Forschen zwischen Krieg und Krise
Die intensiven Kontakte von damals sind bis heute nicht abgerissen. Und das, obwohl Rottenburg lange nicht in den Sudan reisen konnte. Als dort zwischen 1985 und 2003 erneut Krieg herrschte, war es viel zu gefährlich, in dem Land wissenschaftlicher Arbeit nachzugehen. „Die meisten meiner Freunde im Sudan sind inzwischen zu Flüchtlingen geworden. Viele von ihnen wissen in der dritten Generation nicht mehr, was Frieden eigentlich bedeutet“, sagt der Ethnologe.
Zwar habe er sich während seiner vielen Forschungsaufenthalte nie akut bedroht gefühlt. Das lag allerdings auch daran, dass er vor Ort über ein stabiles Informationsnetzwerk verfügte, gute Sprach- und Landeskenntnisse besaß und er stets wieder ausreisen konnte, wenn es brenzlig wurde. „Zu sehen, wie enge Freunde hilflos dem Krieg ausgeliefert waren und sind, das ist eine Erfahrung, auf die ich gern verzichtet hätte“, sagt Rottenburg, der seit 2003 wieder regelmäßig im Sudan unterwegs ist.
Als Ethnologe ist er vor allem auf Feldforschung angewiesen, das bedeutet: Stets hat er bei seiner Arbeit engen Kontakt zu den Menschen über die er forscht. Kontakte, die ihn andererseits auch schützen. „Ich weiß genau, von wem ich sichere Informationen erhalte“, sagt Rottenburg. Oberstes Gebot sei es, sich auszukennen. Nur so könne man einschätzen, was eventuell als nächstes passieren kann. „Es gibt keine Faustregel“, meint Rottenburg und bekennt: „In einer unsicheren Gegend ist es generell sehr schwer, eine klare Unterscheidung zwischen Krise und Nicht-Krise zu treffen.“
Immer wieder musste er in Kauf nehmen, dass finanzierte und bewilligte wissenschaftliche Projekte unterbrochen wurden. Nämlich immer dann, wenn es die politische Lage erforderte. Und das ist leider auch in jüngerer Zeit häufiger der Fall. So sorgte Professor Rottenburg erst im Jahr 2010 dafür, dass einer seiner Doktoranden in eine andere südsudanesische Region umziehen konnte, nachdem er an seinem Ort der Feldforschung wiederholt in Schießereien geraten war.
Und auch Rottenburg selbst muss seit Juni vergangenen Jahres die Einreise in das Land vermeiden, nachdem Kämpfe und Bombardierungen wieder aufgeflammt sind. Generell empfindet er die Arbeit in einem Land, in dem Gewalt und Rechtlosigkeit regieren, als ein Dilemma. „Man fühlt sich ohnmächtig, wenn man ausreisen kann, aber die Menschen, die einen aufgenommen haben, in einer extrem schwierigen Situation zurücklassen muss“.
Geologen im Minengürtel
Doch selbst in Ländern, in denen gerade kein Krieg tobt, kann es für Wissenschaftler schwierig werden: Ägypten, Nigeria, Südafrika und Indien sind nur einige Stationen des bisherigen Forscherlebens von Professor Peter Wycisk. Nicht alle diese Länder gelten als Krisenherde. Und dennoch kann es gefährlich sein, sich dort zu bewegen. „Es ist nicht immer leicht, die Situation vor Ort richtig einzuschätzen“, sagt der Hydrogeologe, der kurz vor Beginn der ägyptischen Revolution im vergangenen Jahr zuletzt in Ägypten war. Und außerdem: Gewalt ist ein Phänomen, das weltweit existiert, „Global betrachtet sind gewaltfreie Zonen doch eher die Ausnahme“, ergänzt Richard Rottenburg, der über Aspekte menschlicher Sicherheit forscht.
Genau wie der Ethnologe ist auch Wycisk bei seinen Forschungen vor Ort darauf angewiesen, auf Tuchfühlung zu gehen. Anders als viele Geisteswissenschaftler forscht er nicht in einem abgeschirmten Institut, sondern tatsächlich im Land. Als Geologe war er bereits Anfang 1981 erstmals in Ägypten mit einer Expedition unterwegs, nur drei Wochen, nachdem Staatspräsident Anwar As Sadat erschossen worden war. Zur Spezifik des Landes gehörte damals, dass es zwar nicht von Kriegen beherrscht wurde, es aber in den südlichen Regionen immer wieder Unruhe durch Übergriffe bewaffneter Gruppen gab.
„15 Jahre Teilnahme an Expeditionen in dieser Region haben mich geprägt“, sagt Wycisk. Er habe sich im Umgang mit Menschen und Behörden stets möglichst „konfliktminimierend“ verhalten. Und er habe gelernt, genau hinzuschauen, um Situationen gut einschätzen zu können. Als Teilnehmer einer solchen Expedition sei es eine Grundvoraussetzung, sich ein- und unterzuordnen.
Außerdem müsse man als Leiter einer Gruppe den Druck aushalten können, mit möglichst vielen brauchbaren wissenschaftlichen Ergebnissen aller Teammitglieder zurückzukehren und gleichzeitig – und vor allem – das Team wieder gesund nach Hause zu bringen. Denn selbst wenn die Gegend vermeintlich sicher ist, drohen Gefahren. Schließlich gehört es zum Wesen geologischer Exkursionen, dass sie sich nicht an vorgegebene Straßen halten. „Wenn man viele Tage im Konvoi off-road durch die offene Wüste fährt, kann man sich keine Fehler erlauben“, so Wycisk. Einmal ist ein winziges, aber entscheidendes Teil der Koch-Ausrüstung vergessen worden, so dass zwei Leute eine ganze Tagestour unterwegs waren, um es aus der nächsten Stadt zu besorgen.
Und selbst bei noch so großer Vorsicht könne immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Verursacht etwa von den Hinterlassenschaften alter oder lediglich schwelender Konflikte. So gerieten Wycisk und sein Konvoi in den neunziger Jahren entlang der libyschen Grenze in einen Minengürtel, den die ägyptische Armee unvermutet in einem Flusswadi im Inland ausgelegt hatte. „Bei einem unserer Begleitfahrzeuge explodierte ein Hinterrad. Der Expeditionsleiter schaffte es, unseren Pickup-Truck auf exakt der gleichen Spur rückwärts aus dieser Gefahrenzone zu lenken. Das war Maßarbeit, die zum Teil nur wenige Zentimeter an scharfen Minen vorbei führte“, erinnert sich Wycisk, der noch heute über diese Situation sagt: „Wir hatten einfach Glück, dass da nicht mehr passiert ist.“
Doch weit gefehlt, wer angesichts solcher Schil-derungen an Abenteuer in der Wildnis denkt: „Die Regionalforschung hat mich schon immer fasziniert. Aber es geht dabei nicht um Abenteuer“, sagt er. „Es geht darum, ein wissenschaftliches Problem zu lösen und Verständnis für regionale Zusammenhänge zu entwickeln.“