Geobotaniker aus Leidenschaft - Ein Nachruf auf Ernst-Gerhard Mahn
Am 25. April 2022 verstarb Ernst-Gerhard Mahn. Wir verdanken Ernst-Gerhard Mahn, dass er Generationen von Studierenden für das Forschungsgebiet der Geobotanik hat begeistern können. Als Forscher mit Leidenschaft für sein Fach gelang es ihm, in seinen Vorlesungen, Praktika und Seminaren, aber vor allem auch auf den Exkursionen Interesse an pflanzenökologischen Zusammenhängen zu wecken. Davon zeugt auch eine große Zahl an Studentinnen und Studenten, die unter seiner Anleitung ihre Staatsexamens-, Diplom- und Doktorarbeiten angefertigt haben. Einige von ihnen wurden selber Professoren, wie Dr. Klaus Helmecke an der Fachhochschule Erfurt, Dr. Sabine Tischew und Dr. Anita Kirmer an der Hochschule Anhalt oder Dr. Armin Bischoff in Avignon. Sein Wirken reichte auch bis ins Ausland, da auch Studenten aus Kuba, Syrien und der Mongolei zu seinen Doktoranden zählten.
Ernst-Gerhard Mahn wurde am 3. Juli 1930 als Sohn von Dr. Herbert Mahn und Frau Johanna, geb. Beckert, in Dessau geboren, einer Stadt, mit der er immer emotional und fachlich verbunden war. So war er lange Zeit Beiratsmitglied des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs. Nach dem Abschluss des Humanistischen Gymnasiums bewarb er sich 1949 an Martin-Luther-Universität in Halle, wurde aber zunächst abgelehnt, da er kein Parteimitglied oder Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) war. Ernst-Gerhard Mahn stand der damaligen DDR-Regierung kritisch gegenüber. Auch wenn er dies nicht offen äußerte, so war ihm ein politisches Mitläufertum doch sehr zuwider, was seinen Karriereweg als Wissenschaftler sehr erschwert hat.
Schließlich doch noch zum Studium an der MLU zugelassen studierte er dann Botanik, Zoologie, Pflanzenphysiologie und Phytopathologie, Gebiete, für die er sich in gleicher Weise interessierte. Seine Begeisterung für Geobotanik wurde dann durch Prof. Dr. Herrmann Meusel geweckt, der schon seit den 1930er Jahren pflanzengeographische Forschung in Mitteldeutschland betrieben hatte. Das erste wissenschaftliche Thema, dem sich Ernst-Gerhard Mahn zuwandte, war die Steppenvegetation der berühmten „pontischen Hügel“ nördlich von Halle. Herrmann Meusel schlug ihm als Diplomarbeitsthema vor, die Lunzberge pflanzengeographisch zu bearbeiten. Diese Diplomarbeit „Über die Vegetations- und Standortverhältnisse einiger Porphyrkuppen bei Halle“ schloss er 1954 ab und publizierte sie 1957. Die Vegetation nur rein beschreibend zu charakterisieren, wie es damals in der Pflanzensoziologie üblich war, hat Ernst-Gerhard Mahn aber nie zufrieden gestellt. So hatte schon seine Diplomarbeit zum Ziel, die mikroklimatischen und bodenbezogenen Ursachen zu erfassen, die die kleinräumigen Unterschiede in der Artenzusammensetzung innerhalb jedes dieser Hügel bedingen. Ernst-Gerhard Mahn legte den Grundstein dafür, dass diese Porphyr-Hügellandschaft nördlich von Halle mittlerweile in der geobotanischen Forschung weltweit bekannt ist.
Im Jahre 1955 erhielt Ernst-Gerhard Mahn bei Prof. Dr. Herrmann Meusel in der Abteilung Standortkunde eine Stelle als Forschungsassistent, 1958 wurde er Oberassistent. In diese Zeit fiel seine Dissertation mit dem Titel „Vegetations- und standortkundliche Untersuchungen an Felsfluren, Trocken- und Halbtrockenrasen Mitteldeutschlands“, die er 1959 abschloss. Der Schwerpunkt der Arbeit war die Bindung der verschiedenen Trockenrasenarten an die Faktoren des Bodens, der Feuchte und des Lichtes, unter Berücksichtigung ihrer pflanzengeographischen Charakteristika.
