Das Gedächtnis der Universität

25.09.2013 von Chritina Naumann in Varia
Wüsste man nicht, dass sich in einem der Wohnhäuser in der Pfännerhöhe das Archiv der Martin-Luther Universität verbirgt, würde man an dem grauen, schmucklosen Haus vorbei laufen. Und doch öffnen sich dem Besucher die Türen zu den größten Schätzen, die eine Lehranstalt zu bieten hat.
Archivleiter Dr. Michael Ruprecht
Archivleiter Dr. Michael Ruprecht (Foto: Michael Deutsch)

Betritt man das Archiv, so scheint in manchen Räumen die DDR-Zeit wieder aufzuleben. Tapete und Linoleum original erhalten aus sozialistischen Wohnträumen. Und dennoch ist die Zeit im Archiv nicht stehen geblieben. Über vier Etagen erstrecken sich 20 kleine Zimmer, die Akten, Urkunden, Fotos und vieles mehr versteckt halten. Aneinander gereiht würden sie eine Länge von 3,5 Kilometer ergeben, eine Strecke vom Marktplatz bis zur Bergschänke. Das älteste Stück des Archivs, eine Urkunde der Stiftskirche Wittenberg, ist von 1350. Das jüngste, eine Studentenakte, stammt aus dem Jahr 2012. All das können die Archivbenutzer im neu renovierten Lesesaal für ihre wissenschaftlichen Forschungen nutzen. Noch in diesem Jahr sollen die traditionellen Findmittel, die in Buchform oder als Karteikarten existieren, digital nutzbar gemacht werden und die Arbeit erleichtern.

Doch nicht nur bei Lesesaal und Findmitteln gibt es Neuerungen. Seit Archivleiter Dr. Michael Ruprecht seine Stelle im August 2012 angetreten hat, weht ein frischer Wind im Archiv. „Das Archiv ist ein schlafendes Dornröschen, das man wach küssen muss. Wir müssen verschiedene Dinge anpacken, um das Archiv in die Jetzt-Zeit zu holen. Dazu gehört, dass wir hausinterne Strukturen verändern, Abläufe rationeller gestalten und Aufgaben in den Blick nehmen, die vorher nicht im Fokus standen“. So gestaltet sich die Aufarbeitung von Rückständen, die über eine lange Zeit aufgelaufen sind, als eine sehr wichtige Aufgabe für Ruprecht und seine fünf Mitarbeiterinnen. Archive existieren seit es eine geordnete Verwaltung gibt.

Die Ursprünge des Universitätsarchivs Halle lassen sich im 19. Jahrhundert finden. Ruprecht holt die original erhaltenen Statuten der 1817 vereinigten Universitäten Halle und Wittenberg aus einer vergilbten Archivschachtel hervor. „Erst 1854 hat man für die Jahrzehnte zuvor gegründete Vereinigte Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg neue Statuten erlassen, die vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. unterzeichnet wurden. Dank der Verwahrung im Archiv können wir dieses Stück Geschichte mit einem sehr schönen roten, in Silber gefassten Wachssiegel heute in den Händen halten. Diese Urkunde dokumentiert eine wichtige Wegmarke der langen Tradition unserer Universität.“

Als zentrale Einheit existiert das Universitätsarchiv in seiner heutigen Form seit 1947. Da es stetig wächst, hat das Archiv seitdem schon einige Umzüge mitgemacht. Was in den neunziger Jahren an der Pfännerhöhe als Zwischenlösung gedacht war, wurde, obwohl baulich nicht geeignet, zur Vollzeitlösung bis heute. „Ziel und Herausforderung ist es, möglichst bald ein anderes Gebäude zu finden, in dem wir die Unterlagen optimal lagern und das Klima stabil halten können“, erzählt Ruprecht und zeigt auf ein Klimadiagramm mit zu großen Temperaturschwankungen. Um die Sonneneinstrahlung auf die Unterlagen zu reduzieren, wurden in den letzten Monaten Verdunklungsrollos eingebaut.

Doch nicht nur durch Temperaturschwankungen und unsachgemäße Lagerung leiden die Akten. Auch aufgrund ihres Alters und durch die häufige Benutzung wurden sie teils stark in Mitleidenschaft gezogen. „Wir haben sehr hohen Restaurierungsbedarf. Die Akten sollen Stück für Stück wieder hergerichtet werden und dann für die Benutzer wieder zugänglich sein. Dazu arbeiten wir eng mit Restauratoren zusammen und suchen auch ständig Paten, die sich für den Erhalt dieser Unikate einsetzen“, erläutert der Archivar.

Schon 2014 könnten Besucher die gut erhaltenen Akten bewundern. „Wir haben für das nächste Jahr die Lange Nacht der Wissenschaften fest im Blick, ebenso den Tag der Archive. Mit solchen Veranstaltungen wollen wir das Archiv ins Bewusstsein der Uni und der Stadt rücken.“ Das Archiv ist das Gedächtnis der Universität. Ohne das gedruckte Wort hätten niemand Kenntnis von der Tradition der MLU: Man wüsste nicht, welche Hochschullehrer und berühmten Persönlichkeiten hier gewirkt haben und was sie bewegte. Ohne die im Archiv aufbewahrte Promotionsurkunde von Dorothea von Erxleben wüsste heute auch keiner, dass sie die erste Frau war, die an einer deutschen Hochschule promoviert wurde.

Im Sommer bekam das Archiv ein Faksimile der Promotionsurkunde. Darüber freut sich Ruprecht besonders: „Die Urkunde ist ein begehrtes Ausstellungsstück und wird oft nachgefragt. Wenn wir das Duplikat haben, brauchen wir das Original nicht mehr herausgeben. Es muss dann nicht mehr durch Transport oder Klimaschwankungen leiden muss“. Gespendet wurde das Duplikat von Ehrhardt Bödecker, Stifter des Brandenburg-Preußen Museums in Wustrau.

Alles was von historischer Bedeutung oder von rechtlichem Belangen ist, ist für Ruprecht als Quelle archivwürdig. Nicht nur Fakultäten, Institute und Uni-Gremien sollten regelmäßig ihre Akten abgeben. „Wir freuen uns auch über Professorennachlässe. Deren Unterlagen und Schriftgut sind für uns interessant, weil vieles in den Akten, die zu uns kommen, nicht abgebildet ist. Professoren haben eigene Aufzeichnungen, die einen anderen Blick auf die Fakultäts- oder Institutsgeschichte zulassen“ erläutert Ruprecht.

„Wir sind auch dankbar, wenn Privatleute auf uns zu kommen, die einen Bezug zur Universität haben und in ihrem Familienbesitz befindliche Promotionsurkunden oder Schriftwechsel mit der Uni aus dem 19. Jahrhundert an uns weiter geben.“ Erst vor wenigen Wochen wurden dem Archiv Tagebücher einer Studentin aus den 1920ern übergeben.

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