Beinahe Stadtentwicklerin

22.11.2018 in Im Fokus, 20 Fragen
An dieser Stelle wird’s persönlich ... Den Fragebogen des Unimagazins beantwortet diesmal Prof. Dr. Johanna Mierendorff. Seit September ist die Sozialpädagogin Prorektorin für Personalentwicklung und Struktur der Universität.
Johanna Mierendorff
Johanna Mierendorff (Foto: Michael Deutsch)

1 | Warum leben Sie in Halle und nicht anderswo?
Meine erste Begegnung mit Halle war ein Abend unterhalb der Burg Giebichenstein mit Blick auf das gegenüberliegende Ufer, im Abendlicht. Ich wusste sofort, das ist ein guter Ort zum Leben, auch für Kinder. Ich habe in den vergangenen Jahren die Stadt als Raum und die vielen universitären und außeruniversitären Kooperationsmöglichkeiten schätzen gelernt. Alles das ist nur möglich, wenn man sich auf die Stadt einlässt und ab und an samstags über den Markt schlendert, bekannte Gesichter trifft.

2 | Wenn nicht Sozialpädagogin, was wären Sie dann geworden?
Architektin oder Stadtentwicklerin. Ich habe großes Interesse am Gestalten, Spaß am Begreifen der Struktur, an Geschichte und unterschiedlichen Entwicklungen von Städten in der Welt.

3 | Was war an Ihrer Ausbildungs- bzw. Studienzeit am besten?
Mein Studium der Erziehungswissenschaft zeichnete sich durch die enge gemeinsame Denkarbeit von Lehrenden und Studierenden aus. Es war die Zeit der deutschen Wiedervereinigung – es gab viele Veranstaltungen gemeinsam mit TU, FU und HU Berlin, wir Studierende waren einbezogen, haben an den Diskussionen teilgehabt. Und: Durch meine Arbeit als studentische Hilfskraft am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung waren die Lehrveranstaltungen plötzlich nicht mehr nur noch irgendeine Pflichtübung, sondern wurden zu einem Denkraum, in dem ich die Tätigkeit in dem Forschungsprojekt anders theoretisch fundieren konnte. Eine weitere wichtige Erfahrung war ein viersemestriges Theorie-Praxis-Projekt. Über das gesamte Hauptstudium hinweg haben wir in einer kleinen Seminargruppe gemeinsam mit einem Dozenten ein Praxisprojekt theoretisch entwickelt, durchgeführt und dann intensiv theoriebasiert ausgewertet. Der gemeinsame Praxisbericht liegt noch heute im Regal.

4 | Welchen Rat fürs Überleben würden Sie Studierenden heute geben?
Überleben kann von zwei Seiten aus betrachtet werden. Viele Studierende müssen neben dem Studium erwerbstätig sein, um den Lebensunterhalt zu sichern. Mein Rat – nach Tätigkeiten suchen, die nicht zu weit weg vom Thema des Studiums sind. In Bezug auf das intellektuelle Überleben: nicht nur auswendig lernen und Pflichtaufgaben erfüllen, sondern sich auf den Gegenstand suchend und fragend einlassen, auch im Austausch mit Studierenden und Lehrenden.

5 | Wenn Sie Rektorin einer Universität wären, was würden Sie als erstes tun?
Ich würde, wie es das jetzige Rektorat auch tut, in das Gespräch mit den einzelnen Mitgliedergruppen und Abteilungen kommen: herausarbeiten, wo Unterstützung für eine gute Arbeit nötig ist, Profilierungsmöglichkeiten in der Forschung erkennen und dann systematisch und konsequent an der Umsetzung einer Gesamtstrategie, die durchaus Partikulares einschließt, arbeiten, ohne dabei zu übersehen, dass Leitung an und für sich ohne den Rückhalt der Kolleginnen und Kollegen aller Mitgliedergruppen kaum etwas nachhaltig und sinnvoll durchsetzen kann. Das schließt eine offene Streitkultur nicht aus.

6 | Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft?
An Fragen zu arbeiten, die eine gesellschaftliche Relevanz haben – im weitesten Sinne.

7 | Was haben Intelligenz und Menschlichkeit miteinander zu tun?
Intelligenz ohne Menschlichkeit ist fatal. Das hat uns die Geschichte gelehrt.

8 | Worüber ärgern Sie sich am meisten?
Arroganz und Überheblichkeit.

9 | Was bringt Sie zum Lachen?
Eine mit echtem Witz vorgetragene Geschichte.

10 | Was schätzen Sie an Ihren Freunden?
Esprit und die Möglichkeit des persönlichen und intellektuellen Austauschs.

11 | Wo sehen Sie Ihre Stärken?
Geduld und Gestaltungswille.

12 | Was erwarten Sie von der Zukunft?
Große gesellschaftliche Umbrüche, denen es als Universität und als Person zu begegnen gilt.

13 | Woran glauben Sie?
Das ist eine Frage, über die man als Wissenschaftlerin wohl sein Leben lang grübelt.

14 | Welchen bedeutenden Menschen unserer Zeit hätten Sie gern als Gesprächspartner?
Ich wäre gern mit der 2011 verstorbenen Friedensnobelpreisträgerin Wangari Muta Maathai ins Gespräch gekommen. Sie hat sich auf beeindruckende Weise für die Rechte von Frauen und für das Aufforstungsprojekt „Green Belt Movement“ eingesetzt und vor allem diese beiden Aspekte in einen interessanten politischen Zusammenhang gesetzt.

15 | Wer war oder ist für Sie der wichtigste Mensch in Ihrem Leben?
Mein Vater, ein lebenskluger Mann. Meine geistige Mutter Helga Zeiher, von der ich das wissenschaftliche Handwerk gelernt habe.

16 | Welchen Ort der Welt möchten Sie unbedingt kennen lernen?
Shanghai.

17 | Womit verbringen Sie Ihre Freizeit am liebsten?
Lesen, Hörspiele und Lesungen hören, meditatives Laubharken nach einem langen Arbeitstag…

18 | Was wären Ihre drei Bücher für die Insel?
„Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann, „Heinrich der V.“ von Shakespeare und „Der Sauwetterwind“ von Albert Wendt.

19 | Wenn Sie einen Wunsch frei hätten…?
…dass die junge Generation keinen Krieg erlebt.

20 | Ihr Motto?
Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.

Aus der Vita

  • 1966 in Berlin geboren
  • 1986-1991: Studium der Erziehungswissenschaften/Schwerpunkt Sozialpädagogik an der TU Berlin
  • Juli 1996: Promotion an der Universität Bremen
  • 1996 - 2007: wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. wissenschaftliche Assistentin an der MLU
  • 2008-2009: Vertretungsprofessur im Fach Sozialpädagogik an der Universität Trier
  • 2009: Habilitation im Fach Sozialpädagogik an der Universität Hildesheim (Habilitationsschrift „Kindheit und Wohlfahrtsstaat. Entstehung, Wandel und Kontinuität des Musters moderner Kindheit“)
  • seit 2009: Inhaberin einer Professur für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt „Pädagogik der frühen Kindheit“ an der MLU

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