Ein Ausnahmetalent auf Deutschland-Tournee
Musik-Professor Jochen Köhler kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus: „So etwas passiert nicht oft“, sagt er und schaut dabei seine Schülerin Yujin Kim an. „In ihrem Alter spielt sie bereits die schwierigsten Arrangements virtuos und mit einer ganz natürlichen musikalischen Intuition und Spielfreude.“ Sie ist ein Ausnahmetalent, daran bestehe kein Zweifel. Neben dem absoluten Gehör besitzt die junge Frau auch die nötige Courage: Sie hat keinerlei Angst vor dem Instrument und der großen Bühne. „Ich habe mit sieben Jahren begonnen, Klavier zu spielen“, erzählt Kim.
Zur Zeit tritt sie im Rahmen einer großen Deutschland-Tournee mit der Klassischen Philharmonie Bonn unter der Leitung des Dirigenten Heribert Beissel in den renommiertesten Konzertsälen des Landes als Solistin im 1. Klavierkonzert von Chopin auf. Fast jedes Konzert ist ausverkauft, die Reaktionen von Publikum und Presse sind euphorisch. So jung mit einem Orchester auf Tournee zu gehen, ist etwas ganz Besonderes. Fünf Wochen dauert die Tournee, manchmal werden sogar zwei Konzerte an einem Tag aufgeführt. „Die Chance, so viele Konzerte hintereinander zu geben, ist für Studenten während ihrer künstlerischen Ausbildung wie ein Sechser im Lotto“, erklärt Köhler.
Schulabbruch für aussichtsreiche Karriere
Vor zwei Jahren holte er die damals 16-jährige Schülerin nach Halle. Eigentlich hätte sie sich zu diesem Zeitpunkt auf ihren Schulabschluss vorbereiten müssen. Erst danach wollte sie weiter an ihrer musikalischen Karriere arbeiten. Doch die Begegnung mit dem in Halle lehrenden Pianisten hat alles verändert. „Wir haben uns während der Sommerkurse des Euro Music Festivals kennen gelernt“, erinnert sich der gebürtige Bremer an das erste Aufeinandertreffen.
Aufmerksam wurde er in diesem Moment nicht auf ihre außergewöhnlichen musikalischen Fähigkeiten, sondern auf ihre Persönlichkeit: Kim hatte für die koreanischen Studenten gedolmetscht. „Wir dachten damals alle, sie wäre viel älter“, sagt Köhler. Kim, die in Südkorea aufgewachsen ist und in China eine internationale Schule besucht hat, spricht neben ihrer Muttersprache fließend Englisch und Chinesisch. „Ich habe sie später darum gebeten, mir etwas vorzuspielen“, so der Musikpädagoge.
Mit dem „Säbeltanz“ des armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan konnte sie Köhler überzeugen. Nach dem Sommerkurs sind die beiden in Kontakt geblieben. „Ich habe ihr angeboten, im folgenden Jahr wiederzukommen, aber sie meldete sich schon im gleichen Jahr bei mir“, so Köhler. Im November 2013 reiste sie zusammen mit ihrer Mutter nach Halle und nahm einen Monat Klavierunterricht bei ihm. Die beiden haben sich auf Anhieb gut verstanden und gemerkt, dass aus den privaten Übungsstunden eine professionelle Zusammenarbeit hervorgehen sollte.
Doch studieren ohne Abitur? Darüber hat sich auch ihr Mentor viele Gedanken gemacht. Ist es wirklich sinnvoll, dass jemand, der nicht nur künstlerisch hoch begabt, sondern auch intellektuell gebildet ist, die Schule zugunsten einer künstlerischen Ausbildung abbricht? Hinzu kommt, dass im Fach Klavier die Konkurrenz immens ist. Allein in Deutschland gibt es eine Vielzahl begabter und sehr gut ausgebildeter Pianisten. „Man muss sehr genau abwägen, ob man es verantworten kann, jemanden so früh aufzunehmen, denn eine Garantie auf eine Karriere gibt es nicht “, sagt Jochen Köhler.
Tournee durch die renommiertesten Konzertsäle
Für die junge Pianistin war deutlich eher klar, dass sie in Halle bleiben wollte: „Für mich ist es eine große Chance gewesen, sehr früh mit dem Studium bei Professor Köhler zu beginnen“, sagt Kim. In künstlerischen Fächern sei immer die Lehrerwahl ausschlaggebend, nicht unbedingt das Institut oder der Ort. Die Chemie müsse stimmen und der Lehrer muss auf die individuellen Bedürfnisse des Schülers eingehen können. Köhler fördert seine Studenten, indem er eine Vielzahl von Konzerten außerhalb der Saalestadt organisiert: „Wenn Spitzenbegabungen kommen, ist es wichtig, sie frühzeitig daran zu gewöhnen, auf der Bühne zu stehen und vor Publikum zu spielen."
Wie es nach dem Studium weitergehen soll, darüber macht sich Yujin Kim noch keine Gedanken: „Erst einmal mache ich nächstes Jahr meinen Bachelor in Halle“, sagt die Studentin. Ob sie auch für den Master in Sachsen-Anhalt bleibe, wisse sie noch nicht. „Drei bis vier Jahre gemeinsame Arbeit sind ein langer Zeitraum“, findet Köhler und fügt hinzu: „Junge Künstler sollten immer die Chance bekommen, auch andere Lehrer, andere Richtungen und Orte kennenzulernen.“ Doch zumindest während der nächsten drei Semester wird Yujin Kim noch häufig in Halle zu hören sein.