Nach seiner Dissertation verschob sich sein Forschungsschwerpunkt auf die Agrarlandschaft. Ernst-Gerhard Mahn entwickelte ökologisch-soziologische Artengruppen für die verschiedenen Agrarökosysteme, die in sehr fein aufgelöster Form die verschiedenen Boden- und Wasserhaushaltsbedingungen widerspiegelten. Alle diese Arbeiten mündeten schließlich in seiner Habilitationsschrift zu „Untersuchungen über das Verhalten von Segetalarten gegenüber einigen Bodenfaktoren“, mit der er im Jahre 1967 die venia legendi für Botanik erhielt. Im Jahre 1970 wurde er zum Dozent für Ökologische Geobotanik der Sektion Biowissenschaften an der MLU ernannt. Ein weiterer Aufstieg zum ordentlichen Professor blieb ihm zunächst verwehrt. Anfang der 1980er Jahre erhielt Ernst-Gerhard Mahn die Gelegenheit, der Professur von Dr. Gustav Wendelberger in Wien nachzufolgen, was ihn sehr gereizt hätte. Sein Antrag, auszureisen, wurde allerdings abgelehnt. Zwar durfte er ein Semester in Wien die Vertretung übernehmen, aber dort zu bleiben und seine Frau Gudrun Mahn, mit der seit 1976 verheiratet war, und seinen jungen Sohn Martin im Stich zu lassen, ist ihm nicht in den Sinn gekommen.
Auch nach der Habilitation setzte Ernst-Gerhard Mahn seine agrarökologischen Arbeiten fort. Vor dem Hintergrund der sich intensivierenden Landnutzung suchte Ernst-Gerhard Mahn zu verstehen, wie Unkräuter mit den Kulturpflanzen interagieren. Dabei fasste er die Acker-Vegetation als ein besonders einfaches Modellobjekt eines Ökosystems auf, das er durch einfache Manipulation von Stickstoffgaben und Herbizid-Anwendung manipulieren konnte und das somit eine ideale Forschungsplattform für das Verständnis komplexer Wirkungsfaktoren bot. Insbesondere nutzte er dazu das der MLU gehörende Versuchsgut Etzdorf, führte aber auch Untersuchungen zu Agrarökosystemen in Friedeburg, Greifenhagen und Wansleben durch. Unter anderem konnte er zeigen, dass sich durch bestimmte Kombinationen die Herbizid-Rückstände im Boden deutlich reduzieren lassen, ohne dass es zu einem Biomasserückgang der Kulturart kam. Für Ernst-Gerhard Mahn ging es stets nicht nur um wissenschaftliche Grundlagenforschung, sondern auch um die Anwendbarkeit der Erkenntnisse. Seine Arbeiten sind auch heute noch vor dem Hintergrund des andauernden Artenrückgangs in der Agrarlandschaft von Bedeutung für den Naturschutz.
Angeregt durch die Arbeiten von Prof. Dr. John Harper, der als Pionier der Populationsbiologie der Pflanzen gilt, führten er mit seiner Gruppe zahlreiche populationsbiologischen Untersuchungen an einer Reihe wichtiger Ackerunkräuter durch. Er nutzte diese als Modellarten, nicht nur für die Erforschung der Details ihres Lebenszyklus, sondern auch für evolutionäre Studien. So konnte Ernst-Gerhard Mahn zum Beispiel zeigen, dass sich Anpassungen an die Nutzungsweise schon nach wenigen Generationen genetisch manifestierten.
Sein breites ökologisches Wissen machte ihn zu einem gefragten Mitglied in den verschiedensten nationalen und internationalen Gremien. So war er Koordinator der Hochschulforschungsrichtung „Ökologie“, Vorsitzender der Sektion Ökologie der Biologischen Gesellschaft, Vorstandsmitglied der Internationalen Vereinigung für Vegetationskunde (IVV), Mitglied des Editorial Boards der von John Harper herausgegebenen Zeitschrift „Agroecosystems“, der Zeitschrift „Flora“, des „Journal of Vegetation Science“, der „Verhandlungen der GFÖ“ und des „Archiv für Naturschutz und Landschaftsforschung“. Seine sehr guten Kontakte zu führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Ausland erlaubten es ihm, zahlreiche internationale Tagungen nach Halle zu holen, was aufgrund der Situation in der DDR mit extremen logistischen Schwierigkeiten verbunden war. Als Beispiel seien das Symposium über Probleme der Agrogeobotanik im Jahre 1972 und das Internationales Symposium über Erfassung und Bewertung anthropogener Vegetationsveränderungen der IVV im Jahre 1986 genannt.
