Corona und Verbote: „Die Maßnahmen müssen ständig evaluiert werden“

21.04.2020 von Tom Leonhardt in Varia
Um die Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus zu erschweren, haben Bund und Länder zahlreiche Maßnahmen und Verbote erlassen und so die Freiheiten der Menschen stark eingeschränkt. In der Stadt Halle werden diese Regeln besonders streng ausgelegt: Sogar das Sitzen auf einer Parkbank war eine Zeit lang verboten. Wie kann das sein? Der Strafrechtler Prof. Dr. Joachim Renzikowski erklärt im Interview die rechtlichen Grundlagen für diese Verbote.
In Halle war es bis vor kurzem verboten, auf einer Parkbank ein Buch zu lesen.
In Halle war es bis vor kurzem verboten, auf einer Parkbank ein Buch zu lesen. (Foto: Pixabay)

In Halle machen sich Unimitarbeiter möglicherweise strafbar, wenn sie zusammen draußen sitzen und – selbst bei Einhaltung des Mindestabstands - zusammen ihr Mittagessen zu sich nehmen. Denn das zählt als Picknick und ist aktuell verboten. Wie kann das sein? 
Joachim Renzikowski: Ich würde sagen, das stimmt so nicht wirklich. Mit Ihrem Beispiel ist ein ganzes Bündel von Fragen aufgeworfen. Ich fange von hinten, vom Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, an. Zunächst einmal ist es keine Überraschung, wenn der Bruch von Regeln sanktioniert wird. Damit man das machen kann, benötigt man eine Rechtsgrundlage. Für Sachsen-Anhalt sind hier einschlägig das Infektionsschutzgesetz und die inzwischen Vierte Verordnung über die Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus vom 16. April 2020 des Landes Sachsen-Anhalt. Dort steht in Paragraph 22, dass jemand ordnungswidrig handelt, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen bestimmte Vorschriften dieser Verordnung handelt. Das Infektionsschutzgesetz enthält aber auch noch eine Strafvorschrift. So ist nicht nur der Verstoß gegen eine Rechtsverordnung strafbar, sondern auch gegen eine vollziehbare Anordnung, sei es eine Allgemeinverfügung, sei es ein Verwaltungsakt.

Und was heißt das für unser konkretes Beispiel?
Nach der Corona-Verordnung ist ein Picknick verboten. Das liegt daran, dass man weiß, dass die Menschen beim Picknick nicht den Mindestabstand einhalten. Ein Verstoß hat jedoch „nur“ ein Bußgeld zur Folge. Man kann allerdings darüber streiten, ob es sich bei Ihrem Beispiel wirklich um ein Picknick handelt. Ich kenne noch keine einschlägige Gerichtsentscheidung und auch noch keinen einschlägigen Kommentar, worin erläutert ist, was ein Picknick ist. Man darf gespannt sein. Ausschlaggebend ist doch, ob der Mindestabstand eingehalten wird. 

Sollte man dann ein gemeinsames Mittagesssen unterlassen?
Ich glaube aber nicht, dass man Angst davor haben muss, dass die Polizei oder der Staatsanwalt so etwas ohne Vorwarnung ahnden, wenn die Maßnahmen zum Infektionsschutz eingehalten werden.

Joachim Renzikowski
Joachim Renzikowski (Foto: Nikolaus Brade)

Für die Bürger ist die Lage nicht immer so klar. In Halle war es zum Beispiel auch verboten, auf einer Parkbank zu sitzen und ein Buch zu lesen. Nur das kurze Ausruhen ist gestattet. Dieses Verbot wurde auch von den halleschen Stadträten stark kritisiert …
Alle diese Beispiele betreffen die Anordnung, dass das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt ist. Dazu gehören zum Beispiel das Erledigen von Einkäufen und die Bewegung an der frischen Luft. Dabei handelt es sich aber durchweg nicht um Ordnungswidrigkeiten. Vielmehr hat die Polizei dadurch aber die Möglichkeit, jeden wieder heimzuschicken, der keinen triftigen Grund plausibel machen kann. Und gegen eine solche Anordnung kann man sich vor dem Verwaltungsgericht wehren.

Das hat der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel getan. Er hat das Verwaltungsgericht um eine Prüfung gebeten. Inzwischen hat die Stadt das Verbot zurückgenommen.
Herr Striegel hätte aus meiner Sicht ganz gute Chancen gehabt, auch wenn es natürlich den alten Kalauer gibt, dass man vor Gericht und auf hoher See allein in Gottes Hand. ist. Der Aufenthalt an der frischen Luft ist aber nun ganz und gar ungefährlich, sofern das social distancing eingehalten wird, und im Gegenteil sogar gesund. Jede Anordnung der Verwaltung muss erforderlich und verhältnismäßig sein – und bei Verbot, allein auf einer Parkbank zu sitzen, ist das doch sehr zweifelhaft.

