Archäologie: Jahrtausende alte Patchwork-Keramik aus der Türkei
27.000 Fundstücke hat Jörg Becker in den letzten Jahren erforscht, typisiert und klassifiziert. Sie stammen allesamt von einer Grabung im Gebiet des mittleren Euphrats, die bereits in den 1980er Jahren durchgeführt wurde: „Die Fragmente wurden bei einer Rettungsgrabung in der Südost-Türkei gefunden, die damals von der Universität München und dem deutschen Archäologischen Institut in Istanbul geleitet wurde“, berichtet der Archäologe Becker. Anfang der 1990er Jahre wurden die meisten Grabungsstätten in dieser Region überflutet: Große Stauseen wurden an der Grenze der Türkei zu Syrien angelegt, um mit Hilfe von Turbinen Strom zu gewinnen und trockene Ebenen zu bewässern. Heute sind die meisten Grabungsstellen geflutet und nicht mehr zu erreichen.
Damals war es Dr. Alwo von Wickede, der die Grabung am Çavi Tarlası leitete. Viele internationale Forschungsinstitutionen und Museen waren an den Rettungsgrabungen im Bereich des späteren Atatürk-Stausees im Südosten der Türkei beteiligt. Am Çavi Tarlası selbst kamen Siedlungsreste und Tausende von Tonscherben, Stempelsiegel und Terrakotten sowie andere Gerätschaften des täglichen Lebens zutage, die der spätneolitihischen Halaf-Kultur angehören. „Diese Kultur entstand im frühen 6. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Çavi Tarlası war durchgehend für rund 400 Jahre während dieser Zeit besiedelt“, so Becker. Das macht den Ort für die archäologische Forschung besonders interessant, da er ein relativ authentisches Bild von damals liefert, weitgehend ungestört von späteren Siedlungsaktivitäten.
Die bäuerlich-dörfliche Halaf-Kultur gilt es als erster weitgespannter Keramik-Horizont des Alten Orients, die den gesamten nördlichen „Fruchtbaren Halbmond“ umfasst und vom irakisch-iranischen Zagrosgebirge bis fast an die Mittelmeerküste reichte. Die Menschen fertigten Feinkeramiken, Geschirr oder Töpfe an, welche sie auch kunstvoll bemalten. Nicht nur geometrische Formen, auch Stier- oder Widderköpfe, Schlangen und Raubtiere zieren die Artefakte, die Becker erforscht hat. „Frauen werden immer wieder sehr figurbetont dargestellt. Damit ist wahrscheinlich der Wunsch nach Fruchtbarkeit und einer glücklichen Geburt verbunden“, so Becker weiter.
Dass zwischen einer Ausgrabung und der wissenschaftlichen Auswertung der Fundstücke fast 30 Jahre liegen, sei für die Archäologie zwar bedauerlich aber nicht allzu ungewöhnlich: „Auswerten ist zum einen mühseliger als ausgraben. Es ist aber zum anderen vor allem eine Frage vorhandener Personal- und Sachmittel. Nicht selten liegen daher zunächst nur Vorberichte vor, die jedoch keine wissenschaftliche Endpublikation ersetzen.“ Dank einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft konnte sich Becker nun zusammen mit dem Ausgräber und einem Forscherteam an die Auswertung der Fundstücke machen.
Weitere Bilder von den Funden der Archäologen:
Kollegen der Universität in Frankfurt führten Röntgenfluoreszenzanalysen an Keramiken durch, um die Elemente und die chemischen Verbindungen zu bestimmen. Mineralogen des Karlsruher Instituts für Technologie untersuchten, mit welchen Techniken die Keramiken hergestellt wurden. Wissenschaftler aus Mannheim wiederum führten C14-Datierungen durch, wodurch die beiden jüngsten Bauschichten auf einen Zeitraum von circa 5.700 bis 5.500 vor unserer Zeit eingegrenzt werden konnten. Die ältesten drei Bauschichten konnten die Forscher indessen durch Keramikvergleiche auf einen Siedlungsbeginn um circa 5.850 vor unserer Zeit einordnen. Im Kontext mit etwas älteren Fundorten der Region belegt die Auswertung am Çavi Tarlası, dass die Region integraler Bestandteil bei Herausbildung der Halaf-Kultur war und nicht erst im Rahmen der so genannten „Halaf-Expansion“ um die Mitte der 6. Jahrtausends vor unserer Zeit besiedelt wurde.
„Lange Zeit glaubte man, es hätte damals größere Halaf-Dörfer gegeben, die auch die kleineren Siedlungen mit ihrer Keramik versorgten. Das sei – so die Überlegung – der Grund für den scheinbar homogenen Stil der Halaf-Keramik“, erklärt Becker. Jüngere Forschungsarbeiten kämen jedoch zu einer anderen Bewertung: Zwar dürfte in begrenztem Umfang ein Austausch keramischer Produkte existiert haben, doch wurde auch die Mehrzahl der bemalten Feinkeramik sicherlich lokal in den einzelnen Dörfern und Weilern produziert, hauptsächlich wohl saisonal nach der Erntezeit und in Haushaltsproduktion. Der ähnliche Stil der einzelnen Fundstücke sei vielmehr ein Indiz für die weitgespannten Austauschbeziehungen der einzelnen Siedlungen untereinander, die sich auch im Austausch von Schmucksteinen, wie Lapislazuli aus dem iranisch-afghanischen Raum oder Kauri-Schnecken aus dem Indischen Ozean, widerspiegeln, so Becker.
Seine akribische Arbeit belegt bezüglich der Keramikproduktion weiterhin: „Es gibt so etwas wie regionale Keramik-Dialekte, die sich anhand der verschiedenen Fundstücke beschreiben lassen: Diese zeigen sich nicht so sehr in den Gefäßformen, dafür aber in der Art und Weise, wie bestimmte Motive verwendet und miteinander kombiniert werden“, erklärt der Archäologe. Dabei scheine durch Wiederholung und leichte Variation eher die Tendenz zu überwiegen, durch die Motive Gemeinsamkeiten und damit Identitäten herzustellen, als sich deutlich voneinander abzugrenzen. Die neuen Erkenntnisse plant der Forscher nun, in einer über 500-seitigen Publikation zu veröffentlichen.