Das letzte Konzert in Brasilien ist gespielt
7. Oktober: Stehende Ovationen in Barreiros
Nun wissen wir ja schon, wie es hier so läuft! Der kleine VW-Bus, der unsere Instrumente vom Dorf zur Hauptstrasse bringen sollte, war nicht da. Also sind wir einfach los marschiert, 500 Meter bergauf und gut durchgeschwitzt, kamen wir zur verabredeten Zeit, 11 Uhr, an der Hauptstrasse an. Mit dem Bus ging es weiter zur Federal University of Pernambuco (UFPE), der Hochschuel in Recife. Dort gab es für kleines Geld brasilianisches Essen bei einer der vielen Straßengaststätten. Obwohl 40.000 Studenten an der UFPE studieren, hat die Mensa nämlich nur ein Fassungsvermögen von 500 Personen.
Dann wurden die Instrumente eingeladen (leider wieder keine Percussion für Peter) und wir stiegen gemeinsam mit den Mitgliedern der LAB-Big Band in den nächsten Bus. Der wurde extra aus einem 800 Kilometer entfernten Standort geholt, da es wohl in Recife keinen so großen Bus gab. Nach fast 3 Stunden Fahrt erreichten wir das Instituto Federal in der Kleinstadt Barreiros. Das Instituto ist eine Art technische Hochschule, die aber auch Lehrer für Musik ausbildet. Allerdings können die Studierenden dort gleichzeitig ihren Schulabschluss und bereits das Studium absolvieren. Das geht in verschiedenen Schichten: Früh Schule, nachmittags und abends Studium. Professor wird man in Brasilien übrigens auch durch eine Prüfung mit Lehrprobe nach Studienabschluss.
Eine Promotion ist nicht erforderlich, muss aber in einem bestimmten Zeitrahmen nachgeholt werden. Allerdings bekommt man dann schon ein ansehnliches Professorengehalt und kann sich dafür von der Lehre befreien lassen. Als wir in Barreiros die Aula betraten, kam der Kälteschock. Von 29 Grad Celsius Außentemperatur auf circa 18 Grad Innentemperatur! Die Klimaanlage gab alles! Schnell füllte sich der Saal und schon begann das Konzert vor rund 250 teilweise sehr jungen Studierenden und Schülern. Vom ersten Titel an herrschte eine unbeschreibliche Stimmung im Saal. Jedes Solo und jede Ansage wurde bejubelt. Ich wurde, sehr zur Freude der Band, als „Professor Hartmut“ vorgestellt und werde diesen Spitznamen nun wohl noch etwas ertragen müssen.
Den absoluten Höhepunkt erreichte die Stimmung allerdings, als unser Sänger Tommy A. mit „Feeling Good“ die Bühne betrat. Wie bei einem Weltstar brandete nach den ersten gesungenen Worten ein unbeschreiblicher Jubel und ein Kreischen auf, das sich dann immer weiter fortsetzte. Tommy und die Band wurden auf dieser Welle der Begeisterung durch das Konzert getragen, bis zu den Standing Ovations am Schluss. Aber auch die LAB-Big Band knüpfte mit ihrem Konzertblock nahtlos dort an, wo wir aufgehört hatten. Sie waren heute noch mit einigen, teilweise wohl auch hier in der Region recht bekannten Berufsmusikern, die an der UFPE studieren, verstärkt und überzeugten mit ihrem kompakten Auftreten. Die schwierigen modernen Jazzarrangements wurden souverän beherrscht und die herausragenden Soli bejubelt. So endete das Konzert auch insgesamt mit Standing Ovations.
Ein wunderbarer Abend, der die lange Anfahrt und das Warten völlig rechtfertigte! Nach leckerem brasilianischen Essen in der Mensa ging es dann wieder auf die Fahrt zurück. Wobei es zahlreiche intensive und lustige Gespräche mit den Mitgliedern der LAB-Big Band im Bus gab. Einige können etwas Englisch. Mit etwas Portugiesisch, das unser Saxofonist Alex spricht, sowie Händen und Füßen klappte die Kommunikation ganz gut.
Trailer der UBB Halle zum Aufenthalt in Brasilien:
8. Oktober: Konzertabend im Konservatorium
Wir haben heute das größte Einkaufszentrum im Norden Brasiliens besucht, das „RioMar“. Eine moderne elegante Mall, mit jeder Menge Markengeschäften und heftigen Preisen. Reinigungskräften auf Rollschuhen und Sicherheitsdiensten auf Segways. Eine Überraschung gab es beim Bezahlen von zwei Koffern für unsere Posaunisten. Der Verkäufer konnte nicht verstehen, dass ich die Summe sofort komplett bezahlen wollte. Er bot mir immer wieder Ratenzahlungen an, bevor er ungläubig den gesamten Betrag von meiner Kreditkarte abbuchte. Es ist hier bei allen Einkäufen absolut üblich auf Kredit zu kaufen.
