Beatboxende Musiklehrer in spe: Die Kinder vom See
Die gesuchte Wohnung liegt im ersten Stock. Gregor Praetorius öffnet die Tür. Er lächelt freundlich. Die Verspätung sei kein Problem, sagt er und führt in die Küche. Viele Bilder, jede Menge Schnick-Schnack, ansonsten eher rustikale Einrichtung. Johann Beger und Steve Kücher sitzen bereits am Esstisch. Vor ihnen eine brennende Kerze, deren Lichtkegel einen Hauch von Adventsstimmung versprüht. Weiter hinten eine Songliste. Hauptsächlich Weihnachtslieder und Eigenkreationen stehen darauf, denn morgen werden die Drei wieder singen, dieses Mal auf dem Weihnachtsmarkt.
Als „Kinder vom See“ pilgern die Freunde seit nunmehr zwei Jahren durch Halle und Umgebung. Sie singen im Norden auf Poetry-Slams, im Süden in Kirchen, im Westen auf Festivals und im Osten sowieso, denn da sind sie zuhause, alle drei, in Halle an der Saale. Obwohl das Herz weiter für Leipzig schlägt, der Stadt, in der sie so lange lebten.
Beitrag der Kinder vom See für alle Fluthelfer 2013:
Zurück zur Musik: Als musikalische Brückenbauer wollen sie ein paar eingestaubte Genre-Grenzen einreißen. Das Mittel zum Zweck: tanzbare A-cappella-Musik. Die erfahrenen Sänger und ihre Musik kommen an, besingen nach und nach immer größere Publika. Praetorius: „Dabei war das nie wirklich unser Ziel. Wir sind nach Halle gekommen und sind erstmal nur Freunde gewesen. Wir haben zusammen abgehangen, waren feiern und haben nur mal so aus Spaß gesungen.“
Beger: „Bis wir irgendwann auf einer Party in der Goldenen Rose waren. Da haben wir die Musiker unterstützt und das kam so gut an, dass wir gefragt wurden, ob wir nicht bei 'Kunst gegen Bares' mitmachen wollten.“ Wollten sie. Und sie gewannen mit ihrer Performance nicht nur den ersten Platz, sondern auch jede Menge Fans. Damals, das war vor zwei Jahren. Seither wächst die Zahl der Anfragen stetig. Rund 30 Konzerte gaben die Kinder vom See im Sommer, in der Adventszeit steht zunächst eine Pause an. Küchler: „Wir wollen neue Lieder ausprobieren.“
Cover und Eigenkompositionen zwischen Klassik und Reggae bestimmen das Band-Repertoire, angereichert um Hits der 80er und 90er, Hip Hop, Balkan, Drum and Bass und und und. „Wie wir zu unseren Songs kommen, ist ganz unterschiedlich“, sagt Küchler. „Mal ist da ein Lied aus der Vergangenheit, das uns alle verfolgt, mal hat jemand was neues, gutes gefunden und mal versuchen wir den Gastgeberwünschen nachzukommen.“ Wobei sich das Profil der Auftraggeber verändert. Beger: „Auf dem Geburtstag der 60-jährigen Oma spielen wir heute nicht mehr.“ Geht auch gar nicht.
Schließlich sind alle drei noch anderweitig aktiv. Sie singen in Chören oder leiten sie, spielen Fußball oder arbeiten an Elektroprojekten. Zumal auch jede Repertoire-Erweiterung Zeit und Muße kostet. Praetorius: „Ist ein Lied gefunden, hört jeder auf einen anderen Teil der Musik, einer übernimmt die Bassline, die anderen Beat-Elemente und Melodie.“ Was am Ende dabei herumkommt, ist alles andere als das Original. Geht auch gar nicht. Hier ein veränderter Rhythmus, da eine Variation in der Melodie – und das Intro ändert sich sowieso.
Ob bei den vielen Auftritten der Spaß am Singen nicht langsam verloren gehe? Nein, eigentlich nicht, sagt Gregor Praetorius. Einmal, im Sommer, da sei so ein Punkt gewesen. „Aber letzten Endes singen wir ja nur, weil wir Freude daran haben. Nicht, weil es uns ums Geld geht.“ Johann Beger ergänzt: „Wenn wir irgendwo eingeladen werden, dann können wir kostenlos wegfahren, Musik machen und Spaß haben. Wir haben eine Rolle als Künstler der Veranstaltung und meistens gibt’s ganz gutes Essen. Und vor allem viel davon.“
Es sei cool, so gemeinsame Zeit als Freunde verbringen zu können. Auf ihrer Freundschaft gründe das Projekt, sie sei der eigentliche Band-Antrieb – und sogar -Namensgeber: Weil da eben diese Fahrt war, an einen See in Brandenburg. Nichtstun, reden, trinken – was man so macht. Seither fahren die Drei jedes Jahr wieder an den See. Und seither nehmen sie ihre Stühle vom See mit auf jeden Auftritt. Wie am See sitzen sie zusammen und wollen andere zum Tanzen bringen.
Jetzt allerdings ist wieder Probe angesagt. Küchler schwingt die Stimmgabel. Kurzes Warmsingen, dann geht’s los. Voll und energiegeladen klingt das. Vokal und doch rund. Tiefgründig und doch party-tauglich. Es ist kein großes Wunder, dass die Drei so schnell so erfolgreich wurden.