Eiersammeln, den Zeiten zum Trotz – Dokumentarfilm feiert Premiere
Im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) der Uni Halle lagert eine Sammlung, die wenige Menschen je zu Gesicht bekommen haben. Das liegt nicht daran, dass der Leiter des ZNS, Dr. Frank Steinheimer, sie nicht zeigen möchte: „Das Problem ist, dass die Objekte nach wenigen Monaten unter Lichteinstrahlung komplett verblasst wären“, erklärt er. „Daher können wir sie unmöglich ausstellen.“ Bei den empfindlichen Objekten handelt es sich um 19.206 Vogeleier von 3.839 Arten.
Angelegt hat die Eiersammlung der Vermessungsbeamte Max Schönwetter (1874 - 1961), der auch den Zweig der Oologie, der Vogeleierkunde, begründete. Neben wissenschaftlichem Wert und besonderer Ästhetik der Eier ist die Entstehungsgeschichte der Sammlung bemerkenswert. Der niederländische Filmemacher Pim Zwier hat ihr nun einen 80-minütigen Dokumentarfilm gewidmet, der auf dem International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA) Premiere feierte. „O, Collecting Eggs Despite the Times“ gewann dort den Preis für die beste Regie in der Envision Competition. Außerdem war er für den Best Dutch Film Award und den ReFrame Award nominiert.
Es ist Zwiers inzwischen dritter Film, der gemeinsam mit dem ZNS entstanden ist. „2011 habe ich das ZNS das erste Mal besucht“, erzählt er. „Damals war ich Artist in Residence beim Werkleitz Zentrum für Medienkunst in Halle und habe in den Sammlungen fotografiert. Daraus entstand die erste Zusammenarbeit.“ Steinheimer freut eine Sache am neuen Film ganz besonders: „Die Optik der Eier ist nun auf Film gebannt, sodass sie - trotz verblassender Farben – erhalten bleiben wird.“ Der Film sei dadurch auch ein wichtiger Beitrag in Sachen Wissenstransfer.
Steinheimer und Zwier wagten nicht, die Sammlung, die seit 2013 „National wertvolles Kulturgut“ ist, der Berührung Außenstehender anzuvertrauen. Deswegen hat der Leiter des ZNS im Film einen kleinen Auftritt – beziehungsweise seine Hände. „Ich habe unter anderem nachgestellt, wie Schönwetter die Eier für die Sammlung haltbar gemacht hat. Seine Hände im Film sind also meine Hände“, erzählt Steinheimer. Diese Aufnahmen, darunter das Ausblasen von Eiern, zählen zu seinen persönlichen Lieblingspassagen. „Außerdem finde ich die Eier wunderschön in Szene gesetzt, wie sie auf dunklem Grund liegen und angeleuchtet werden“, sagt er.
Kontakte in Kriegszeiten
Max Schönwetter sammelte über 60 Jahre lang Eier und zwar „den Zeiten zum Trotz“, wie es im Filmtitel heißt. Während Europa im Zweiten Weltkrieg verwüstet wurde, sammelte er unbeirrt weiter und stand mit befreundeten Ornithologen und anderen oologisch Interessierten in Kontakt – teilweise, während diese an der Front waren.
Briefwechsel entstanden, bei denen neben Wissen über Eier auch Nachrichten zum Weltgeschehen ausgetauscht wurden. Die Briefe lagerten lange Zeit ebenfalls im ZNS, inzwischen liegen sie im Uni-Archiv. Schönwetters Korrespondenz wird im Film nachgestellt. Dafür haben viele Sprecher Schönwetters Zeitgenossen ihre Stimmen geliehen, darunter der bekannte deutsche Schauspieler Ulrich Matthes.
Die Geschichte einiger Eier ist ebenfalls stark vom Krieg geprägt. Die eines Rauchschwalbengeleges wird im Film behandelt: „Es stammt von einem mit Schönwetter befreundeten Eiersammler, der die Bombardierung Hamburgs überlebt, dabei aber alles verloren hat – inklusive seiner Eiersammlung. Er und seine Familie flohen und landeten quasi mit nichts als verbrannter Kleidung am Leib in der Nähe von Halle, wo er das Gelege einer Rauchschwalbe fand. Diese Eier überließ er Schönwetter“, erzählt Steinheimer.
Herausforderungen beim Dokumentarfilmen
Wegen der Corona-Pandemie gestalteten sich die Filmarbeiten komplizierter als gewöhnlich. Unter anderem waren in den USA Archivaufnahmen von Original-Kriegsszenen nicht mehr zugänglich, die Zwier für das Storytelling nutzen wollte. Also musste der Dokumentarfilmer sich nach anderem Material umsehen. Die Arbeit mit Archivmaterial empfindet Zwier als etwas Besonderes: „Dreht man einen Film von Grund auf selbst, hat man die volle Kontrolle über eine Szene. Soll dieselbe Szene mit Archivmaterial entstehen, muss man hoffen, dass solche Aufnahmen irgendwo bereits existieren – und sie dann auch finden!“
„O, Collecting Eggs Despite the Times“ erscheint in deutscher und englischer Sprache mit englischen Untertiteln. „Ich freue mich schon darauf, ihn in den Naturwissenschaftlichen Sammlungen vorzuführen“, sagt Zwier. Er arbeite außerdem an einem Kinostart in Deutschland und den Niederlanden und daran, den Film auf weiteren internationalen Filmfestivals zu zeigen.
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