Dann ging es in das Konservatorium in Recife. Ein sehr hübscher historischer Bau mit einem kleinen, aber außerordentlichen guten Konzertsaal. Fast fühlten wir uns wie in unserem Konzert- und Probensaal in Halle am Institut für Musik. Der Andrang für die begrenzten Plätze war riesig, so dass viele noch auf dem Flur vor dem Saal dem Konzert lauschten. Auch das kennen wir von Halle. Die LAB- Big Band überraschte uns heute mit einem gut gespielten Swing-Titel „Groove Merchant“. So etwas hatten wir bisher von ihnen noch nicht gehört.
Unser Auftritt wurde dann mit viel Aufmerksamkeit und Spannung von einem sehr fachkundigen Publikum verfolgt. Es waren ausschließlich Schüler, Studenten und Lehrkräfte des Konservatoriums. Soli und gelungene schwierige Orchesterpassagen wurden mit Szenenapplaus bedacht, ein Novum für uns. Tommy A. bekam wieder direkt nach seinen ersten gesungenen Worten riesigen Beifall. Am Ende gab es ebenfalls lange Standing Ovations, etwas woran wir uns in Brasilien schon fast gewöhnt haben, auch wenn es eigentlich nicht normal ist.
10. Oktober: Weihnachten und das „andere“ Brasilien
Gestern ging es pünktlich um 10 Uhr los zu unserer Tour nach dem Norden. Nach über vierstündiger Fahrt näherten wir uns dann Natal. Natal heißt „Weihnachten“ und die heiligen drei Könige begrüßten uns auch gleich am Stadtrand. Aber auch sonst fühlten wir uns wie „Weihnachten“, denn das war ein ganz anderes Brasilien! Mit dem, was wir bisher kennen lernen durften, hatte das fast nichts zu tun! Saubere Straßen und öffentliche Anlagen, Blumenbeete, tolle Architektur, moderne Geschäfte in der ganzen Stadt – all das, was wir in den letzten anderthalb Wochen oft vermisst haben.
Nach einer kleinen Stadtrundfahrt und über eine der größten Brücken im Norden Brasiliens, sowie einem Halt an riesigen Sanddünen, trafen wir an der Musikhochschule Natal ein. Dort fand unser Konzert in einem wunderbaren Saal statt, den wir am liebsten mit nach Halle nehmen würden! Alles war bestens vorbereitet, sogar ausreichend Percussion für Peter war vorhanden, da die Band dort mit einer ganzen Sektion von vier Percussionisten spielt! Mit einer halben Stunde Verspätung – das blieb auch in Natal so – begann das Konzert im mit über 300 Besuchern gut gefüllten Saal. Die brasilianische Hochschulbigband, unter Mitwirkung zahlreicher Professoren, brannte ein wahres Feuerwerk brasilianischer Bigbandmusik ab und wurde gebührend von ihren Fans gefeiert!
Jeder war hochmotiviert und wir versuchten mit unseren Mitteln gegen diese Profiband zu bestehen. Aber unser vielseitiges Repertoire und ein gewisser Deutschland-Bonus sorgten vom ersten Titel an auch bei uns für Beifallsstürme. Wie immer brach dann unser Sänger Tommy A. die letzten „Dämme“ und wir wurden mit Euphorie durch das Konzert getragen. Standig Ovations und eine Zugabe, totale Begeisterung – was will man mehr?! Nach dem Konzert – übrigens bin ich jetzt noch „Maestro Chartmut“ – musste ich dem Bigbandleiter aus Natal mehrfach versichern, dass einige unsere Solisten keine Professoren oder Profimusiker sind, sondern Ethnologen, Mediziner, Informatiker oder Lehramtsstudenten, was er kaum glauben wollte. Mit viel Lob und Schulterklopfen bestiegen wir dann wieder den Bus und fuhren anderthalb Stunden bis zu unserem Hotel in dem kleinen Urlaubsort Pipa, wo wir gegen 1 Uhr nachts eintrafen. Da waren alle doch ziemlich k.o.
