Motivator und Kooperationspartner: Zum Tod von Egon Fanghänel

13.12.2023 von Prof. Dr. Horst Hartmann, Prof. Dr. Rudolf Taube, Dr. Andreas M. Richter in Personalia
Am 15. November ist der Chemiker Prof. Dr. Egon Fanghänel verstorben. Er war der erste frei gewählte Rektor der TH Leuna-Merseburg und wirkte anschließend an der MLU. Weggefährten haben einen Nachruf auf ihn verfasst.
Egon Fanghänel
Egon Fanghänel (Foto: privat)

Egon Fanghänel wurde am 25. Juni 1935 in Waldheim/Sachsen geboren und studierte nach seinem Abitur Chemie an der Technischen Hochschule Dresden. Er diplomierte bei Heinz G. O. Becker im Jahre 1958 mit einer Arbeit über die Reaktion von Mannich-Basen und wurde vier Jahre später mit einer von Friedrich Asinger betreuten Arbeit über Zusammenhänge von Struktur und Eigenschaftsmerkmalen oberflächenaktiver Verbindungen promoviert. Danach erhielt er nach dem Weggang seines Doktorvaters an die RWTH Aachen durch dessen Nachfolger Roland Mayer die Möglichkeit, sich an der TU Dresden mit einer schwefelorganischen Arbeit zu habilitieren, und anschließend die Gelegenheit, einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt am Centre de National in Havanna, Kuba, zu absolvieren. Nach seiner Rückkehr im Jahre 1971 erhielt er einen Ruf als Professor für Organische Chemie an die Technische Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg, an der er sich wissenschaftlich und administrativ stark engagierte, von 1990 bis 1992 als deren erster freigewählter Rektor. Nach der Abwicklung der TH beendete er 2000 seine Hochschullehrertätigkeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.  

Wie bereits aus seinen Qualifizierungsarbeiten an der TU Dresden hervorgeht, war Egon Fanghänel auf zahlreichen unterschiedlichen Gebieten wissenschaftlich tätig, wobei ihn nicht nur das jeweilige fachliche Problem mit dem zugehörigen Lösungsweg interessierte, sondern stets auch die Möglichkeiten einer praktischen Nutzung der erzielten Resultate. Schon im Ergebnis seiner Habilitationsarbeit erschloss er verschiedene Anwendungsfelder, die ihn über sein ganzes wissenschaftliches Leben hinweg beschäftigten. So war es mit Hilfe einiger der von ihm entwickelten schwefelheterocyclischen Verbindungstypen möglich, eine bis dahin völlig unbekannte Klasse elektrisch leitfähiger Materialien synthetisch zu erschließen und ihre Eigenschaftsmerkmale eingehend zu studieren. Diese Materialien eigneten sich ganz besonders zur Herstellung von organischen Photoleitern und redoxaktiven Komponenten in organischen Batterien und initiierten eine Fülle von Arbeiten aus anderen Arbeitskreisen zu dieser Thematik.

In zahlreichen Untersuchungen, die in Kooperation mit der Filmfabrik Wolfen ausgeführt wurden, beschäftige sich Egon Fanghänel sehr intensiv mit der Photochemie verschiedener heterocyclischer Verbindungstypen, vor allem im Hinblick auf ihre Nutzung als optische Datenspeicher sowie als Komponenten für halogensilberfreie fotografische Materialien. Er entwickelte in diesem Zusammenhang auch verschiedene Herstellungsmöglichkeiten für neuartige farbige Materialien, die in der modernen Drucktechnik Verwendung finden.

