Exzellenzstrategie: MLU auf der Zielgeraden

03.12.2024 von Tom Leonhardt in Wissenschaft, Forschung
An der Universität und speziell dem Institut für Physik laufen die letzten Vorbereitungen für einen der wichtigsten Termine des Jahres: die Präsentation des geplanten Exzellenzclusters „Center for Chiral Electronics“ (CCE) am Mittwoch, 11. Dezember, in Bonn. Für die begehrte Millionenförderung hat Prof. Dr. Georg Woltersdorf von der MLU ein international ausgewiesenes Team zusammengestellt. Mit der Forschung soll die Grundlage für eine neue Art von Elektronik gelegt werden.
Georg Woltersdorf stellte mit Forschenden aus Halle, Berlin und Regensburg den Antrag für das "Center for Chiral Electronics".
Georg Woltersdorf stellte mit Forschenden aus Halle, Berlin und Regensburg den Antrag für das "Center for Chiral Electronics". (Foto: Marco Warmuth)

140 Seiten stark ist der Antrag für das „Center for Chiral Electronics“ geworden, den Prof. Dr. Georg Woltersdorf gemeinsam mit Prof. Dr. Katharina Franke von der Freien Universität Berlin und Prof. Dr. Christoph Strunk von der Universität Regensburg geschrieben hat. Mehr als zwei Jahre intensiver Arbeit, Gespräche und Verhandlungen stecken in dem Papier – an allen drei Universitäten und dem Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik (MPI) in Halle. Gerade hat das Team, zu dem auch die Hochschulleitungen aller drei Universitäten gehören, die Generalprobe absolviert. In Form von Präsentation, Poster und mit Exponaten werden die Beteiligten Mitte Dezember den Antrag vor einer internationalen Fachjury bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft verteidigen. „Mit dem Probedurchlauf können wir sehr zufrieden sein. Und wir haben jetzt noch einmal ein paar Tage Zeit für den Feinschliff an einigen Stellen“, sagt Woltersdorf.

Für die neue Runde der Exzellenzstrategie hat der Physiker mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Halle, Berlin und Regensburg ein extrem ambitioniertes Forschungsprogramm an der Schnittstelle von Physik und Chemie entwickelt. Im Erfolgsfall erhält das Cluster ab 2026 über sieben Jahre bis zu 70 Millionen Euro. Im Juni 2023 hatte sich die Universität Halle mit drei Skizzen für die Exzellenzstrategie beworben. Davon erreichte die Skizze für das CCE das Finale, im August 2024 reichte Woltersdorf den Vollantrag für das Projekt ein.

Das Geld soll in die Forschung zur sogenannten chiralen Elektronik fließen. Der Hintergrund: Die zunehmende Digitalisierung, die wachsende Zahl internetfähiger Geräte und das Cloud Computing und der Aufstieg der künstlichen Intelligenz sorgen für mehr Daten und einen höheren Energieverbrauch. Die aktuelle Technologie kommt hier mittelfristig an ihre Grenzen. Es braucht neue Lösungen, um Daten künftig zu speichern und Informationen schneller und energieeffizienter zu verarbeiten. Hier setzt das geplante Center an.

Hightech-Forschung an drei Standorten

Im Grunde geht es darum, mit Hilfe von Chiralität unterschiedliche Ansätze der Elektronik kombinieren zu können: zum Beispiel Spintronik und Supraleitung, bei der Strom ohne Widerstand fließt. Chiralität beschreibt, dass es Objekte gibt, die sich wie Bild und Spiegelbild gleichen – sich allerdings weder durch Drehen noch Verschieben zur Deckung bringen lassen. Ein gängiges Beispiel dafür sind die menschlichen Hände: Linke und rechte Hand gleichen sich, sind aber nicht identisch. Diese Eigenschaft zeichnet viele Objekte in der Natur aus und verleiht ihnen eine intrinsische Stabilität.

Das wollen die Forschenden für elektronische Anwendungen nutzbar machen: Die Chiralität soll mit der Spintronik gekoppelt werden. In der Spintronik wird zusätzlich zur elektrischen Ladung auch der Spin genutzt, um Informationen zu übertragen. Dabei handelt es sich um eine Art Eigendrehimpuls von Elektronen, der selbst auch eine Art von Magnetismus bewirkt. Gelingt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des „Center for Chiral Electronics“ beispielsweise die Verbindung von Spintronik und Supraleitung durch Chiralität, würde das die Grundlagen für Technologien legen, die den wachsenden Anforderungen an hochleistungsfähige und energiesparende Elektronik gerecht werden könnten.

„Wir haben uns sehr viel vorgenommen. Allein wäre das nicht zu schaffen“, sagt Woltersdorf. Deshalb hat der gut vernetzte Forscher sehr früh seine Kontakte zu anderen Universitäten und Einrichtungen genutzt. Im Ergebnis vereint das geplante Center Spitzenforschung von allen drei Standorten: Das geplante Exzellenzcluster kombiniert die Expertise zu chiralen Materialien in Halle mit dem Forschungsschwerpunkt zur ultraschnellen Spindynamik in Berlin sowie der kohärenten Starkfeldkontrolle in Regensburg.