12.Oktober: Kinderfest mit Bescherung
Sonnenschein und Strandwetter! Wir haben den Tag noch mal zum „Abbaden“ genutzt. Ein Höhepunkt unserer Reise erwartete uns dann am Abend – das Abschlussfest gemeinsam mit den Kindern aus dem Nazarenodorf! Martin hatte auf unsere Kosten aus einem Restaurant im Nachbarort ein Buffet mit Fischpaella für alle besorgt, was wir gemeinsam mit den Kindern schmausten! Danach gaben wir ein kleines umjubeltes Konzert für unsere Freunde. Bei „Tico, Tico“ tanzten alle Samba und als wir dann noch mal die brasilianische Nationalhymne intonierten, wurde aus voller Lunge mit der Hand auf dem Herzen gesungen. Dann war „Bescherung“ - wir schütteten alle unsere mitgebrachten Gummibärchentüten auf den Tisch und unter riesigen Jubel bekam jeder seinen Teil.
Anschließend begann ein wildes Treiben. Die Kinder probierten unsere Instrumente aus, wobei wir feststellten, dass sie wahre Naturtalente sind. Rhythmus liegt hier einfach im Blut, genau wie Fußball, der dann auch noch gespielt wurde. Ein paar Bälle hatten wir als Geschenk gekauft. Das Größte für alle Kinder war dann aber das Kinderschminken, welches Susanne, die Frau von unserem Sänger Tommy A., angeboten hatte. Alle wollten Tiger oder Löwen sein bzw. eine Sonne, die brasilianische Flagge oder Schlangen auf Arme, Brust und Gesicht gemalt bekommen.
13. Oktober: Das letzte Konzert ist gespielt
Nun ist auch das letzte Konzert zu einer Mittagsmatineé in der Musikabteilung der UFPE in Recife absolviert. Die LAB Big Band hat wieder gut vorgelegt und wir wurden noch mal mit ohrenbetäubendem frenetischem Applaus gefeiert. Danach passierte noch etwas Ungewöhnliches: Obwohl Martin meinte, es würden bei Konzerten hier kaum CDs verkauft, stand auf einmal eine große Gruppe Zuhörer mit Geldscheinen in der Hand vor mir und wollten unsere CD kaufen! Wohl ein Zeichen für die Begeisterung, die wir auslösen konnten. Danach gab es für die Posaunen und Trompeten noch einen zweieinhalbstündigen Workshop, der allen Beteiligten viel Spaß gemacht hat und auch für unsere Musiker eine echte Weiterbildung darstellte. Nun heißt es aber Koffer packen und am Abend den Flieger Richtung Frankfurt besteigen, worauf wir uns auch schon freuen.
Neben den vielen schönen Erlebnissen war es mit den Konzerten, den vielen langen Busfahrten, dem schwülen feuchtheißen Klima sowie den besonderen Unterkunftsbedingungen doch recht anstrengend. Als Fazit bleibt jedoch: Tolle Konzerte mit großen Publikumserfolgen, musikalische Anregungen, viele landeskundliche Erfahrungen, fantastische Strände, aber auch großes Elend neben blendenden Reichtum. Die Band ist künstlerisch und persönlich fest zusammengewachsen und das trotz, oder auch wegen der Hoch und Tiefs die ein solches Abenteuer mit sich bringt. Alle Klippen brasilianischer Organisation und persönlicher Befindlichkeiten wurden gemeistert. Auch das Zusammenleben in den speziellen Unterkünften, mit wenig persönlichem Freiraum, konnte die positiven Erfahrungen nicht verdrängen.
…aber es geht weiter!
Mit dem heutigen Konzert und dem Ende der Reise endet auch Kapitel der nun über 21-jährigen Bandgeschichte. Einige haben ihr Studium beendet oder Arbeitsstellen außerhalb von Halle erhalten. Die Besetzung hatte die letzten drei Jahre so zusammengespielt und dabei ein beachtliches Niveau erreicht. Die CD-Produktion „20“, das Konzert in der Oper zum 20-jährigen Jubiläum, die Tourvorbereitung inklusive dem Konzert mit Prof. de Almeida im Mai diesen Jahres und schließlich als Höhepunkt unsere Konzertreise nach Brasilien - diese Besetzung hat viel geleistet und mir viel Freude gemacht. Ich kann mich nur bei allen dafür bedanken, auch wenn es manchmal ein hartes Stück Arbeit war!
Aber es geht weiter! Schon während unserer Reise hier, haben sich neue Interessenten per Mail gemeldet und so geht es ab nächster Woche ganz normal mit Proben und neuen Gesichtern weiter. Am 14. November 2014 gibt es ja schon das nächste Konzert in der Händelhalle in Halle mit Chris Barber. Bis dahin wird sich eine in einigen Positionen „neue“ Uni-Bigband Halle formiert haben und im nächsten Jahr freuen wir uns schon auf den Gegenbesuch der LAB-Bigband bei uns in Halle, als Projekt zum Festival „Women in Jazz“. Aber die Erfahrungen und Erlebnisse dieser Brasilienreise werden immer im „Bandgedächtnis“ bleiben. Danke Martin, danke UNI-BIGBAND Halle!