Für Religion kein Platz auf dem Platz?
„Religion und Sport, das sind zwei Grundpfeiler unserer Gesellschaft, die einiges gemein haben“, meint Jana Conrad. „Man denke nur an die Olympischen Spiele, einst ein religiöses Fest, oder die modernen Fußballgötter. Doch wie sich das eine auf das andere auswirkt und wie Sportler ihren Glauben zur Bewältigung ihrer leistungssportlichen Aufgaben nutzen, ist bisher kaum untersucht worden.“ Als Sport- und Ethnologiestudentin interessierte sich Conrad besonders für die gesellschaftskritischen Themen unserer Zeit. Die in den vergangenen Jahren hörbar lauter gewordene Diskussion um Religionen und ihren Einfluss auf Menschen und deren Handlungen war 2009 der Anstoß für ihre Auseinandersetzung mit dem Thema, das in der wissenschaftlichen Betrachtung noch am Anfang steht.
„Um ein möglichst umfassendes Bild zeichnen zu können, habe ich mich der Thematik von zwei Seiten genähert“, führt Conrad aus. „Auf Basis der Bibel, darauf aufbauender Literatur und Gesprächen mit Sportpfarrern habe ich die Grundhaltung des Christentums zum Sport aufgearbeitet.“ Zentrale Frage dabei: Unterstützt der christliche Glauben das Sporttreiben oder wird im „Heiligen Buch“ gar davon Abstand genommen? „Im nächsten Schritt habe ich Kontakt zu Leistungssportlern gesucht und unter anderem deren Religiosität, Motive, Leistungsorientierung und Kompetenzüberzeugungen untersucht“, erläutert die 35-Jährige, die insgesamt 98 Leistungssportler – von (Rollstuhl-)Basketballern bis hin zu Leichtathleten – für die Studie befragt hat. „Zuletzt stand dann die Zusammenführung der Ergebnisse, um Übereinstimmungen oder Widersprüche zwischen Theorie und Sportpraxis sowie zwischen nicht religiösen, religiösen und hoch religiösen Sportlern aufzudecken.“
So konnte sie einige überraschende Erkenntnisse zu Tage fördern. „Generell lässt sich sagen, dass sich Christentum und Leistungssport nicht widersprechen, sofern der Leistungssport unter bestimmten Aspekten und Reglementierungen durchgeführt wird“, erklärt die Sportethnologin. „So soll der Sport im Einklang mit den christlichen Grundlehren und stets als Huldigung für Gott betrieben werden. Der Sport sollte auch nicht Hauptaspekt im Leben sein, sodass beispielsweise die Familie vernachlässigt wird.“ Das sehe in der Sportpraxis aber schon ganz anders aus: „Vor allem bei Sportlern, die als hoch religiös zu bezeichnen sind, nimmt der Sport eine zentrale Rolle ein, während die Gruppe der Religiösen und Nichtreligiösen das Verhältnis zwischen Sport und Privatleben als ausgewogen betrachtet“, führt Conrad aus. Gerade die Gläubigsten entsprechen damit nicht den religiösen Vorgaben.
„Gleichzeitig zeigte sich die Gruppe der Hochreligiösen in der quantitativen Erhebung weniger wettkampf- und gewinnorientiert als die Religiösen und Nichtreligiösen“, erklärt Conrad. „Sie sehen vielmehr Aufrichtigkeit, Fairness und die Erbringung der bestmöglichen Leistung als Maximen.“ Die Teilnahme an Wettkämpfen sei zwar auch für Hochreligiöse wichtig, der Vergleich mit anderen oder der eigenen Leistung jedoch weit weniger. Zudem seien die hoch religiösen Leistungssportler deutlich weniger schicksalsgläubig, lehnten Glücksbringer und Aberglauben aufgrund ihres Vertrauens in Gott und der Akzeptanz seines Willens ab. „Viel überraschender war, dass die Gruppe der Religiösen den Aberglauben nicht ablehnt“, fügt die Sportwissenschaftlerin an.
Zwischen den drei Sportlergruppen hätten sich aber auch unerwartete Gemeinsamkeiten gezeigt – in der Abweichung von den religiösen Normen: „So war bei den Hochreligiösen nicht etwa die Ehrung Gottes der Grund für die Aufnahme und Fortführung des Sports, sondern wie bei den übrigen Befragten auch die Heranführung durch Freunde oder Familie und der erlebte Spaß am Sport“, erklärt Conrad. „Beide Gruppen messen zudem ihren Erfolg an der eigenen bestmöglichen Leistung.“
Aus ihren Erkenntnissen sieht Conrad die Forderung untermauert, in der Sportlerbetreuung und -beratung künftig Unterschiede zwischen Nichtreligiösen, Religiösen und Hochreligiösen zu machen: „Die hoch religiösen Sportler haben aufgrund ihres Glaubens ganz offenbar einen anderen Hintergrund, andere psychologische Konstrukte. Das sollte in der Sportpsychologie unbedingt Berücksichtigung finden.“ Bei hoch religiösen Sportlern solle beispielsweise die Wettbewerbsorientierung in den Vordergrund gerückt werden. Außerdem könne versucht werden, den religiösen Glauben gezielt zum Zwecke der Motivation oder zur Bewältigung schwieriger Situationen zu unterstützen.
„Spannend wäre auch, zu untersuchen, wie es mit dem Verhältnis von Sport und Glauben in anderen Religionen aussieht“, ergänzt die Sportwissenschaftlerin, die derzeit als Lehrerin und Ausbilderin für die Hilfsorganisation „Relief Foundation“ im indischen Chennai selbst den Herausforderungen des Lebens in einer fremden Kultur und Religion gegenübersteht. Im Diskurs mit religiösen Einrichtungen und den offiziellen Seiten im Sport über die Trennung von Religion und Sport – so hat die FIFA etwa religiöse Trikotbotschaften untersagt – sieht Conrad ein weiteres interessantes Feld: „Zum Beispiel die Frage, warum eine solche Trennung vollzogen wird, wie sich dies auswirkt und wo die Grenze der Glaubensdarstellung liegt.“ Text: Claudia Misch