Die Universität trägt ihre Handschrift
Da braucht es kreative Ideen und Fingerspitzenfühl. Und deshalb verweist die Grafikerin am Friedemann-Bach-Platz zuerst auch auf das Plakat von Grete Minde. Der Druck liege ihr besonders am Herzen. 2008 habe sie ihn für einen Vortrag des Rechtshistorikers Prof. Dr. Heiner Lück entworfen. „Grete Minde“, erklärt Hannelore Schlesinger, „wurde 1617 beschuldigt, die Stadt Tangermünde angezündet zu haben. Auf dem Scheiterhaufen wurde sie bei lebendigem Leibe ,geschmöcht‘“, erzählt die 61-Jährige. „Das ist grausam“, schiebt sie nach und wird still. Warum sie das überhaupt erzähle? Nun, weil es wesentlich ist, wesentlich für ihre Arbeit. „Denn bevor man so ein Thema künstlerisch mit Farben, Formen und Strukturen anfasst, muss man sich darauf einlassen, gefühlsmäßig und voll mit dem Herzen dabei sein.
Sonst wird aus Kunst Murks“, sagt die Grafikerin, die ihr Skizzenbuch immer bei sich trägt. „Bereits als Kind liebte ich Kunst, wollte möglichst etwas mit Malen machen“, erinnert sich die Hallenserin. Ihr Onkel, der Kunstmaler Heinz Schuhmann, sei daran nicht ganz unschuldig. „Ich war von ihm fasziniert, sehe heute noch seine Farbtöpfe, die Farben und seinen bekleckerten Kittel“, schwärmt die Hallenserin, die in der Schulzeit immer „Einsen“ im Fach Zeichnen nach Hause brachte.
Vom Dribbeln zum Scribbeln
Später nahm sie Einzelunterricht beim Maler und Grafiker Fritz Drechsler und vervollkommnte ihre Maltechniken. Besonders Landschaften und Porträts hatten es ihr angetan, damals auf der Sportschule. Sportschule? Hannelore Schlesinger lächelt. „Das stimmt schon. Ich war Basketballerin beim SC Chemie Halle und sogar Mitglied in der DDR-Nationalmannschaft“, überrascht sie. Mit 1,72 Meter Körpergröße recht klein, aber trippelstark, war sie auf dem Spiel-Parkett aktiv, bis mit 21 Jahren ihre erste Tochter zur Welt kam. Aus dem Leistungssport wurde ein Hobby, und sie blieb am Ball. „Ich spiel immer noch beim USV, bei den Senioren.“
Doch wie kommt man vom Drippeln zum Scribbeln? „Nach dem Abitur erlernte ich den Beruf des Goldschmieds.“ Doch mit der verordneten Serienproduktion von Schmuckstücken konnte sie sich künstlerisch nicht anfreunden. Sie schmiss hin und nahm an der Kunsthochschule „Burg Giebichenstein“ ein Studium in der Fachrichtung Emailkunst auf. Danach einige Zeit als Werkstattleiterin an der Burg tätig, blieb ihr auch hier die berufliche Erfüllung versagt. „Ich wollte mich umorientieren, habe sogar mit der Selbstständigkeit geliebäugelt.“
Doch wo eine Tür zugeht, geht eine andere auf. „An der Universität in der Grafikabteilung wurde ein Schriftenmaler gesucht. Also bewarb ich mich 1986 – mit Erfolg“. Schriftproben musste Hannelore Schlesinger nicht abgeben. Aber man braucht nicht zweifeln, sondern darf eher ein bisschen neidisch werden. Denn sie ist die Frau mit der schönsten Handschrift an der Universität. Oder besser Handschriften. Sie beherrscht sowohl die englische Schreibschrift als auch die Antiqua. Doch die Zeiten haben sich geändert.
Handgezeichnete Poststempel
Wurden zu DDR-Zeiten die Türschilder der Professoren noch in Hand- oder in Stempelschrift angefertigt, kommt seit 1995 der Computer zu Hilfe. So hört es sich fast nostalgisch an, wenn die Schönschreiberin vom Uni-Poststempel erzählt, der kurz nach der Wende entstand. Als Vorlage diente das handgezeichnete Löwengebäude. „Zunächst haben wir den Text ausgedruckt, dann die Zeichnung am Kopierer verkleinert und danach Text und Zeichnung als Collage zusammengesetzt. Das war die Vorlage für den Stempel, der bis heute im Gebrauch ist.“
Dank des Computers sind die Möglichkeiten viel größer geworden. Alles geht schneller und ein wichtiges Problem hat sich erledigt: Fehlerteufel und Tintenklecks. „Man kann heute alles ausmerzen. Früher war das Wunschdenken. Wenn man sich verschrieb oder mit Tinte tropfte, hatte man oft keine zweite Chance“, sagt Schlesinger und verweist auf das Goldene Buch der Universität, das sie als eines der wenigen Bücher auch noch heute fürchten muss. „Hier wird alles per Hand geschrieben, und bei Fehlern kann man keine Seite rausreißen. Wenn das Buch bei mir liegt, bin ich jedes Mal ganz schön angespannt“, sagt sie.
Klar gibt‘s Tage, wo man sich verschreibt, aber an wirkliche Pannen erinnere sie sich „Gott sei Dank“ nicht. Dafür aber an Arbeiten, die sie stolz machen. So darf sie jedes Jahr die Luther-Urkunden für jene Doktoranden anfertigen, die ihre Promotionsarbeit mit „Summa cum laude“ abgeschlossen haben. Auch die Ehrendoktor-Urkunde für den ehemaligen Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, stammt aus ihren Händen, wenn auch am Computer erstellt.
Und dennoch: eine Handschrift wirkt persönlicher. Für die private Post sind Stift oder Feder für die Kunstfreundin immer noch ein Muss. „Viele freuen sich ja auch, wenn sie handgeschriebene Briefe von mir bekommen“, sagt sie. Muss man den Beruf des Schönschreibers künftig nicht abschreiben? Schwierige Frage. Hannelore Schlesinger gehört der Generation an, die alles von der Pike auf gelernt hat. Das soll heißen: „Wenn der Computer ausfällt, bin ich immer noch in der Lage, ein Schild handschriftlich zu gestalten.“