Zu Hause in drei Welten
Gottfried Wilhelm Leibniz und die Politik: Ein Aufsatz, den Christophe Losfeld zu diesem Thema verfasst hat, soll noch 2024 erscheinen. Bereits zuvor diente er als Grundlage für ein Projekt, das der 56-jährige Franzose an der Latina in Halle mit seinen Schülerinnen und Schülern im Französischunterricht umgesetzt hat. Sie lasen französische Texte zum Wissenschaftsgedanken von Leibniz, über die Modernisierungsversuche und die Kriege König Ludwigs XIV und entwickelten ein Streitgespräch zwischen den beiden historischen Figuren. „Daraus ist dann ein Beitrag für den Bundeswettbewerb Fremdsprachen geworden“, erzählt Losfeld.
Das Leibniz-Projekt ist ein gutes Beispiel für die direkte Verbindung zwischen Universität und Schulpraxis, die Losfeld immer wieder herstellt. Er steht als außerplanmäßiger Professor und Fachdidaktiker an der MLU und Lehrer an der Latina für beide Welten. Genau genommen ist er sogar in drei Welten zu Hause: Als Beauftragter des Landes-Bildungsministeriums engagiert er sich zudem in der Zusammenarbeit mit Frankreich. Für seine Verdienste auf diesem Gebiet wurde er 2022 zum „Chevalier dans l'Ordre des Palmes académiques“ ernannt – eine der höchsten Auszeichnungen Frankreichs.
Losfeld studierte moderne Literaturwissenschaft, Germanistik und Latinistik an der Pariser Sorbonne und der Université Charles-de-Gaulle Lille 3. Der Betreuer seiner ersten Masterarbeit war eng befreundet mit dem in Halle tätigen Romanisten und Mitinitiator des Zentrums für Aufklärungsforschung Prof. Dr. Ulrich Ricken – und schickte ihn 1989 an die MLU. Wie das Leben so spielt: Losfeld lernte in Halle seine Frau kennen und so wurden aus den geplanten zwölf Monaten Aufenthalt mittlerweile 35 Jahre – und eine Karriere, die nur zu Beginn wie eine „übliche“ Universitätskarriere aussah.
Losfeld spricht von einer „gewissen Leidenschaft für die Wissenschaft“, die er dank der Professoren Xavier Darcos in Frankreich und Heinz Thoma in Deutschland entwickelt habe. Sowohl in der Forschung als auch später in der Lehre habe er dabei immer versucht, an den Schnittstellen von Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Theologie zu arbeiten. Um das zu begründen, zieht er Wilhelm von Humboldt heran: Er habe einmal gesagt, man empfinde „das Streben alles und überall zu verknüpfen, das Bedürfnis, das eigne Ich und die umgebende Welt nicht nur immer aufeinander zu beziehen, sondern auch durchaus in Eins zu verschmelzen“. 1998 wurde Losfeld mit einer Arbeit zur Rezeption der Französischen Revolution in Deutschland promoviert, 2008 folgte die Habilitation zur Höflichkeitstheorie im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Wissenschaftler, zunächst am Institut für Romanistik, dann am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) tätig, arbeitete parallel seit 2004 auch im halleschen Schuldienst. „Aber die Freude am Forschen ist geblieben.“
2013 wurde Losfeld zum außerplanmäßigen Professor an der MLU ernannt. Neben der Forschung hält er für zwei bis vier Semesterwochenstunden unter anderem Seminare zum bilingualen Sachfachunterricht. Die Schreib- und Lesekompetenz der künftigen Französischlehrer sei ihm besonders wichtig. Auch beziehungsweise gerade in Zeiten von Digitalisierung sei ein starkes Sprachbewusstsein notwendig. Um das zu entwickeln, setzt der Romanist nicht zuletzt auf den Einsatz klassischer Literatur im Unterricht. „Ich befürchte, dass sonst das kulturelle Erbe irgendwann nicht mehr zugänglich ist.“
Didaktik aus der direkten Kenntnis der Praxis heraus zu lehren, sei ein großer Vorteil, betont Losfeld. Fast täglich erprobe er mit Schülerinnen und Schülern die Herangehensweise an literarische Texte. Mit den Erfahrungen daraus könne er Studierenden anschaulich machen, wie sich Literatur im schulischen Kontext bearbeiten lässt – auch dann, wenn die Jugendlichen anfangs weder sprachlich noch kulturell einen Zugang dazu haben. Umgedreht sorge die Arbeit als Dozent an der Universität dafür, dass er seine schulische Arbeit ständig vor dem Hintergrund aktueller Forschungen reflektiere.
Aber nicht nur Universität und Schule ergänzen sich. Losfeld findet auch die Verzahnung mit seinem Amt im Bereich der deutsch-französischen Beziehungen spannend. Sie zeigt sich zum Beispiel an einem 2013 initiierten binationalen Projekt zur Erinnerungskultur, das er aktuell koordiniert: „Mémoires croisées - sich erinnern, sich begegnen“. Jedes Jahr treffen sich rund um den 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, 50 Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte aus Sachsen-Anhalt und der französischen Region Centre – Val de Loire abwechselnd in beiden Ländern. Es gehe nicht um ein starres, ritualisiertes Erinnern, sagt Losfeld. „Schüler sollen keine Statisten einer Gedenkveranstaltung sein. Sie sollen sie mit ihren eigenen Worten gestalten.“ Losfeld sieht in dem Projekt einen Beitrag zur Demokratiebildung, der sich auch nicht nur auf die Vergangenheit beschränkt. Für 2025 etwa werde unter dem Motto „Aufklärung – Verfolgung – Auferstehung“ eine Veranstaltung in Dessau geplant, in der die Zeit der jüdischen Aufklärung, das Schicksal der Juden während des Nationalsozialismus und die Wiederauferstehung der jüdischen Gemeinde mit der 2023 eröffneten Synagoge Thema sind.
So hatte bisher jedes Treffen einen Schwerpunkt – und die Erinnerung oft auch ein eigenes Medium. In Halle ging es um Stolpersteine, in Gardelegen um die Shoah in Comics, in Centre – Val de Loire wurden Plakate zur Widerstandsgruppe um den Armenier Missak Manouchian gestaltet. Gemeinsam mit einem Geschichtsdidaktiker der Universität Lüneburg arbeitet Losfeld das Projekt nun wissenschaftlich auf. „Daraus soll dann auch eine Art Handreichung entstehen, wie man Gedenkveranstaltungen aus einer interkulturellen Perspektive heraus konzipieren und durchführen kann.“ Praxisorientiert für Lehrkräfte, aktuelle und künftige.
Apl. Prof. Dr. Christophe Losfeld
Institut für Romanistik
Tel.: +49 345 55-23514
E-Mail: christophe.losfeld@romanistik.uni-halle.de