Egon Fanghänel war ein begnadeter Hochschullehrer, der seine Studenten und Doktoranden mit didaktisch gut aufgebauten Vorlesungen und Seminaren für die Wissenschaft motivierte und sie durch sein Vorbild zu eigenen wissenschaftlichen Arbeiten motivierte. Er war maßgeblich an der Konzeptionierung und später auch als federführender Autor an der Gestaltung des Praktikumsbuches ORGANIKUM beteiligt. Dieses Standardwerk für organisch-chemische Grundpraktika ist seit der Erstauflage im Jahre 1962 in bisher 24 Auflagen mit 450.000 Exemplaren und in mehr als zehn Sprachen, darunter auch in Chinesisch, erschienen. Zudem war er federführender Autor des 6. Bandes des „Lehrwerkes Chemie“ zum Thema Chemische Kinetik, das als Kompendium über viele Jahrzehnte hinweg die fachliche Ausbildung der Chemiestudenten an den Hochschulen und Universitäten in der DDR prägte. Er ist Mitautor einer Monografie in der Buchserie des Thieme-Verlages „Science of Synthesis“, Volume 11.  Insgesamt stammen aus seiner Feder über 200 Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften des In- und Auslandes, darunter auch neun Übersichtsbeiträge.

Egon Fanghänel betätigte sich neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch intensiv als Wissenschaftsorganisator.  So leitete er über mehrere Jahrzehnte an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg ein von der Filmfabrik ORWO Wolfen finanziertes Problemlabor, in dem er mit mehr als zwei Dutzend wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitern neue fotografische Materialien auf Basis halogensilberfreier lichtempfindlicher Verbindungen entwickelte und auf ihre Praxistauglichkeit hin untersuchen ließ. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden gemeinsam mit dem Praxispartner und den jeweils involvierten Mitarbeitern in über 100 Patenten dokumentiert. Als  Mitglied des Technologie- und Gründer-Zentrums (TGZ) in Bitterfeld initiierte er mit Unterstützung der Landesregierung Sachsen-Anhalt die Gründung des Chemiepark-Instituts in Bitterfeld, das industrienaher Forschung gewidmet war, und half damit, jungen Nachwuchswissenschaftlern den Weg in ihre berufliche Selbstständigkeit zu ebnen. Außerdem leistete er als Vorsitzender des Ortsverbandes der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) Bitterfeld-Wolfen durch Organisation von wissenschaftlichen Kolloquien und Tagungen einen wesentlichen Beitrag zur fachlichen Weiterbildung von Wissenschaftlern und Technikern in diesem Bereich der chemischen Industrie. Dabei konnte er auf Management-Erfahrungen zurückgreifen, die er im Laufe seiner wissenschaftsorganisatorischen Aktivitäten zu DDR-Zeiten erworben hatte.  Über viele Jahre war er im Vorstand der Chemischen Gesellschaft der DDR tätig, deren Vorsitz er von 1985 – 1988 innehatte.

Für seine verdienstvolle Tätigkeit in Wissenschaft und Gesellschaft erhielt Professor Fanghänel hohe Auszeichnungen. So wurde ihm im Jahre 1980 der Vaterländische Verdienstorden der DDR in Bronze und im Jahre 1983 der Nationalpreis III. Klasse der DDR verliehen. 1981 wurde er Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und 1986 Ordentliches Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften e.V. Berlin. Seit 2016 war er Ehrenmitglied der GDCh.

Egon Fanghänel verstarb am 15. November 2023. Um ihn trauern seine ehemaligen Kollegen, Mitarbeiter und Schüler. Wir alle verlieren mit Egon Fanghänel einen hervorragenden Wissenschaftler, geschätzten Kollegen, hochverehrten Mentor und verlässlichen Freund.  Wir sind dankbar für die fruchtbare Zusammenarbeit, viele bereichernde Begegnungen, interessante Gespräche und Anregungen, gemeinsame Erlebnisse in guten und in schwierigen Zeiten.

Prof. Dr. Horst Hartmann
Prof. Dr. Rudolf Taube
Dr. Andreas M. Richter

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Die Autoren des Nachrufs sind Weggefährten des Verstorbenen. Prof. Dr. Rudolf Taube war ab 1970 an der TH Leuna-Merseburg und von 1993 an Professor für Anorganische Chemie an der MLU und später an der TU München. Prof. Dr. Horst Hartmann wurde 1984 Professor an der TH Leuna-Merseburg - er kannte Egon Fanghänel bereits seit dessen Studium in Dresden und hat seitdem seinen Lebensweg verfolgt. Dr. Andreas M. Richter wurde bei dem Verstorbenen promoviert und hat später mit weiteren Absolventen der TH eine Firma in Wolfen gegründet.

 

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