Die Geschichte eines Wunderkindes

19.01.2021 von Katrin Löwe in Varia
Er wird als „Wunderkind von Schwabach“ bezeichnet, war zu seiner Zeit der jüngste Magister-Absolvent in Halle: Jean-Philippe Baratier. Ein riesiges Publikum soll damals die Disputation des gerade einmal 14-Jährigen an der Friedrichs-Universität verfolgt haben. Heute jährt sich Baratiers Geburt zum 300. Mal.
Ausschnitt aus einem Kupferstich von Johann Georg Wolffgang nach einem Gemälde von Antoine Pesne. Er zeigt Jean-Philippe Baratier mit der römischen Göttin Minerva.
Ausschnitt aus einem Kupferstich von Johann Georg Wolffgang nach einem Gemälde von Antoine Pesne. Er zeigt Jean-Philippe Baratier mit der römischen Göttin Minerva. (Foto: Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt / Vc 137 B80)

Der 9. März 1735 war ein besonderer Tag an der halleschen Universität. 2.000 Menschen sollen damals eine Disputation an der Philosophischen Fakultät verfolgt haben, die Ausführungen zu insgesamt 14 Thesen, die in der Nacht zuvor noch eilig gedruckt wurden. Das Besondere war nicht nur deren breites Themenspektrum – von Astronomie über theologische bis hin zu philosophischen Fragen. Es war vor allem das Alter des Vortragenden: Jean-Philippe Baratier war gerade einmal 14 Jahre alt und erst einen Tag zuvor an der Uni immatrikuliert und examiniert worden.

Die Geschichte des „Wunderkindes“, das seinerzeit in der Gelehrtenwelt für enorme Aufmerksamkeit sorgte, wird in diesen Tagen wieder häufiger erzählt. Nicht ohne Grund: Sein Geburtstag jährt sich zum 300. Mal. Am 19. Januar 1721 wurde Baratier im fränkischen Schwabach als Sohn des Hugenotten-Predigers François Baratier geboren. Bereits mit vier Jahren beherrschte er die deutsche, französische und lateinische Sprache, als Sechsjähriger zudem Griechisch und Hebräisch und wenig später auch Syrisch, Chaldäisch und Arabisch. Fähigkeiten, die insbesondere aufgrund der Netzwerke des Vaters nicht unentdeckt blieben. „Er hat von Anfang an Propaganda für seinen Sohn gemacht“, sagt der Bayreuther Romanist Prof. Dr. Günter Berger, der sich angesichts des Jubiläums in den vergangenen drei Jahren intensiver mit dem Leben Baratiers befasst hat. So habe François Baratier schon einen Artikel über seinen Sprössling in einer fränkischen Regionalzeitung veröffentlicht, als der gerade einmal fünf Jahre alt war. Dank seiner Kontakte zu anderen Hugenotten-Predigern lancierte er zudem Beiträge in der französischsprachigen Zeitschrift „Bibliotèque Germanique“. Dadurch sei bis 1735 in ganz Europa der Name Baratier bekannt gewesen, so Berger. Mit zehn Jahren lernte der junge Baratier als Gast an der Universität Altdorf bei Nürnberg. Bereits als Elfjähriger, so Berger, habe er sein erstes Buch geschrieben, das zwei Jahre später publiziert wurde: eine kommentierte Übersetzung von Reiseberichten des Rabbiners Benjamin von Tudela.

Erstaunter Kanzler

Die Familie Baratier war auf dem Weg nach Stettin, als sie im Frühjahr 1735 in Halle Station machte und Jean-Philippe Baratier mit seinem Vater dem damaligen Uni-Kanzler Johann Peter von Ludewig vorgestellt wurden. „Ludewig unterhielt sich einige Stunden mit ihnen und wurde durch die mannigfaltige und ausgebreitete Gelehrsamkeit des erst vierzehnjährigen jungen Baratier dergestalt in Erstaunen gesetzt, daſs er noch denselben Abend bey der philosophischen Fakultät, deren Senior er war, darauf antrug, ihn zu examiniren und unentgeltlich zu promoviren“, ist in einer 1805 veröffentlichten Chronik der Universität von Johann Christoph Hoffbauer zu lesen. Nach dem Magister-Abschluss reiste die Familie zunächst nach Berlin weiter, wo Baratier einen bedeutsamen Gönner traf: König Friedrich Wilhelm I. Der stattete ihn nicht nur mit finanziellen Mitteln aus, um seine astronomischen Interessen weiterzuverfolgen. Auf Geheiß des Königs konnte die Familie auch nach Halle zurückkehren, wo Baratier mit einem Stipendium Jura studierte. Und offensichtlich selbst auch Vorlesungen in Astronomie hielt – entsprechende Exposés fand Günter Berger bei seinen Forschungen im Nachlass Baratiers, der in Zürich lagert.

Vorschläge für Längengrad-Messung

Ebenfalls im März 1735 wurde Jean Philippe Baratier als jüngstes Mitglied in die Königlich Preußische Sozietät der Wissenschaften in Berlin aufgenommen. Kontakte hatte der junge Gelehrte darüber hinaus zu Akademien in London und Paris, denen er wie der Berliner Sozietät seine Lösungen zu einem seinerzeit viel diskutierten naturwissenschaftlichen Problem offerierte – der Bestimmung der Längengrade auf dem Meer. Die als Preisgeld von der Royal Academy London ausgelobten 20.000 Pfund erhielt er allerdings nicht, auch Paris schickte eine freundliche Absage. Dennoch dürfte sich Baratier bis fast an sein Lebensende mit der Frage der Längengrade befasst haben, so Berger. Viel Zeit blieb dem Wunderkind allerdings nicht: Jean Philippe Baratier starb bereits im Alter von 19 Jahren am 5. Oktober 1740 in Halle, vermutlich an Krebs. Beigesetzt wurde er auf Kosten der Universität im Erbbegräbnis des Kanzlers von Ludewig, “die ganze Universität, Professoren und Studirende, begleiteten in einem feyerlichen Zuge seine irdischen Ueberreste zu ihrer Ruhestätte“, schrieb Hoffbauer Jahre später in seinem Werk zur Uni-Geschichte.

Baratier hat neben seinem Erstlingswerk zu Rabbi Benjamin von Tudela unter anderem ein Buch über die Geschichte der römischen Päpste hinterlassen, in Halle hat er ebenfalls zwei Jahre vor seinem Tod ein Werk von Kanzler Ludewig über das Königreich Sizilien übersetzt. „Er hat etliches aber auch nicht mehr publizieren können“, so Günter Berger. Es gebe noch ein Manuskript zum Naturrecht sowie viele weitere kurze oder mittelange Schriften zur Poetik und Literaturkritik und selbst den Entwurf einer Tragödie.

In seiner Heimatstadt Schwabach soll Baratier, dessen Name über die Jahrhunderte zumindest im deutschsprachigen Raum weitgehend in Vergessenheit geraten war, nun in besonderer Weise gedacht werden. Die Bürgerstiftung der Stadt und die Kommune planen die Einweihung einer Bronzeplastik, die Benennung eines Weges nach ihrem Wunderkind und mehrere Veranstaltungen und Vorträge.

 

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