Nach der Wiedervereinigung wurde Ernst-Gerhard Mahn schließlich im Jahre 1990 zum Professor für „Ökologie und Geobotanik“ ernannt. Dabei handelte es sich um eine außerordentliche Berufung im Rahmen der Rehabilitierung von Wissenschaftlern, deren wissenschaftliche Karriere trotz Ihrer internationalen Kompetenz aus politischen Gründen behindert worden war. Im Jahre 1991 übernahm er die Leitung des Instituts für Geobotanik und Botanischer Garten. Es ist hervorzugeben, dass es ihm und dem ebenfalls zum Professor ernannten Dr. Eckehardt Jäger in dieser sehr bewegten Zeit gelungen ist, das Institut und den Botanischen Garten nicht nur in seiner Substanz zu sichern, sondern sogar weiter auszubauen. So gelang es ihm, Gelder für den Bau eines neuen Wasserpflanzenhauses einzuwerben und eine neue Freilandanlage zur Entwicklung der Kulturpflanzen und der sie begleitenden Ackerunkräuter anzulegen. Trotz der erheblichen Administrations-Bürde in seiner leitenden Funktion war er sehr erfolgreich bei der Einwerbung von Drittmitteln, wie dem DFG-Verbundprojekt „Populationsökologie in Intensiv-Agrarlandschaften“, das er zusammen mit Prof. Dr. Wolfgang Schmidt aus Göttingen durchführte. Weitere Drittmittelprojekte konnte er beim Bundesministerium für Forschung und Technologie einwerben. Ein neuer Forschungsschwerpunkt wurde die pflanzliche Wiederbesiedlung der Halden und Abraumflächen der Bergbaufolgelandschaft, gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt beziehungsweise dem Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt. Vor allem die Bergbaufolgelandschaft der Goitzsche bei Bitterfeld bot ihm hier ideale Möglichkeiten. Dies erfolgte mit Dauerbeobachtungsflächen, auf denen Besiedlungsereignisse und -muster genau erfasst und Überlebensraten von individuellen Pflanzen genau quantifiziert wurden.
Im Jahre 1995 wurde Ernst-Gerhard Mahn in den Ruhestand verabschiedet, in dem er jedoch weiterhin sehr aktiv blieb. Auch lange nach seiner Pensionierung hat er wichtige Aufgaben für den Institutsbereich Geobotanik und Botanischer Garten übernommen. Vor allem widmete er sich der Herausgeberschaft der „Hercynia“. Dank seines Engagements wurde „Hercynia“ nach den Wirren der Wiedervereinigung wiederbelebt und wurde zu einer online-Zeitschrift mit kostenlosem Zugang.
Ich möchte diesen Nachruf für Ernst-Gerhard Mahn mit einigen persönlichen Worten schließen. Ich habe mit Ernst-Gerhard Mahn einen wichtigen Mentor und Freund verloren. Seine offene und verbindliche Art, seine bewundernswerte Eloquenz, seine Fähigkeit, in Schachtelsätzen zu sprechen, ohne den Faden zu verlieren, und seine quirlige Art, die es manch Jüngerem schwer gemacht hat, mit ihm Schritt zu halten, waren seine Markenzeichen. Unser Jour fixe war stets der Dienstag, an dem er regelmäßig bis ins hohe Alter aus Dresden anreiste, an unserem Institutskolloquium teilnahm und wir mittags zusammen essen gingen. Diese „Mahn“-Tage waren für mich ein unschätzbarer Gewinn. Einerseits half mir Ernst-Gerhard Mahn zu verstehen, wie gegenwärtige Strukturen an unserer Universität auf historische Wurzeln zurückgehen, andererseits war er für mich ein sehr geduldiger Sparring-Partner, mit dem ich die verrücktesten Ideen diskutieren konnte. Wir beide haben diese Dienstage geliebt und geehrt. Die Geobotanik in Halle wird Ernst-Gerhard Mahn in Erinnerung behalten.
Der Autor Prof. Dr. Helge Bruelheide ist seit 2004 Professor für Geobotanik an der MLU und Nachfolger des verstorbenen Ernst-Gerhard Mahn.