Die Geheimnisse der Grabplatten

21.09.2021 von Katrin Löwe in Varia, Schlussstück, Wissenschaft
Wie haben die Menschen in früherer Zeit versucht, den Tod zu bewältigen? Zur Beantwortung dieser Frage, die Prof. Dr. Klaus Krüger vom Institut für Geschichte seit mehr als 30 Jahren beschäftigt, stehen der Universität einzigartige Mittel zur Verfügung: so genannte Brass Rubbings, Abriebe von Grabplatten.
Klaus Krüger forscht an den Brass Rubbings.
Klaus Krüger forscht an den Brass Rubbings. (Foto: Maike Glöckner)

Dank der Schenkungen des Hamburger Philologen Reinhard Lamp und des Londoner Stadtplaners Kevin Herring verfügt die MLU heute über die größte Sammlung von Brass Rubbings auf dem europäischen Festland. Auf mittlerweile 800 Papierbögen von teils riesigem Ausmaß sind mit Wachsstiften die Reliefs der Bilder, Inschriften und Wappen von Grabplatten durchgerieben und so dokumentiert.

Diese Technik, die sich insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert in Großbritannien zu einem regelrechten Volkssport entwickelt hatte, also einer Art Citizen Science, erlaubt der Forschung viel tiefere Einblicke in die Begräbniskultur, als es etwa die Fotografie könnte. Auf mittlerweile abgetretenen Grabplatten „holt der Abrieb Details heraus, die Sie auf den ersten und zweiten Blick gar nicht erkennen können“, sagt Krüger. Zwar gibt es mittlerweile auch den 3D-Scan. „Aber der ist immer noch überaus aufwendig, verbraucht eine ungeheure Menge an Daten und Zeit für die Bearbeitung.“

Neben den Brass Rubbings besitzt die Universität auch eine Sammlung des 2017 verstorbenen Ägyptologen Prof. Dr. Karl-Heinz-Priese, der eine ähnliche Technik von Forschungen im Sudan mitgebracht hat: Dabei wird Alufolie mit einer weichen Bürste in einen Grabstein einmassiert und wieder abgenommen. Diese über 500 Objekte umfassende Sammlung wird durch Krüger und eine studentische Mitarbeiterin derzeit erschlossen.

Der Abrieb der Grabplatte des 1505 gestorbenen Stiftsherrn Rudolf von Bünau im Naumburger Dom
Der Abrieb der Grabplatte des 1505 gestorbenen Stiftsherrn Rudolf von Bünau im Naumburger Dom (Foto: Maike Glöckner)

Was aber lässt sich anhand der Werke erforschen? Zum Beispiel der Wandel in der Darstellung Verstorbener: Im späten Mittelalter seien die Toten als Idealbild im Sterbealter Christi von 33 Jahren dargestellt worden, so Krüger. Vor allem in der Frühen Neuzeit erhalte man dann ein realeres Bild der bestatteten Person, inklusive Unzulänglichkeiten wie etwa Kahlköpfigkeit. Auch die Inschriften verändern sich, insbesondere mit der Reformation. Die Bezeichnung des Todes - „er ist verstorben“ – werde aufgeweicht in „er ist hinübergegangen“ oder „er ist entschlafen“. Zudem seien weit mehr Daten eingefügt worden, bis hin zur stundengenauen Lebenszeit, es gebe eine zunehmende literarische Qualität. Dieser Umbruch in der Reformation ist ein Forschungsschwerpunkt Krügers. Nicht zuletzt erlauben die Abriebe Erkenntnisse zur Heraldik und sogar zur Fertigung der riesigen Grabplatten. Krügers Ziel ist die Gründung eines Zentrums für manuelle Reproduktionstechniken der Sepulkralkultur – und die Einbindung der im Uni-Archiv liegenden Sammlungen in die Lehre, zum Beispiel auf einer Spring School 2022. Denn „es werden damit nicht nur neue Erkenntnisse für die Forschung gewonnen, sondern es wird auch eine alte Kulturtechnik erhalten“, sagt er.

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