Ausstellung zeigt Winckelmanns Leben und Wirken
Gespannt blickt Prof. Dr. Elisabeth Décultot der Ausstellungseröffnung entgegen. „Jetzt sind alle Hürden überwunden“, sagt die Professorin für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer. Mehr als 200 Plastiken, Schriften, Gemälde und andere Exponate aus Europa und den USA hat sie gemeinsam mit ihrem Team um die Literaturwissenschaftlerin Dr. Claudia Keller und den Germanisten Dr. Martin Dönike gemeinsam mit der Klassik Stiftung Weimar für die Schau zusammengetragen.
Erstmals lässt sich jetzt das vielschichtige Leben und Wirken des Johann Joachim Winckelmann auf 1.000 Quadratmetern nachvollziehen. Schon bevor sie 2015 nach Halle berufen wurde, hatte Décultot der Klassik Stiftung die Idee vorgestellt. „Ich wollte eine Ausstellung, die eine neue Perspektive auf Winckelmann bietet. Denn sein Werk und dessen Rezeption sind visuell extrem interessant und vielfältig“, so die Aufklärungsforscherin. Seit bald 20 Jahren beschäftigt sich die renommierte Expertin für die Schriftkultur des 17. bis 19. Jahrhunderts mit seinen Texten.
Winckelmann schuf Ordnung im „Dickicht“
Winckelmann wurde 1717 in Stendal geboren, studierte für kurze Zeit in Halle und Jena, arbeitete als Hauslehrer und Bibliothekar, bevor er schließlich nach Italien reiste und in Rom zum „Aufseher aller Altertümer im Kirchenstaat“ ernannt wurde. Er gilt als Begründer der modernen Kunstgeschichte und Archäologie. „Seine große Leistung besteht darin, dass er die Fülle – dieses Dickicht von Statuen der griechischen Kunst – als Erster nach einem historiografischen Modell organisiert hat. Er hat die Antike in vier aufeinanderfolgende Stilphasen unterteilt: den älteren, den hohen, den schönen Stil und den Stil der Nachahmer“, erklärt Décultot. Dieses Stil-Modell wird jetzt im Neuen Museum Weimar anhand von Gips-Abgüssen dargestellt.
Drei Exponate der Ausstellung:
Im ersten Teil der Schau erfährt der Besucher alles über den Werdegang des berühmten Kunsthistorikers und die Entstehung seines Werks. Erstmals konnten dafür die drei bekannten Winckelmann-Porträts aus Weimar, Zürich und New York an einem Ort zusammengeführt werden. Zu sehen sind außerdem selten gezeigte Exzerpte, Schriften, Briefe sowie Gemälde, Münzen und Statuen, die der Altertumsforscher in seinen Texten beschrieben hat.
Präsentiert wird auch die Gerichtsakte, in der sich eine Zeichnung des Messers befindet, mit dem ein Raubmörder 1768 Winckelmanns Leben ein Ende setzte. Sein gewaltsamer Tod im italienischen Triest sorgte damals europaweit für Aufsehen. „Mit seinem Werk war er schon zu Lebzeiten und kurz nach seinem Tod so einflussreich wie kaum ein anderer deutscher Schriftsteller. Er hat die europäische Ideen- und Kulturgeschichte auf einzigartige Weise geprägt und Franzosen, Italiener und Engländer haben ihn damals um die Wette übersetzt“, so die französische Germanistin Décultot.
Kunst, Politik und die „Unbezeichnung der Geschlechter“
Wie weit sein Einfluss bis heute reicht, verdeutlicht der zweite Teil der Ausstellung: Dort ist zu sehen, wie und von wem Winckelmanns visionäre Ideen zu Politik, Ästhetik und Anthropologie aufgegriffen wurden. Als einer der Ersten habe er beispielsweise die beiden Aspekte Kunst und Demokratie verknüpft, so die Humboldt-Professorin. „Er hat die These aufgestellt, dass die Griechen so große Künstler werden konnten, weil sie auch freie Menschen waren. Dieser Gedanke war während der französischen Revolution ein großes Thema. Damals wurde Winckelmann in Frankreich überall gelesen.“
Anthropologen und Künstler haben sich wiederum intensiv mit seiner Theorie des Schönen auseinandergesetzt. „Winckelmann hat auch die Frage nach dem Übergang von der Natur zur Kunst beschäftigt: Was gilt als schön und woher kommt die Schönheit? Ist sie ein Ideal oder kommt sie aus der Natur?“ Über die Schönheit der antiken griechischen Statuen konnte Winckelmann, der die Kunst stets sinnlich erfassen und beschreiben wollte, geradezu ins Schwärmen geraten.
Androgyne Körper, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen, sondern „unbezeichnet“ bleiben, erhob er zum Schönheitsideal. Zeitgenössische Künstler, die sich direkt auf seine Überlegungen zur „Unbezeichnung der Geschlechter“ beziehen, sind ebenfalls im Neuen Museum Weimar zu sehen: „Wir zeigen Fotografien von Bettina Rheims aus der Serie ‚Gender Studies‘, in denen sie traditionelle Geschlechterrollen hinterfragt.“ Denn auch im Umgang mit Gender-Fragen darf Winckelmann, der im 18. Jahrhundert als einer der ersten Gelehrten offen über seine Homosexualität schrieb, als Vorreiter gelten.
Informationen zur Jubiläumsausstellung in Weimar „Winckelmann. Moderne Antike“ ist vom 7. April bis zum 2. Juli im Neuen Museum Weimar, Weimarplatz 5 zu sehen. Komplettiert wird die Ausstellung durch ein umfangreiches Rahmenprogramm sowie einen 352-seitigen Katalog. Das Projekt ist eine Kooperation des Lehrstuhls für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer an der Uni Halle mit der Klassik Stiftung Weimar. Es wird unterstützt von der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Alexander von Humboldt Stiftung und ist in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum in Berlin entstanden. Mehr über das Projekt auf den Lehrstuhl-Seiten von Prof. Dr. Elisabeth Décultot
Winckelmann-Veranstaltungen an der Uni Halle
Mit einer Ringvorlesung, Workshops und Ausstellungen macht die Universität Halle im Jubiläumsjahr auf das Werk ihres einstigen Studenten aufmerksam. So wird die Weimarer Ausstellung in Halle von der Ringvorlesung "Winckelmann. Moderne Antike" begleitet. Im Universitätsmuseum im Löwengebäude wird vom 7. Dezember bis zum 28. Januar 2018 zudem die Ausstellung "Camillo Paderni und Johann Joachim Winckelmann" gezeigt. Ausführliche Informationen zum weiteren Programm folgen in Kürze.
Kontakt: Prof. Dr. Elisabeth Décultot
Lehrstuhl für Neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer
Tel.: +49 345 55-23594
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