Einmal schuldig, immer schuldig?
Die Geschichte der Ombudsperson begann gewissermaßen elf Jahre, bevor sie offiziell etabliert wurde: Zunächst richtete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) im Jahr 1999 das „Sanktionsregime 1267“ ein, das bei der Bekämpfung des Terrorismus durch die Taliban und Al Kaida helfen sollte. Ziel war es, gezielt gegen Angehörige und Unterstützer der Terrororganisationen vorzugehen. Später wurde die Liste um die Taliban gekürzt und den sogenannten Islamischen Staat ergänzt. „Im Völkerrecht gibt es seit langer Zeit die Möglichkeit von Wirtschaftssanktionen gegen einzelne Länder, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. Allerdings treffen diese Maßnahmen immer ein ganzes Land samt seiner Bevölkerung. Das Sanktionsregime sollte es stattdessen ermöglichen, gezielt gegen Einzelpersonen vorzugehen“, erklärt der Rechtswissenschaftler Dr. Andrej Lang, der sich am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Tietje zur außergerichtlichen Kontrolle von Grund- und Menschenrechten habilitiert. Auf Beschluss des Sicherheitsrats können Personen mit weitreichenden Sanktionen belegt werden. „Wird jemand auf die Liste gesetzt, sind alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Konten dieser Person zu sperren und ihre Bewegungsfreiheit durch Ausreiseverbote einzuschränken.“
Fehler vorprogrammiert
Wie Personen auf diese Liste gelangen, ist aber problematisch, sagt Lang: Die Entscheidungen werden durch ein mit Diplomatinnen und Diplomaten besetztes Komitee des UN-Sicherheitsrats getroffen. Die Mitgliedsstaaten berufen sich dabei teilweise auf vertrauliche Dokumente ihrer Geheimdienste, ohne diese den anderen Staaten vorzulegen. Erschwerend komme hinzu, dass nicht alle sanktionierten Personen direkt davon erfahren, dass sie auf die Liste aufgenommen wurden. „Es gab Fälle, in denen ein Betroffener auf einmal seine Miete nicht mehr zahlen konnte, weil sein Konto gesperrt war. Das kann ein ganzes Leben aus der Bahn werfen“, so Lang. Anders, als man es bei einem derart sensiblen Thema vermuten würde, seien die Verfahren nicht immer komplett eindeutig und dazu noch fehleranfällig. „Anhand der mitunter nur vagen Angaben lassen sich Personen nicht immer zweifelsfrei identifizieren.“ Wenn etwa in einer Stadt wie Peshāwar in Pakistan mehr als 2,3 Millionen Menschen leben, ein Geheimdienstbericht aber nur vage Angaben zu einem vermeintlichen Al Kaida-Mitglied namens Mohammed macht, seien Fehler vorprogrammiert. Und dennoch werde das Verfahren durchgeführt.
Auch die Kriterien, ab wann eine Person als „Mitglied“ oder „Unterstützer“ einer terroristischen Vereinigung gelten kann und auf die Liste gesetzt wird, sind nicht klar definiert. Lang: „Bei den Drahtziehern oder Finanziers von Terroranschlägen mag es eindeutig sein, aber was ist mit Personen, die für Angehörige eines Terrorregimes gearbeitet haben, ohne selbst beteiligt zu sein?“ All diese Probleme haben laut dem Forscher dazu geführt, dass 2010 – insbesondere auf Druck des Europäischen Gerichtshofs – das Amt der Ombudsperson für das „Sanktionsregime 1267“ eingeführt wurde.
Lang untersuchte die Arbeit der Ombudsperson und ihre Bedeutung für das internationale Recht während eines Forschungsaufenthalts an der renommierten New York University (NYU). Neben einer umfangreichen Recherche der Fachliteratur und der öffentlich einsehbaren UN-Dokumente führte er zahlreiche Interviews mit Diplomatinnen und Diplomaten, Anwälten der gelisteten Personen sowie mit drei ehemaligen Ombudspersonen.
Neuer Trend im Völkerrecht?
Wer sich zu Unrecht auf die Liste gesetzt fühlt, kann sich an die Ombudsperson wenden, die daraufhin ein Verfahren einleitet. Am Ende steht eine Empfehlung darüber, ob die Person von der Liste gestrichen werden sollte. Um dieser nicht zu folgen, müssen entweder alle 15 Mitglieder des Komitees einstimmig dagegen stimmen oder den Fall an den Sicherheitsrat überweisen. „Damit verfügt die Ombudsperson über eine starke Empfehlungsbefugnis“, so Lang. Seit der Einführung der Terroristenliste wurden etwa 450 Personen daraufgesetzt. 105 davon haben ein Verfahren bei der Ombudsperson eingeleitet. Die meisten sind mittlerweile abgeschlossen, sagt Lang. In der überwiegenden Mehrheit sei empfohlen worden, die Person von der Liste zu streichen – die UN-Mitgliedsstaaten seien der Empfehlung bisher immer nachgekommen. „Das ist erstaunlich, da in vielen Fällen eine Reihe von Staaten davon überzeugt sind, dass die Personen es verdienten, weiter auf der Liste zu bleiben.“ Dass so viele Personen von der Liste gestrichen werden, sei aber kein Ausdruck eines generellen Problems des Sanktionsregimes: „Bei den meisten Personen scheint es zumindest vertretbar zu sein, dass sie ursprünglich auf die Liste gesetzt wurden, weil sie für Al Kaida oder den sogenannten Islamischen Staat tätig waren oder sind. In den ersten Jahren wurden allerdings auch Personen zu Unrecht auf die Terroristenliste gesetzt.“ Und selbst wenn sie dort zu Recht stehen: Nach einer gewissen Zeit müsse der Status hinterfragt werden.
Für Lang ist die Arbeit der Ombudsperson der Ausdruck eines neuen Trends im Völkerrecht. „In den nächsten Jahrzehnten werden vermutlich weniger internationale Gerichte gegründet als in der Epoche nach dem Ende des Kalten Krieges. Während der Westen immer mehr an Einfluss verliert, werden Staaten wie China und Indien geopolitisch bedeutsamer, wollen sich aber nicht auf solche Institutionen einlassen. Unter diesen Bedingungen einer veränderten Weltordnung sind Streitschlichter wie die Ombudsperson als Kompromiss eine bessere Lösung als es auf den ersten Blick erscheint – auch wenn sie nicht immer unseren Ansprüchen an rechtsstaatliche Standards entsprechen.“
Studie: Lang A. Alternatives to adjudication in international law. A case study of the ombudsperson to the ISIL and Al-Qaida sanctions regime of the UN security council. American Journal of International Law (2022). doi: https://doi.org/10.1017/ajil.2022.81
Kontakt:
Dr. Andrej Lang
Juristischer Bereich
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