Archäologen über die Schulter geschaut
Was ist auf der Halbinsel vor Tausenden von Jahren passiert? Ihre geschichtliche Bedeutung als kulturelle, wirtschaftliche und politische Drehscheibe zwischen der Ägäis und Anatolien zu untersuchen, ist das Anliegen der Grabungskampagnen, die seit 2006 jeweils im Spätsommer starten. Die von Thomas Knebel und Hannes Bessler geführten Kameras beobachten unter der Regie von Gerhard Lampe das Forschungsgeschehen, schauen den nach Spuren Suchenden neugierig über die Schulter. Kommentare ranken sich um die ausdrucksstarken Bilder und in Interviews beschreiben die beteiligten Wissenschaftler ihre Erkenntnisse. Entstanden ist eine filmische Dokumentation, die Didyma, Tavşan Adası und Panormos in ihrer Entwicklung im Gesamtzusammenhang beleuchtet.
Über diese Forschungen der halleschen Universität einen Film zu drehen, war die gemeinsame Idee der Archäologen und der Medienwissenschaftler der MLU. „Vor allem wollten wir damit die wissenschaftlichen Arbeiten transparenter gestalten“, so der hallesche Archäologie-Professor Francois Bertemes. Es wird die Geschichte der Erforschung der Milesischen Halbinsel erzählt: Wie ringen die Wissenschaftler anhand gefundener Beweisstücke darum, immer mehr Licht in einen längst vergangenen Zeitraum zu bringen, der von der Bronzezeit bis in die Spätantike reicht. Verschiedenste Kulturen oder Stämme haben sich im Laufe der Jahre dort angesiedelt, auf ältere Bauwerke neue gebaut oder unvollendet gebliebene Tempel überlagert. Nicht zuletzt hinterließen Kriege Verwüstungen und die Spuren des verheerenden Vulkanausbruch von Thera im Jahr 1613 v. Chr. lassen sich nachweisen. Vermutlich zerstörte danach ein Tsunami die letzte bronzezeitliche Siedlung und führte zum Niedergang der minoischen Kultur.
Den antiken Apollon-Tempel in Didyma erforschen die Professoren Helga Bumke und Andreas Furtwängler – er ist für sie zugleich Referenzprojekt für den religiösen Mikrokosmos griechischer Heiligtümer. Grabungsleiter auf der Insel Tavşan Adası (Haseninsel), eine früher mit dem Festland verbundene Hafeninsel, ist Professor François Bertemes. Er untersucht die minoische Expansion in die Ostägäis. Dieser strategisch einst günstige Standort stellte in der Bronzezeit ein wichtiges logistisches Zentrum innerhalb des minoischen Kommunikationsnetzwerks dar. Die erstmals Ende der Frühbronzezeit belegte Segeltechnik bildete die Voraussetzung für den maritimen Fernhandel und erklärt das Erstarken des Netzwerks. Beeindruckt ist Bertemes von der Qualität der Funde, die auf eine Besiedlung der Insel in der Kupfersteinzeit oder frühen Bronzezeit im 3. Jahrtausend v. Chr. hinweisen: „Unter anderem legten wir 2011 einen runden Keramikofen kretischen Typs frei. Zuvor entdeckten wir eine steinerne Gussform zur Herstellung zweischneidiger Äxte.“ Sie geben Auskunft darüber, dass damalige Werkzeuge und Gefäße vor Ort hergestellt und nicht importiert wurden. Gefunden wurden auch Reste von minoischen Webstühlen, die der Herstellung von Stoffen dienten. Darüber hinaus kamen Bleigewichte, Bronzemeißel, ein Steinamboss, Tierknochen, ein Bergkristallsiegel mit eingraviertem Segelschiff sowie unzählige Scherben von Keramikkrügen und Schüsseln ans Licht. Diese Stücke fanden sich von Gebäuderesten umgeben, die auf ein früheres Handwerkerviertel hindeuten.
Um die Geschehnisse vor mehreren Jahrtausenden anhand der Funde lebendig werden zu lassen, braucht es nicht nur Hartnäckigkeit und Fingerspitzengefühl – auch eine Portion Phantasie gehört dazu. Nur so lassen sich winzige Mosaiksteinchen mühsam zusammen puzzeln, und am Ende entsteht ein immer vollständiger werdendes Bild vom Leben der Menschen in der Bronzezeit und danach.
Gegraben wird jedes Jahr im Rahmen einer Kampagne von Anfang September bis Mitte Oktober. Etwa 20 lokale Grabungsarbeiter stehen dabei zur Verfügung, die von zwei bis drei Institutsmitarbeitern begleitet werden. „Nicht zuletzt ist auch stets ein türkischer Grabungskommissar dabei, der die Arbeiten begutachtet“, sagt Bertemes. Hier hat sich aber inzwischen eine gute Zusammenarbeit entwickelt. Anschließend geht es an die Auswertung der Funde und Grabungsergebnisse, die teilweise das ganze Jahr bis zur nächsten Kampagne andauern. Daran arbeiten zwei Restauratoren, ein Fotograf, ein Zeichner und vier Doktoranden. Jedes einzelne Stück wird gesäubert, beschriftet, fotografiert, inventarisiert, und schriftlich kommentiert. Passende Scherben werden von den Restauratoren zusammengesetzt.
Im Mittelpunkt des Interesses der Forscher stehen außerdem die Überreste einer antiken Nekropole, die erst 2011 in der Nähe des antiken Hafens Panormos entdeckt wurde. Auch dieses Projekt unter Leitung des Museums Milet in Kooperation mit dem DAI begleitete das Kamerateam.
„Der Film wird im Dezember 2013 in einer Premierenveranstaltung an der Universität vorgestellt“, erklärt Lampe. Die Arbeiten wurden vom Prorektorat für Forschung und durch das Deutsche Archäologische Institut unterstützt.
Filmpremiere am 5. Dezember 2013: Archäologische Forschungen auf der Milesischen Halbinsel (http://pressemitteilungen.pr.uni-halle.de/index.php?modus=pmanzeige&pm_id=2182)