschen, deren Interessen Monika Lücke vertritt. Aber nicht nur für diese Menschen sei Barrierefreiheit und alles was dazugehört – von der kontrastreichen Beschilderung über die breiten Automatik-Türen bis zu Geländern, die man umgreifen können muss – ganz entscheidend, wie die Historikerin betont: „Fast jeder vierte Arbeitsunfall bei uns passiert zum Beispiel an Treppen. Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz lohnen sich für alle.“  Ihr Fazit fällt durchwachsen aus: „Die Altbauten sind sehr großzügig gebaut, hier haben wir gute Erfolge erzielen können.“ In den Neubauten sei sie mit dem Ergebnis weniger zufrieden.

Bereits im Februar wurden die Altbauten am Campus bezogen
Bereits im Februar wurden die Altbauten am Campus bezogen (Foto: Markus Scholz)

Im Februar 2015 bezogen die ersten Geistes- und Sozialwissenschaftler die Altbauten, im Juli folgte der Einzug in den Neubau. Mit den letzten Büchern, die im September in die Regale der neuen Bibliothek geräumt wurden, war der Umzug vollzogen. „Das war unser letzter großer Umzug“, sagt Horst-Dieter Foerster, der das Projekt als Leiter der Bautabteilung über den gesamten Zeitraum begleitet hat, rückblickend. Im Vergleich zum Umzug an den Weinberg-Campus sei er aber längst nicht so aufwändig gewesen: „Es war vor allem ein Umzug von Büros. Wir mussten keine laufenden Versuche umziehen und lediglich zwei Labore einrichten.“

Dennoch wurden rund 10.000 Umzugskartons bewegt. Moderne Technik findet sich nun neben Universitätsgeschichte. Im langen, eher funktional wirkenden Institutsneubau an der Emil-Abderhalden-Straße sind zwei Labore für die Archäologen, ein Tonaufnahmestudio für die Sprechwissenschaftler sowie ein Seminarraum mit Videokonferenztechnik für die Japanologen untergebracht. In einigen Lehrräumen wurden interaktive Whiteboards – digitale, berührungssensitive Wandtafeln – angebracht und der gesamte Campus ist mit  Uni-Wlan ausgestattet.

Auch räumlich soll das Gelände bald noch besser angebunden sein: Durch die Steintor-Passage, die zurzeit am süd-östlichen Ende des Geländes entsteht, wird es eine direkte Verbindung zur Großen Steinstraße und zum Verkehrsknoten Steintor geben. Der neue Campus wird somit in ZUkunft nicht nur die halleschen Geistes- und Sozialwissenschaften sondern aud das Stadtbild prägen.

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