Der Pilzkenner mit der schönen Aussicht
Das Büro von Uwe Braun ist einer der schönsten Arbeitsplätze an Halles Universität: Die rundumlaufende Fensterfront, gelegen in einer alten Villa am Neuwerk, gibt den Blick großzügig frei auf die grüne Oase des Botanischen Gartens. „Darum haben mich schon viele Besucher beneidet“, sagt der Biologe und ergänzt: „Ich bin dankbar dafür, dass ich hier so lange arbeiten durfte.“ Seit 1994 stand er von hier aus dem Herbarium der MLU als Kustos vor. Im April ist er in den Ruhestand verabschiedet worden, was allerdings keinen wirklichen Stillstand bedeutet. Denn nach wie vor ist Brauns Expertise international gefragt. „Das ist Fluch und Segen zugleich“, meint er. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass sich nur sehr wenige Wissenschaftler so tief mit einer einzigen, derart spezifischen Materie befassen. Und deshalb landen weiterhin in schöner Regelmäßigkeit Anfragen aus aller Welt in Brauns Büro.
Erst in der vergangenen Woche hat sich ein Pilzforscher aus einer südlichen Region Chinas gemeldet. Er war im Hochgebirge Tibets auf einen Mehltaupilz gestoßen und vermutete, eine neue Art entdeckt zu haben. Nun wollte er Brauns Meinung dazu hören. Kaum irgendwo anders auf der Welt würde der Mykologe aus dem Reich der Mitte auf mehr Fachwissen stoßen als bei dem halleschen Botaniker und Mykologen. Schließlich befasst der sich bereits seit seinem Studium mit Mehltau-Pilzen, jenen mikroskopisch kleinen Fruchtkörpern und Sporen, die auf zahlreichen Pflanzen vorkommen und sich meist in Form eines weißen Belags zeigen.
Es war 1978 als Braun, damals noch Student der Biologie an der MLU, in der Dölauer Heide unterwegs war und dort auf einer Weißen Lichtnelke Mehltau entdeckte, ihn entnahm und anschließend eingehend wissenschaftlich beschrieb: „Erysiphe buhrii U.Braun“ heißt diese Art nun, und zwar von ihm so benannt. Es war die erste überhaupt, die er dokumentierte.
Insgesamt hat er im Lauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn 832 Pilz-Taxa, meist Arten, beschrieben, darunter aber auch 45 neue Gattungen und eine neue Familie. Sein Spezialwissen hat ihm 2015 sogar den Josef Adolf von Arx Award eingebracht, eine Art Oscar für Pilzforscher, der von der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften vergeben wird und als weltweit höchste Auszeichnung der Branche gilt. Der besondere Reiz an seinem Fach? Da muss Braun nicht lange überlegen: „Es ist der praktische Nutzen.“ Schließlich können die mikroskopisch kleinen Pilze, mit denen er sich vorzugsweise befasst, großen Schaden an Pflanzen anrichten. „Sie aufzuspüren und sicher bestimmen zu können, bedeutet auch, einen enormen Nutzen für die Landwirtschaft zu erbringen.“
Darüber hinaus beschäftigt sich Braun mit zahlreichen anderen Schlauchpilzen, zum Beispiel der Gattung Cladosporium, die sich an totem organischen Material ansiedeln, als sogenannte Indoor-Pilze auftreten und außerdem bei Pflanzen, Menschen und Tieren Krankheiten verursachen können. Auch hier wird er oft als Experte angefragt, denn es ist nicht immer leicht, sie zu identifizieren. Natürlich ist es ein Irrglaube, dass Pilze generell Schaden anrichten. Deshalb verweist Braun auf das enorme Potenzial, das sie grundsätzlich in sich tragen. Sowohl in Hinblick auf ihre Artenvielfalt, die es unbedingt zu erhalten gilt, als auch mit Blick auf ihre medizinische Anwendung. Schließlich habe der spätere Nobelpreisträger Alexander Flemming seinerzeit den Wirkstoff für das erste Antibiotikum aus einem Pilz extrahiert. Ein Zufall zwar, aber auch vor diesem Hintergrund seien Einrichtungen wie das Herbarium im Botanischen Garten der MLU so wichtig. Denn dort lagern rund 600.000 pflanzliche Exponate, darunter viele Pilze und Flechten. Forscher haben dadurch die Möglichkeit, Proben zu erhalten, selbst wenn die ursprüngliche Art bereits ausgestorben oder nur in einer weit entfernten Region zu finden ist. Vor allem für Phytopathologen sei dies interessant, denn sie können mit molekularen Methoden inzwischen auch die genetische Struktur von getrockneten Pilzen und Pflanzen untersuchen.
Ein weiteres Arbeitsgebiet von Uwe Braun ist die Nomenklatur, also die korrekte Benennung von Pilzen und Flechten. Zehn Jahre war er Mitglied einer internationalen Kommission, die die Namensgebung in der Mykologie und das dazugehörige Regelwerk überwacht und begleitet hat. Nicht nur in diesem Rahmen bedient er sich eines internationalen Netzwerks, arbeitet eng mit Mykologen aus den USA, Russland, Japan und China zusammen. „Die Beschreibung und Benennung einer neuen Art muss absolut wasserdicht sein. Bei den Recherchen benötigt man den Blick fürs Detail. Das macht den Spezialisten aus.“
Die Begeisterung für Pflanzen hat Uwe Braun schon sehr früh gepackt. Schon als Kind wollte er unbedingt jede Pflanze mit Namen kennen. Und so bekam er als 14-Jähriger ein Buch zur Pflanzenbestimmung geschenkt, mit dem er fortan seinen Wissensdurst stillte. Irgendwann kannte er alle Arten in der Gegend und so suchte er eine neue Herausforderung. Er fand sie über einen Freund, der damals beim Kulturbund der DDR als Pilzsachverständiger aktiv war. „Er riet mir, mich doch mal um Pilzkrankheiten zu kümmern. Ich folgte seinem Rat. Und das hat mich bis heute nicht mehr losgelassen“, erinnert sich Pilzforscher.
Seinem Ruhestand sieht Uwe Braun mit Gelassenheit entgegen. Und weil das kein vollständiger Rückzug aus der Wissenschaft wird, kann er auch künftig einen Arbeitsplatz im Herbarium der MLU nutzen. Dort hängt inzwischen auch – einer alten Tradition folgend – eine Zeichnung mit seinem Porträt. Es vervollständigt eine Art Ahnengalerie wichtiger Pflanzenforscher, die im Wintergarten des Gebäudes rings um die Fensterfront aufgereiht ist. Sie zeigt all jene, die sich in den vergangenen Jahrhunderten um die botanische Forschung an der Uni Halle und den Botanischen Garten verdient gemacht haben. Unter ihnen zum Beispiel der ehemalige Direktor des Botanischen Gartens Kurt Sprengel und auch sein Nachfolger Diederich von Schlechtendahl, der zugleich Gründer des hiesigen Herbariums war. „Normalerweise“, erklärt Uwe Braun, „werden diese Bilder erst nach dem Tod der Abgebildeten aufgehängt. Aber bei mir hat man erstmals eine Ausnahme gemacht.“