DGE-Kongress in Halle: Zwischen Chronobiologie, Evolution und Big Data
Was ist Stoffwechsel genau?
Wätjen: Mit Stoffwechsel ist im Grunde die komplette Umsetzung von Nährstoffen im menschlichen Körper gemeint. Das betrifft den Aufbau und Abbau von Substanzen, die Nutzung von Nährstoffen zur Energiegewinnung und auch den Aufbau körpereigener Substanzen.
Stangl: Unser Körper ist im Vergleich zur unbelebten Welt in einem sehr geordneten Zustand. Das lässt sich mit einem top aufgeräumten Zimmer vergleichen. Wenn wir dem Körper nicht ständig neue Energie und Nährstoffe zuführen, gerät das Ganze in große Unordnung. Das ist praktisch die Aufgabe des Stoffwechsels: Den geordneten Zustand zu halten, damit der Körper funktioniert, sich bewegen, fortpflanzen und auf Nahrungssuche gehen kann.
Während des Kongresses gibt es drei übergeordnete Plenarvorträge. Der erste davon beschäftigt sich mit dem Thema „Chronobiologie“. Was versteht man darunter?
Stangl: Unser Körper funktioniert zu verschiedenen Tageszeiten nicht immer gleich. Die meisten Stoffwechsel-Prozesse unterliegen einer Art Tagesrhythmik. Das wurde bislang in den Ernährungswissenschaften viel zu wenig berücksichtigt.
Das ist ein bisschen verwunderlich. Schon im Biologieunterricht lernen wir, dass unser Körper zu verschiedenen Tageszeiten anders arbeitet.
Stangl: Das lässt sich aber nicht so einfach untersuchen: Wenn wir beispielsweise eine Gruppe von 1.000 Personen haben, bei denen ich jede Stunde Blut abnehmen muss, dann haben wir einen riesengroßen Aufwand zu bewältigen. Das betrifft nicht nur die Anzahl der Proben und der Daten, sondern auch einen finanziellen wie technischen Aufwand. Da sind uns gewissermaßen die Hände gebunden.
Wätjen: Außerdem werden jetzt allmählich Daten veröffentlicht, die zeigen, dass auch vermeintlich stabile Prozesse durch unsere innere Uhr beeinflusst werden. Zum Beispiel dachte man bei der Insulinausschüttung lange, sie sei nur davon abhängig, ob jemand etwas isst. Dass sie auch von unserer inneren Uhr abhängig ist, wurde bislang viel zu wenig beachtet.
Welche äußeren Faktoren wirken sich auf unseren Stoffwechsel aus?
Stangl: Dazu gehören die Jahreszeiten und auch Umweltbedingungen, die maßgeblich beeinflussen, welche Nahrungsmittel uns zur Verfügung stehen. Gewisse Nutzpflanzen kann man nicht überall auf der Welt anbauen, sie wachsen nur unter bestimmten klimatischen Verhältnissen. Das Klima und die Bodenqualität haben sich im Laufe der Zeit verändert. Dazu wird unser zweiter Plenarvortrag informieren: Wie hat sich in der Evolution des Menschen das Nahrungsangebot geändert?
Ein neues Thema der Ernährungswissenschaften ist auch die sogenannte personalisierte Ernährung. Was ist das?
Stangl: Wir ticken nicht alle gleich, auch wenn wir uns sehr ähneln. Wenn wir das Genom verschiedener Menschen miteinander vergleichen, finden wir sogenannte Punktmutationen. Das sind kleine Veränderungen in unserem Erbgut, die entscheidend dafür sind, dass wir Nährstoffe unterschiedlich schnell verstoffwechseln können. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine bestimmte Person nicht unbedingt von einer cholesterinarmen Ernährung profitiert, eine andere aber möglicherweise schon. Im Moment ist es aber noch so, dass eine Ernährungsempfehlung für alle Menschen ausgesprochen wird, obwohl sie nicht für alle gleichermaßen gilt.
In den Plenarvorträgen werden also vor allem Themen besprochen, die in den Ernährungswissenschaften bisher noch keine große Rolle gespielt haben. Dazu gehört auch „Big Data“.
Stangl: Ganz genau. Wir haben inzwischen so viele Daten aus sehr vielen Studien, die ein Einzelner nicht mehr überblicken kann. Deswegen haben wir im letzten Plenarvortrag ein Thema gewählt, das skizzieren soll, wie enorm wichtig es ist, dass wir solche Daten zusammenlaufen lassen.
Wätjen: Hier spielt auch die personalisierte Ernährung eine Rolle: Heutzutage ist es möglich, mit verhältnismäßig einfachen Messgeräten ständig den Blutdruck, die Herzfrequenz und andere Parameter zu messen und dies mit dem Ernährungsverhalten zu korrelieren. Man braucht Strategien, um diese Datenmengen von vielen Anwendern zu verarbeiten und allgemein nutzbar machen zu können.
Stangl: Ein Problem der Ernährungswissenschaft ist auch, dass sie sich nicht geradlinig entwickelt hat. Es werden immer wieder neue Studien durchgeführt. Einmal heißt es: Omega-3-Säuren sind gut. Dann kommen zwei weitere Studien, die sagen: Es bringt gar nichts. Die Frage ist, wie man mit solchen Daten umgeht. Mit Hilfe von Big-Data-Analysen hoffen wir, herausfinden zu können, warum bestimmte Ernährungsweisen manchmal wirken und manchmal nicht. Das ist eine Riesenchance.
Was erhoffen Sie sich von dem Kongress?
Stangl: Wir hoffen, dass diese Themen stärker in das Bewusstsein der Ernährungswissenschaftler rücken – in das der Forscher ganz genau wie derjenigen, die dieses Wissen in die Praxis umsetzen müssen. Von Big Data erhoffe ich mir, dass sich mehr Kooperationen zwischen Forschern verschiedener Disziplinen ergeben.