MLU baut wissenschaftliche Schlagkraft aus

Dass Woltersdorf mit Forschenden aus Regensburg und Berlin kooperiert, liegt auch ein Stück weit in seiner eigenen wissenschaftlichen Karriere begründet: An der MLU hat Woltersdorf Physik studiert – bereits in seiner Diplomarbeit nutzte er Materialien, die am MPI in Halle hergestellt wurden. Für seine Promotion ging der Physiker nach Kanada, anschließend wechselte er an die Universität Regensburg. Dort forschte er, bis er 2013 einem Ruf auf eine Physikprofessur an die hallesche Alma Mater folgte und gleich noch einen begehrten „ERC Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats mitbrachte. Vier Jahre später folgte der nächste Achtungserfolg: Gemeinsam mit Forschenden der Freien Universität warb die MLU einen Sonderforschungsbereich / Transregio zur ultraschnellen Spindynamik ein.

Das wissenschaftliche Fundament für das CCE war also bereits gelegt. Um möglichst ideale Voraussetzungen für das Cluster zu schaffen, wurden zudem zahlreiche Absprachen mit den jeweiligen Hochschulleitungen getroffen. „Die Gespräche und Zusammenarbeit mit unserem Rektorat waren intensiv und teilweise auch kontrovers, aber immer produktiv“, so Woltersdorf. Die Vorarbeiten an der MLU können sich sehen lassen: Um ihre wissenschaftliche Schlagkraft in dem Gebiet weiter zu erhöhen, wurden an der Universität zwei Professuren in der Physik vorzeitig ausgeschrieben; die Besetzungsverfahren stehen kurz vor dem Abschluss – die Forschenden haben inzwischen ihren Ruf angenommen. „Die beiden Personen sind die ideale Ergänzung für unseren Standort und fügen sich perfekt in das geplante Cluster ein. Dank der Förderung des Landes können wir beide künftigen Gruppen auch technisch sehr gut ausstatten“, sagt Woltersdorf. Das Wissenschaftsministerium Sachsen-Anhalt unterstützt nicht nur die vorzeitigen Berufungen, es hat mehr als sechs Millionen Euro für die Initiativen der MLU in der Exzellenzförderung zur Verfügung gestellt.

Zum Kernteam des CCE gehört auch Prof. Dr. Stuart Parkin, Direktor des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle und Professor an der MLU. Mit seinen Arbeiten zur Spintronik und zu neuartigen Speichertechnologien ist er weltweit führend: Der Wissenschaftler hat über 120 Patente angemeldet, gehört zu den 0,01 Prozent der meist zitierten Forschern weltweit und wurde Anfang 2024 mit dem mit 500.000 US-Dollar dotierten Charles-Stark-Draper-Preis der National Academy of Engineering in den USA gewürdigt. Damit steht Parkin in einer Reihe mit den Erfindern des World Wide Web, der GPS-Technologie oder der Lithium-Ionen-Batterie.

Wie das Cluster junge Menschen für Physik begeistern möchte

Einen weiteren Schwerpunkt möchte das Team bei der Kommunikation mit jungen Menschen setzen: „Wir haben generell das Problem, dass es zu wenig naturwissenschaftlich gebildete Fachkräfte gibt. Gleichzeitig haben Naturwissenschaften und speziell die Physik oft den Ruf, zu kompliziert zu sein“, sagt Woltersdorf. Im Rahmen des Clusters sollen deshalb auch unterschiedliche Ansätze entwickelt werden, dieses Problem anzugehen. „Hier reicht es nicht, erst im Studium oder kurz davor anzusetzen.“ Das Team möchte deshalb Kontakt zu mehr als 40 Schulen suchen und gemeinsame Angebote entwickeln: Die Forschenden sollen regelmäßig Schulklassen besuchen und mit ihnen über ihre Arbeit sprechen. Ein besonderes Augenmerk soll hier auf jungen Frauen und generell auf Jugendlichen aus sozialen Gruppen liegen, die in den Naturwissenschaften oft noch unterrepräsentiert sind. Geplant sind auch Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte.

Die Entscheidung fällt im Mai

Das Gesamtpaket, das die Forschenden aus Halle, Berlin und Regensburg geschnürt haben, stimmt – da ist sich Woltersdorf sicher. Nun läuft alles auf die Präsentation in der nächsten Woche zu. „Natürlich sind wir aufgeregt vor diesem Termin, aber uns ist nicht bang. Wir sind zuversichtlich, weil wir selbst wirklich von den Ideen in unserem Antrag überzeugt sind.“

Gelingt es dem CCE-Team, auch die Gutachterinnen und Gutachter zu überzeugen, hätte die Förderung auch für die gesamte Universität Halle viele positive Effekte, ist sich Woltersdorf sicher: „Damit würde die MLU international noch einmal ganz anders dastehen. Viele andere Bereiche könnten profitieren, wenn es beispielsweise um das Gewinnen von internationalen Studierenden und Forschenden geht.“

Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. Nach der letzten Präsentation der Clusterskizze heißt es dann: abwarten. Die Entscheidung darüber, welche Cluster in die Förderung ab 2026 aufgenommen werden, fällt im Mai 2025.

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Physik

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