In Halle werden viele Strafanzeigen bei Verstößen gegen diese Regeln gestellt. Ist es in solchen Fällen üblich, dass die Menschen gleich strafrechtlich belangt werden? 
Das Infektionsschutzgesetz differenziert zwischen Bußgeldtatbeständen und Straftatbeständen. Das tut die Corona-Verordnung in Sachsen-Anhalt Landes auch: Grillen, Picknicken oder das Besuchen von Spielplätzen sind zum Beispiel Bußgeldtatbestände. Grob gesagt liegt der Unterschied darin, wie wichtig ein bestimmtes rechtskonformes Verhalten bewertet wird und wie schwer ein Regelverstoß wirkt. Über die konkrete Einordnung wird man immer streiten können, aber auch hier muss man sehen, dass der Gesetzgeber sehr schnell reagieren musste. Normalerweise dauern solche Gesetzgebungsverfahren Monate. Da Schnelligkeit aber auch fehleranfällig ist, ist es besonders wichtig, die Maßnahmen ständig zu evaluieren, zumal es ja auch um erhebliche Eingriffe in Bürger- und Menschenrechte geht. Und das geschieht auch.

Welche Grundlagen hat die Stadt Halle denn dann für ihre strengen Regeln?
Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich habe nach der Rechtsgrundlage dafür gesucht und keine gefunden. Die Maßnahmen gehen weiter als die Corona-Verordnung des Landes Sachsen-Anhalt. Nun kann man zwar über die Auslegung einzelner Begriffe der Corona-Verordnung streiten, aber auch da sollte das Augenmaß gewahrt bleiben.

Welche Gründe braucht man allgemein, um etwas eigentlich Unbedenkliches zu verbieten und so auch die grundlegenden Freiheiten der Menschen einzuschränken?
Das ist jetzt keine spezifisch strafrechtliche Frage, sondern ein Problem des Öffentlichen Rechts, konkret: des Gefahrenabwehrrechts. Dazu möchte ich auf das ausführliche Interview meines Kollegen Winfried Kluth für Radio Corax verweisen. Er hat das alles dort sehr schön erklärt.

In Kürze: Zur Abwehr einer erheblichen Gefahr, und hier geht es immerhin um Menschenleben, dürfen Freiheiten eingeschränkt werden. Beim Coronavirus muss man außerdem bedenken, dass die Ansteckungsgefahr recht hoch ist – und dass man letztlich nicht sehr viel anderes weiß. Gefahrenabwehr meint präventives Handeln. Hinterher ist man immer schlauer, kommt dann aber oft zu spät. Auch beim Umgang mit Corona kann man ja in anderen Ländern ganz gut sehen, wie es sich auswirkt, wenn man erst spät reagiert.

Ist es ein Problem, dass zum Beispiel im Saalekreis ganz andere Vorschriften gelten? Dort war das Sitzen auf einer Parkbank schon immer erlaubt.
Verwaltungsbehörden können ihr Ermessen unterschiedlich ausüben. Das ist ebenfalls nichts Neues. Das Problem liegt hier allerdings in der Botschaft, die an die Bürger ausgesendet wird. Es ist nämlich schwer einsehbar, weshalb man an einem Ort etwas darf und 100 Meter entfernt davon nicht mehr, obwohl die Problemlage völlig vergleichbar ist. Gerade deshalb ist ein abgestimmtes Verhalten, nicht nur zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch innerhalb eines Bundeslandes zwischen den einzelnen Behörden, so wichtig.

Finden Sie das bisherige Vorgehen trotzdem angemessen?
Auf der Bundesebene und der Ebene der Länder: ja. Ein bisschen unzufrieden bin ich mit der Kommunikation der Bundesregierung in Bezug auf ein mögliches Ende der Maßnahmen. Lange Zeit war es verboten, das Wort Exit-Strategie zu sagen. Man hätte von Anfang an deutlicher sagen können, dass laufend geprüft wird, ob die Maßnahmen noch angemessen sind und wie man da wieder herauskommt. Jetzt gibt es ja erste Entwicklungen in diese Richtung, aber auch da ist klar, dass einige unzufrieden sein werden. Für Juristen ist die Coronakrise ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, auf das die schon bisher überlastete Justiz sicher gern verzichtet hätte, aber für die Wissenschaft wird es jede Menge Promotionsthemen geben.

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